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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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irgend einem der modern konstitutionellen deutschen Staaten; der Geist, welcher
die ständischen Elemente in der größten Mehrheit beherrscht, erscheint dagegen
vollkommen mittelalterlich. Nicht um Ausbildung des constitutionellen Elements
handelt es sich den ständisch Bevorrechteten, sondern um Conservirung aller
ererbten Zustände und Mißzustände -- selbst dem besten Willen der Negierung
gegenüber. Als daher, nachdem der Zvllvcreinsanschluß glücklich beseitigt
war, gegen Ende der Session die Steuerfrage wieder auftauchte, beschloß man
commissarische Berathungen derselben. Eine zwanzigjährige Erfahrung hat nun zwar
gezeigt, daß dieselben zu nichts führen. Trotzdem gab die Ritterschaft mit überwie¬
gender Majorität vorsorglich zu Protokoll, baß von den Berathungen die Frage des
Anschlusses an den Zollverein und des mecklenburgischen GrenzzolleS aus¬
geschlossen bleiben solle. Eine solche protokollarische Erklärung der Corporation
ist aber für die anzustellenden Berathungen unbedingt maßgebend. -- Um jedoch
auch hierbei der Wahrheit die Ehre zu geben, können wir das Bekenntniß
nicht unterdrücken, daß die Zahl der Zollvereinsanhänger wirklich unter allen
Bevölkerungsclassen Mecklenburgs äußerst gering ist, und am spärlichsten grade
in den Grenzdistricten nach Preußen hin. Aus die nähern Gründe dieser Er¬
scheinung hier einzugehen, wäre zu weitläufig.

ES bleibt noch übrig, einiges über die hauptsächlichsten im Lande herr¬
schenden Richtungen zu sagen. Obenan steht die lutherisch orthodore und hierar¬
chische; ihr^ zunächst die absolutistisch-büreaukratische und im wunderlichen
Widerspruche zu beiden die feudale der Gutsbesitzer. Dennoch vertragen sich
gegenwärtig alle drei vortrefflich, weil sie sich einbilden, einen gemeinsamen
Feind, "die Demokratie", bekämpfen zu müssen. Demokratie heißt nämlich jede
irgendwie freisinnige Richtung, auch die gemäßigtste und loyalste, auf jedem
Gebiet des öffentlichen Lebens. Trotzdem würde schon längst, wie fast allent¬
halben, der Bureaukratismus seine beiden Alliirten überwunden haben, wenn
nicht die ritterschaftliche Partei, d. h. "der eingeborne Adel", in seinem speciellen
Interesse eine Art Damm entgegengesetzt hätte. Man kann nicht in Abrede
stellen, daß dieser "eingeborne Adel" in politischer Intelligenz und Willens¬
kraft durchschnittlich weit höher als die "bürgerlichen Gutsbesitzer" steht. Dies
war vor 1848 anders. Damals hatten die bürgerlichen Gutsbesitzer noch alle
progressiven Bestrebungen des Landes hinter sich. Allein seitdem auch diese
"kleinen Herrn" ihre Interessen mit denen des Adels identificirt haben, ist
ihre innere Kraft und ihre äußere Autorität verschwunden. Meistens im
Schlepptau deS "eingebornen Adels" zeigen sie nur selten den überlieferten
politischen und Selbstständigkeitssinn der eigentlichen Landesaristokratie; und so
ists natürlich, daß diese namentlich auch in der ständischen "Ritterschaft" die
bürgerlichen Gutsbesitzer gänzlich in Bedeutungslosigkeit zu versenken sucht.

Darin beruht der Kern jener oft genannten, doch im nichtmecklenburgischen


irgend einem der modern konstitutionellen deutschen Staaten; der Geist, welcher
die ständischen Elemente in der größten Mehrheit beherrscht, erscheint dagegen
vollkommen mittelalterlich. Nicht um Ausbildung des constitutionellen Elements
handelt es sich den ständisch Bevorrechteten, sondern um Conservirung aller
ererbten Zustände und Mißzustände — selbst dem besten Willen der Negierung
gegenüber. Als daher, nachdem der Zvllvcreinsanschluß glücklich beseitigt
war, gegen Ende der Session die Steuerfrage wieder auftauchte, beschloß man
commissarische Berathungen derselben. Eine zwanzigjährige Erfahrung hat nun zwar
gezeigt, daß dieselben zu nichts führen. Trotzdem gab die Ritterschaft mit überwie¬
gender Majorität vorsorglich zu Protokoll, baß von den Berathungen die Frage des
Anschlusses an den Zollverein und des mecklenburgischen GrenzzolleS aus¬
geschlossen bleiben solle. Eine solche protokollarische Erklärung der Corporation
ist aber für die anzustellenden Berathungen unbedingt maßgebend. — Um jedoch
auch hierbei der Wahrheit die Ehre zu geben, können wir das Bekenntniß
nicht unterdrücken, daß die Zahl der Zollvereinsanhänger wirklich unter allen
Bevölkerungsclassen Mecklenburgs äußerst gering ist, und am spärlichsten grade
in den Grenzdistricten nach Preußen hin. Aus die nähern Gründe dieser Er¬
scheinung hier einzugehen, wäre zu weitläufig.

ES bleibt noch übrig, einiges über die hauptsächlichsten im Lande herr¬
schenden Richtungen zu sagen. Obenan steht die lutherisch orthodore und hierar¬
chische; ihr^ zunächst die absolutistisch-büreaukratische und im wunderlichen
Widerspruche zu beiden die feudale der Gutsbesitzer. Dennoch vertragen sich
gegenwärtig alle drei vortrefflich, weil sie sich einbilden, einen gemeinsamen
Feind, „die Demokratie", bekämpfen zu müssen. Demokratie heißt nämlich jede
irgendwie freisinnige Richtung, auch die gemäßigtste und loyalste, auf jedem
Gebiet des öffentlichen Lebens. Trotzdem würde schon längst, wie fast allent¬
halben, der Bureaukratismus seine beiden Alliirten überwunden haben, wenn
nicht die ritterschaftliche Partei, d. h. „der eingeborne Adel", in seinem speciellen
Interesse eine Art Damm entgegengesetzt hätte. Man kann nicht in Abrede
stellen, daß dieser „eingeborne Adel" in politischer Intelligenz und Willens¬
kraft durchschnittlich weit höher als die „bürgerlichen Gutsbesitzer" steht. Dies
war vor 1848 anders. Damals hatten die bürgerlichen Gutsbesitzer noch alle
progressiven Bestrebungen des Landes hinter sich. Allein seitdem auch diese
„kleinen Herrn" ihre Interessen mit denen des Adels identificirt haben, ist
ihre innere Kraft und ihre äußere Autorität verschwunden. Meistens im
Schlepptau deS „eingebornen Adels" zeigen sie nur selten den überlieferten
politischen und Selbstständigkeitssinn der eigentlichen Landesaristokratie; und so
ists natürlich, daß diese namentlich auch in der ständischen „Ritterschaft" die
bürgerlichen Gutsbesitzer gänzlich in Bedeutungslosigkeit zu versenken sucht.

Darin beruht der Kern jener oft genannten, doch im nichtmecklenburgischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/92>, abgerufen am 27.07.2024.