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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sehen Wesen in Napoleon den künftigen Messias der polnischen Republik be¬
grüßen, aber die Möglichkeit eines solchen Versuchs bleibt gar nicht aus¬
geschlossen und es ist daher nothwendig, daß Deutschland fortwährend den
Standpunkt, den es dabei einzunehmen hat, im Auge behält.

Der Versasser des gegenwärtigen Buchs ist zwar kein sehr gewiegter Poli¬
tiker, er erregt vielmehr zuweilen durch die Naivetät seiner Auffassung Erstaunen
(so schreibt er z. B. einen satirischen Aufsatz, den die Grenzboten 1850 brach¬
ten und den er w exwr.8o mittheilt, im vollen Ernst der Feder eines russtschen
Staatsmanns zu); aber er scheint in seiner Thätigkeit unermüdlich zu sein, wenig¬
stens erwähnt er selbst eine Reihe von Broschüren, die er früher in derselben
Angelegenheit geschrieben und verdient insofern Beachtung. Das gegenwärtige
Buch hat er noch vor Abschluß der wiener Conferenzen geschrieben; indeß
thut ihm das insofern keinen Eintrag, als seine Gründe mehr allgemeiner
Natur sind.

Daß er die Theilung Polens als einen der größten Frevel der Geschichte
brandmarkt, daß er alle Uebel, unter denen Europa seitdem gelitten hat, mit
Inbegriff der Cholera, aus dieser Theilung herleitet, versteht sich von selbst.
Interessanter ist, wie er sich die Wiederherstellung Polens denkt. "König Jo¬
hann von Sachsen ist der legitime König von Polen, der vierte Regent aus
dem sächsischen Kurhause, welchem Polen im Jahre 1791 unter Preußens und
Englands ausdrücklicher, der übrigen europäischen Staaten schweigender Zu¬
stimmung die erbliche Krone übertragen, und da ein Erbrecht eigentlich nie ver¬
jähren kann, so bleibt es sich gleich, ob schon Friedrich August am 12. Jan.
1798, dem Todestage Stanislaus Poniatowskis, oder erst heut ein Nachfolger
sein rechtmäßiges, bisher vorenthaltenes Erbe antritt. -- Das wirkliche Leben
bringt Begebenheiten, welche auf der Bühne und im Roman mitunter mühe¬
voll herangezogen werden müssen, um dem Kunstwerke Rundung und Abschluß
zu geben. Eine lange Reihe von Jahren hindurch haben die Häuser Wasa
und Sachsen um den polnischen Wahlthron, ja selbst um den leeren Titel:
"König von Polen" gekämpft. Der Kronprinz von Sachsen hat die Prinzessin
Wasa heimgeführt und werden die Ereignisse den Lauf nehmen, welchen ihnen
Gerechtigkeit und Weisheit vorzeichnen, so wirb das edle Paar, das sich über
tiefe Abgründe voll vergangenen Grauens hin die Hände gereicht, dereinst das
schönste Bild der Weltversöhnung, einen unerschütterlichen Erbthron zieren,
welcher ihre Ahnen lange entzweite, als er noch über den Wahlstürmen erbebte
und wankte."

Die Krone wäre also gefunden und es käme nur darauf an, wie
sich die bisherigen Besitzer der polnischen Lande dazu verhalten werden. Man
muß gestehen, daß der Verfasser in dieser Beziehung nicht übertrieben beschei¬
den ist. Zunächst sollen Oestreich und Preußen mit gewaffneter Hand die


sehen Wesen in Napoleon den künftigen Messias der polnischen Republik be¬
grüßen, aber die Möglichkeit eines solchen Versuchs bleibt gar nicht aus¬
geschlossen und es ist daher nothwendig, daß Deutschland fortwährend den
Standpunkt, den es dabei einzunehmen hat, im Auge behält.

Der Versasser des gegenwärtigen Buchs ist zwar kein sehr gewiegter Poli¬
tiker, er erregt vielmehr zuweilen durch die Naivetät seiner Auffassung Erstaunen
(so schreibt er z. B. einen satirischen Aufsatz, den die Grenzboten 1850 brach¬
ten und den er w exwr.8o mittheilt, im vollen Ernst der Feder eines russtschen
Staatsmanns zu); aber er scheint in seiner Thätigkeit unermüdlich zu sein, wenig¬
stens erwähnt er selbst eine Reihe von Broschüren, die er früher in derselben
Angelegenheit geschrieben und verdient insofern Beachtung. Das gegenwärtige
Buch hat er noch vor Abschluß der wiener Conferenzen geschrieben; indeß
thut ihm das insofern keinen Eintrag, als seine Gründe mehr allgemeiner
Natur sind.

Daß er die Theilung Polens als einen der größten Frevel der Geschichte
brandmarkt, daß er alle Uebel, unter denen Europa seitdem gelitten hat, mit
Inbegriff der Cholera, aus dieser Theilung herleitet, versteht sich von selbst.
Interessanter ist, wie er sich die Wiederherstellung Polens denkt. „König Jo¬
hann von Sachsen ist der legitime König von Polen, der vierte Regent aus
dem sächsischen Kurhause, welchem Polen im Jahre 1791 unter Preußens und
Englands ausdrücklicher, der übrigen europäischen Staaten schweigender Zu¬
stimmung die erbliche Krone übertragen, und da ein Erbrecht eigentlich nie ver¬
jähren kann, so bleibt es sich gleich, ob schon Friedrich August am 12. Jan.
1798, dem Todestage Stanislaus Poniatowskis, oder erst heut ein Nachfolger
sein rechtmäßiges, bisher vorenthaltenes Erbe antritt. — Das wirkliche Leben
bringt Begebenheiten, welche auf der Bühne und im Roman mitunter mühe¬
voll herangezogen werden müssen, um dem Kunstwerke Rundung und Abschluß
zu geben. Eine lange Reihe von Jahren hindurch haben die Häuser Wasa
und Sachsen um den polnischen Wahlthron, ja selbst um den leeren Titel:
„König von Polen" gekämpft. Der Kronprinz von Sachsen hat die Prinzessin
Wasa heimgeführt und werden die Ereignisse den Lauf nehmen, welchen ihnen
Gerechtigkeit und Weisheit vorzeichnen, so wirb das edle Paar, das sich über
tiefe Abgründe voll vergangenen Grauens hin die Hände gereicht, dereinst das
schönste Bild der Weltversöhnung, einen unerschütterlichen Erbthron zieren,
welcher ihre Ahnen lange entzweite, als er noch über den Wahlstürmen erbebte
und wankte."

Die Krone wäre also gefunden und es käme nur darauf an, wie
sich die bisherigen Besitzer der polnischen Lande dazu verhalten werden. Man
muß gestehen, daß der Verfasser in dieser Beziehung nicht übertrieben beschei¬
den ist. Zunächst sollen Oestreich und Preußen mit gewaffneter Hand die


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[0071] sehen Wesen in Napoleon den künftigen Messias der polnischen Republik be¬ grüßen, aber die Möglichkeit eines solchen Versuchs bleibt gar nicht aus¬ geschlossen und es ist daher nothwendig, daß Deutschland fortwährend den Standpunkt, den es dabei einzunehmen hat, im Auge behält. Der Versasser des gegenwärtigen Buchs ist zwar kein sehr gewiegter Poli¬ tiker, er erregt vielmehr zuweilen durch die Naivetät seiner Auffassung Erstaunen (so schreibt er z. B. einen satirischen Aufsatz, den die Grenzboten 1850 brach¬ ten und den er w exwr.8o mittheilt, im vollen Ernst der Feder eines russtschen Staatsmanns zu); aber er scheint in seiner Thätigkeit unermüdlich zu sein, wenig¬ stens erwähnt er selbst eine Reihe von Broschüren, die er früher in derselben Angelegenheit geschrieben und verdient insofern Beachtung. Das gegenwärtige Buch hat er noch vor Abschluß der wiener Conferenzen geschrieben; indeß thut ihm das insofern keinen Eintrag, als seine Gründe mehr allgemeiner Natur sind. Daß er die Theilung Polens als einen der größten Frevel der Geschichte brandmarkt, daß er alle Uebel, unter denen Europa seitdem gelitten hat, mit Inbegriff der Cholera, aus dieser Theilung herleitet, versteht sich von selbst. Interessanter ist, wie er sich die Wiederherstellung Polens denkt. „König Jo¬ hann von Sachsen ist der legitime König von Polen, der vierte Regent aus dem sächsischen Kurhause, welchem Polen im Jahre 1791 unter Preußens und Englands ausdrücklicher, der übrigen europäischen Staaten schweigender Zu¬ stimmung die erbliche Krone übertragen, und da ein Erbrecht eigentlich nie ver¬ jähren kann, so bleibt es sich gleich, ob schon Friedrich August am 12. Jan. 1798, dem Todestage Stanislaus Poniatowskis, oder erst heut ein Nachfolger sein rechtmäßiges, bisher vorenthaltenes Erbe antritt. — Das wirkliche Leben bringt Begebenheiten, welche auf der Bühne und im Roman mitunter mühe¬ voll herangezogen werden müssen, um dem Kunstwerke Rundung und Abschluß zu geben. Eine lange Reihe von Jahren hindurch haben die Häuser Wasa und Sachsen um den polnischen Wahlthron, ja selbst um den leeren Titel: „König von Polen" gekämpft. Der Kronprinz von Sachsen hat die Prinzessin Wasa heimgeführt und werden die Ereignisse den Lauf nehmen, welchen ihnen Gerechtigkeit und Weisheit vorzeichnen, so wirb das edle Paar, das sich über tiefe Abgründe voll vergangenen Grauens hin die Hände gereicht, dereinst das schönste Bild der Weltversöhnung, einen unerschütterlichen Erbthron zieren, welcher ihre Ahnen lange entzweite, als er noch über den Wahlstürmen erbebte und wankte." Die Krone wäre also gefunden und es käme nur darauf an, wie sich die bisherigen Besitzer der polnischen Lande dazu verhalten werden. Man muß gestehen, daß der Verfasser in dieser Beziehung nicht übertrieben beschei¬ den ist. Zunächst sollen Oestreich und Preußen mit gewaffneter Hand die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/71>, abgerufen am 05.07.2024.