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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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weil die Arbeit durch die Beimischung eines sinnlichen Vergnügens erleichtert
werde. Einen ähnlichen Scharfsinn in der. Absurdität entwickelt PhilodemuS,
um das Argument seiner Gegner zu entkräften, daß religiöse Hymnen gesungen
einen größern Eindruck machten als ohne Musik vorgetragen. Auch hier be¬
hauptet er, die Wirkung des Gedichts werde nicht durch die Melodie erhöht,
sondern eS werde durch diese nur eine für sich bestehende sinnliche Ergötzung
der geistigen hinzugefügt, die aus dem Gedicht hervorgehe; sodann trage die
Nebenvorstellung der Ehre, die den Göttern durch die Musik erwiesen wird, da¬
zu bei, den gesungenen Text vorzüglicher erscheinen zu lassen, als den gesprochenen'.,
Ein einziges Argument des stoischen Urwalds der Musik bekämpft PhilodemuS
einigermaßen glücklich. Diogenes hat sich auf die Achtung berufen, welche die
von ihm vertheidigte Kunst im Alterthum genossen habe. Aber diejenigen,
sagt Philodemus, welche der Meinung sind, daß die ganze von ihrem System
abweichende Menschheit sich in völliger Raserei befinde, haben nicht das Recht,
an das Urtheil derselben Menschheit zu appelliren. Uebrigens werde dies Ar-
etien des Alterthums durch die Vernachlässigung der Musik in neuerer Zeit
wieder aufgehoben. -- Diese Bemerkung ist daS einzige etwa Interessante in der
ganzen Abhandlung, von der die Leser schwerlich wünschen werden, mehr als
diese Probe kennen zu lernen.

Von größerem Interesse als diese "Haarspaltereien des im Gebiet deS Ab¬
surden lustwandelnder Menschenverstandes" würde ein, wenn auch mittelmäßiges,
lateinisches Epos in Herametern sein, das die Eroberung Aegyptens durch
Octavian nach der Schlacht bei Antium zum Gegenstand hatte; umso mehr, als
es von einem den Ereignissen nahestehenden Dichter herrühren muß, denn vom
Tode KleopatraS bis auf die Zerstörung Herculanums waren nur 110 Jahre
""flössen. Aber die Papyrusrolle, die das Epos oder vielleicht nur einen Ge¬
sang desselben enthielt, war oberhalb und zwar zum größern Theil zerstört,
und nur von 7 Columnen konnte dies übriggebliebene Drittheil entzifferrt wer¬
den, so daß wir im Ganzen nicht mehr als 37 Verse kennen, von denen die
wenigsten ganz vollständig, die meisten zur Hälfte ergänzt sind. In der That
<ki^<ze.ki momdra poeta"! Ueber den Autor'dieses Gedichts hat man nur Ver¬
muthungen, jedenfalls ist er mittelmäßig gewesen. Das einzige etwas längere
Fragment, das eine Beurtheilung erlaubt, beschreibt, wie Kleopatra mit ver¬
schiedenen Todesarten an Verbrechern erperimentirt, um den leichtesten Tod
kennen zu lernen, was auch die Historiker erzählen. Die Beschreibung ist im
höchsten Grade kahl und nüchtern, und entbehrt selbst den rhetorischen Schwung,
durch den sich Lucan und ähnliche auszeichnen.

Im Ganzen müssen wir nach den bisherigen Publicationen der herculani-
schen Rollen Winckelmann beistimmen, der daS Wort des alten Fabeldichters auf
diese Entdeckung anwendet, daß wir anstatt eines Schatzes eitel Kohlen gefür-


weil die Arbeit durch die Beimischung eines sinnlichen Vergnügens erleichtert
werde. Einen ähnlichen Scharfsinn in der. Absurdität entwickelt PhilodemuS,
um das Argument seiner Gegner zu entkräften, daß religiöse Hymnen gesungen
einen größern Eindruck machten als ohne Musik vorgetragen. Auch hier be¬
hauptet er, die Wirkung des Gedichts werde nicht durch die Melodie erhöht,
sondern eS werde durch diese nur eine für sich bestehende sinnliche Ergötzung
der geistigen hinzugefügt, die aus dem Gedicht hervorgehe; sodann trage die
Nebenvorstellung der Ehre, die den Göttern durch die Musik erwiesen wird, da¬
zu bei, den gesungenen Text vorzüglicher erscheinen zu lassen, als den gesprochenen'.,
Ein einziges Argument des stoischen Urwalds der Musik bekämpft PhilodemuS
einigermaßen glücklich. Diogenes hat sich auf die Achtung berufen, welche die
von ihm vertheidigte Kunst im Alterthum genossen habe. Aber diejenigen,
sagt Philodemus, welche der Meinung sind, daß die ganze von ihrem System
abweichende Menschheit sich in völliger Raserei befinde, haben nicht das Recht,
an das Urtheil derselben Menschheit zu appelliren. Uebrigens werde dies Ar-
etien des Alterthums durch die Vernachlässigung der Musik in neuerer Zeit
wieder aufgehoben. — Diese Bemerkung ist daS einzige etwa Interessante in der
ganzen Abhandlung, von der die Leser schwerlich wünschen werden, mehr als
diese Probe kennen zu lernen.

Von größerem Interesse als diese „Haarspaltereien des im Gebiet deS Ab¬
surden lustwandelnder Menschenverstandes" würde ein, wenn auch mittelmäßiges,
lateinisches Epos in Herametern sein, das die Eroberung Aegyptens durch
Octavian nach der Schlacht bei Antium zum Gegenstand hatte; umso mehr, als
es von einem den Ereignissen nahestehenden Dichter herrühren muß, denn vom
Tode KleopatraS bis auf die Zerstörung Herculanums waren nur 110 Jahre
»»flössen. Aber die Papyrusrolle, die das Epos oder vielleicht nur einen Ge¬
sang desselben enthielt, war oberhalb und zwar zum größern Theil zerstört,
und nur von 7 Columnen konnte dies übriggebliebene Drittheil entzifferrt wer¬
den, so daß wir im Ganzen nicht mehr als 37 Verse kennen, von denen die
wenigsten ganz vollständig, die meisten zur Hälfte ergänzt sind. In der That
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muthungen, jedenfalls ist er mittelmäßig gewesen. Das einzige etwas längere
Fragment, das eine Beurtheilung erlaubt, beschreibt, wie Kleopatra mit ver¬
schiedenen Todesarten an Verbrechern erperimentirt, um den leichtesten Tod
kennen zu lernen, was auch die Historiker erzählen. Die Beschreibung ist im
höchsten Grade kahl und nüchtern, und entbehrt selbst den rhetorischen Schwung,
durch den sich Lucan und ähnliche auszeichnen.

Im Ganzen müssen wir nach den bisherigen Publicationen der herculani-
schen Rollen Winckelmann beistimmen, der daS Wort des alten Fabeldichters auf
diese Entdeckung anwendet, daß wir anstatt eines Schatzes eitel Kohlen gefür-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/69>, abgerufen am 27.06.2024.