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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Blatt der Originalhcmdschrifl, im Besitz des Herrn Lollicr, welches mehr als
doppelt so viel enthält, als die entsprechende Stelle im ältesten Druck. Die
beiden andern Stücke, "der Jude" und "Eduard II." haben ungefähr gleiche
Länge mit den beiden Theilen des Tamerlan, also insofern eine Wahrschein¬
lichkeit für sich, ziemlich vollständig zu sein; freilich ist der Jude, wenn auch
>n Acte (nicht in Scenen) eingetheilt, uns nur durch eine 40, sage vierzig
Jahre nach des Autors Tode gedruckte Ausgabe bekannt und zwar durch eine
von einem spätern Dramatiker ('l'K. As^vciog) herausgegebene, von seinen
Prologen begleitete. Dagegen liegt "Eduard II." in einer fünf Jahre nach Mar-
loweS Tode erschienenen ältesten und noch mehrern andern Ausgaben vor; er
ist das längste aller Stücke und die Tamerlane würden, wenn die komischen Par¬
tien nicht absichtlich (vielleicht mit Vorwissen des Verfassers) weggelassen wären,
vermuthlich demselben an Länge gleich kommen. Diese drei Stücke also sind
es, welche die größte Wahrscheinlichkeit der Authenticität für sich haben; aus
ihnen also können wir am ersten hoffen, uns ein Bild des Dramatikers zu
entwerfen. Die lyrisch-elegischen Dichtungen, ihrer Natur nach weniger der
Verstümmelung ausgesetzt und alle in den ersten sieben Jahren nach Marlowes
Tode veröffentlicht*) bilden eine dritte authentische Quelle, obwol sie fast alle
nachahmender Art sind.

Ich werde mir daher erlauben, die beiden Tamerlane, die zugleich epoche¬
machend in der Geschichte der Dichtkunst überhaupt sind, für sich zu besprechen,
werde dann die übrigen Dramen, namentlich den "Juden" und "Eduard II."
behandeln und mit der Betrachtung der lyrisch-elegischen Werke schließen.

Der Inhalt des ersten Tamerlan ist folgender:

Erster Act. Scene -l. Mycetes, der König von Persien, sein Bruder
Cosroe und fünf bis sechs andre persische Große, darunter Ti) eridamas treten
auf. Der König klagt über die Räubereien eines cythischen Schäfers Tamer¬
lan und seiner Bande und bekennt, höchst naiv, sein eignes Unvermögen zu
regieren, Cosroe habe einen bessern Kopf, als er. Dieser beklagt das Land,
daß eS keinen klugem König habe, und nachdem Theridamas mit 1000 Rei¬
tern gegen Tamerlan gesandt ist, reizt er seinen königlichen Bruder so, daß
er im Zorne abgeht. Während Cosroe jene Klagen wiederholt und von einem
der Satrapen, Mencghon, zur Empörung überredet wird, haben sich schon
einige der mit Mycetes abgegangenen Großen verschworen und sie kommen
wieder und bringen ihm die Krone. Unter prächtigen und hochtrabenden Reden



") Die Ovidubcrschuug ("ach Ritson ILilti), die MusäuSnachbilduugen (1L98). dann
die Ballade (-Uzgv),,die Lucauübersetznng le"00). Chapman, der den Musäus vollendete,
könnte anch den Anfang umgeformt haben; dies kann aber, da der Ton so total verschieden ist,
nicht von Bedeutung gewesen sein. Die Ballade, als ein beliebtes, vielgesnngencö Lied erlitt
natürlich Veränderungen, daher die Menge der Redactionen. Die Epigramme, mit dem Ovid,
zusammen publicirt, gehören I. Davies an.
40*

Blatt der Originalhcmdschrifl, im Besitz des Herrn Lollicr, welches mehr als
doppelt so viel enthält, als die entsprechende Stelle im ältesten Druck. Die
beiden andern Stücke, „der Jude" und „Eduard II." haben ungefähr gleiche
Länge mit den beiden Theilen des Tamerlan, also insofern eine Wahrschein¬
lichkeit für sich, ziemlich vollständig zu sein; freilich ist der Jude, wenn auch
>n Acte (nicht in Scenen) eingetheilt, uns nur durch eine 40, sage vierzig
Jahre nach des Autors Tode gedruckte Ausgabe bekannt und zwar durch eine
von einem spätern Dramatiker ('l'K. As^vciog) herausgegebene, von seinen
Prologen begleitete. Dagegen liegt „Eduard II." in einer fünf Jahre nach Mar-
loweS Tode erschienenen ältesten und noch mehrern andern Ausgaben vor; er
ist das längste aller Stücke und die Tamerlane würden, wenn die komischen Par¬
tien nicht absichtlich (vielleicht mit Vorwissen des Verfassers) weggelassen wären,
vermuthlich demselben an Länge gleich kommen. Diese drei Stücke also sind
es, welche die größte Wahrscheinlichkeit der Authenticität für sich haben; aus
ihnen also können wir am ersten hoffen, uns ein Bild des Dramatikers zu
entwerfen. Die lyrisch-elegischen Dichtungen, ihrer Natur nach weniger der
Verstümmelung ausgesetzt und alle in den ersten sieben Jahren nach Marlowes
Tode veröffentlicht*) bilden eine dritte authentische Quelle, obwol sie fast alle
nachahmender Art sind.

Ich werde mir daher erlauben, die beiden Tamerlane, die zugleich epoche¬
machend in der Geschichte der Dichtkunst überhaupt sind, für sich zu besprechen,
werde dann die übrigen Dramen, namentlich den „Juden" und „Eduard II."
behandeln und mit der Betrachtung der lyrisch-elegischen Werke schließen.

Der Inhalt des ersten Tamerlan ist folgender:

Erster Act. Scene -l. Mycetes, der König von Persien, sein Bruder
Cosroe und fünf bis sechs andre persische Große, darunter Ti) eridamas treten
auf. Der König klagt über die Räubereien eines cythischen Schäfers Tamer¬
lan und seiner Bande und bekennt, höchst naiv, sein eignes Unvermögen zu
regieren, Cosroe habe einen bessern Kopf, als er. Dieser beklagt das Land,
daß eS keinen klugem König habe, und nachdem Theridamas mit 1000 Rei¬
tern gegen Tamerlan gesandt ist, reizt er seinen königlichen Bruder so, daß
er im Zorne abgeht. Während Cosroe jene Klagen wiederholt und von einem
der Satrapen, Mencghon, zur Empörung überredet wird, haben sich schon
einige der mit Mycetes abgegangenen Großen verschworen und sie kommen
wieder und bringen ihm die Krone. Unter prächtigen und hochtrabenden Reden



") Die Ovidubcrschuug (»ach Ritson ILilti), die MusäuSnachbilduugen (1L98). dann
die Ballade (-Uzgv),,die Lucauübersetznng le»00). Chapman, der den Musäus vollendete,
könnte anch den Anfang umgeformt haben; dies kann aber, da der Ton so total verschieden ist,
nicht von Bedeutung gewesen sein. Die Ballade, als ein beliebtes, vielgesnngencö Lied erlitt
natürlich Veränderungen, daher die Menge der Redactionen. Die Epigramme, mit dem Ovid,
zusammen publicirt, gehören I. Davies an.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/83>, abgerufen am 27.06.2024.