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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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7. s,) Parkschit. b) Dschemschit, <-) Menes. a) Theseus. s) Salomon, k) Romulus.
8. Ä) Buddha, d) Hom. o) Sochis, <Y Pythag^'raS, s) Esra, H --

Bei den Römer" ist unter 8 statt des fehlenden römischen Weisen die ..Verpflanzung der
griechischen Kunst auf römisches Gebiet" angedeutet.

Heiliger Gott, was sind wir für gelehrte Leute! Man glaubt in der That
in einem zweiten alerandrinischen Zeitalter zu leben. Was das alles für
Namen sind! Man kann sie kaum aussprechen. Was in der romantischen
Schule mir Sehnsucht und Idee war, das wird jetzt wirklich ausgeführt. Eine
universelle Weltreligion, in der die Mythologien und Geschichten aller Völker
ihre Stelle finden. Nur leider sieht diese Mythologie wie ein großes Her¬
barium aus. Man hat die Pflanzen aus ihrem natürlichen Boden gerissen,
und sie sind vertrocknet. Man sage auch nicht, es sei gleichgiltig, ob diese be¬
scheidenen grauen Striche wirklich Arabesken oder sinnvolle Anspielungen ent¬
halten. An sich liegt freilich nichts daran, aber es charakterisirt den Geist, in
dem das Ganze aufgefaßt ist. Man hat den großen Aufschwung unsrer bil¬
denden Kunst seit dem letzten Menschenalter mit Freude begrüßt, und eS ist
in der That bewundernswürdig, was für vorzügliche Talente nach einer so
langen Periode des Stillstands plötzlich hervorgetreten sind. Aber die fast
durchaus reflectirende Richtung dieser Talente ist doch bedenklich, und es muß sich
erst entscheiden, ob die wahrhaft schöpferische Kraft mit dem reich entwickelten
Formtalent Hand in Hand geht. Es ist nicht Kaulbach allein, den das trifft.
Das ganze neue Museum leidet an dem Fehler einer zu weit gehenden In¬
tention. Es begnügt sich nicht damit, für seine Sammlungen einen angemesse¬
nen würdigen Raum herzustellen, sondern es sucht diesen Raum im Sinn der
Alterthümer selbst zu individualisiren, und das kann nicht gelingen.

Viel erfreulicher als diese symbolischen Versuche ist der Kuppelsaal, der
sich über die eine Seite des Hauptstockwerks erhebt und der drei vorzügliche
Wandgemälde enthält: die Taufe Wittekinds durch Karl den Großen nach
Kaulbachs Carton ausgeführt von Graef, die Einweihung der Sophienkirche
in Konstantinopel durch den Kaiser Justinian von Schrader und die Erhebung
des Christenthums zur Staatsreligion durch Konstantin den Großen von Stille.
Das erste gehört zu den vorzüglichsten Bildern des berühmten Meisters. Es
ist sehr einfach in reinem Stil componirt, ohne in steife Symmetrie zu ver¬
sallen, voll von natürlichem Leben und Bewegung und doch einen ruhigen
Eindruck hervorbringend. Gegen den Ausdruck der beiden Hauptgesichter hätten
wir denselben Einwand zu machen, auf den wir schon mehrfach hingedeutet
haben. Der Künstler nimmt, um Kraft und Stärke auszudrücken, einen zu
großen Anlauf; man sieht, daß es ihm Mühe macht.

Durchmustern wir noch eilig die kleinen Gemälde in den übrigen Sälen,
so verdienen das größte Lob die Landschaften in den griechisch-römischen Sälen


7. s,) Parkschit. b) Dschemschit, <-) Menes. a) Theseus. s) Salomon, k) Romulus.
8. Ä) Buddha, d) Hom. o) Sochis, <Y Pythag^'raS, s) Esra, H —

Bei den Römer» ist unter 8 statt des fehlenden römischen Weisen die ..Verpflanzung der
griechischen Kunst auf römisches Gebiet" angedeutet.

Heiliger Gott, was sind wir für gelehrte Leute! Man glaubt in der That
in einem zweiten alerandrinischen Zeitalter zu leben. Was das alles für
Namen sind! Man kann sie kaum aussprechen. Was in der romantischen
Schule mir Sehnsucht und Idee war, das wird jetzt wirklich ausgeführt. Eine
universelle Weltreligion, in der die Mythologien und Geschichten aller Völker
ihre Stelle finden. Nur leider sieht diese Mythologie wie ein großes Her¬
barium aus. Man hat die Pflanzen aus ihrem natürlichen Boden gerissen,
und sie sind vertrocknet. Man sage auch nicht, es sei gleichgiltig, ob diese be¬
scheidenen grauen Striche wirklich Arabesken oder sinnvolle Anspielungen ent¬
halten. An sich liegt freilich nichts daran, aber es charakterisirt den Geist, in
dem das Ganze aufgefaßt ist. Man hat den großen Aufschwung unsrer bil¬
denden Kunst seit dem letzten Menschenalter mit Freude begrüßt, und eS ist
in der That bewundernswürdig, was für vorzügliche Talente nach einer so
langen Periode des Stillstands plötzlich hervorgetreten sind. Aber die fast
durchaus reflectirende Richtung dieser Talente ist doch bedenklich, und es muß sich
erst entscheiden, ob die wahrhaft schöpferische Kraft mit dem reich entwickelten
Formtalent Hand in Hand geht. Es ist nicht Kaulbach allein, den das trifft.
Das ganze neue Museum leidet an dem Fehler einer zu weit gehenden In¬
tention. Es begnügt sich nicht damit, für seine Sammlungen einen angemesse¬
nen würdigen Raum herzustellen, sondern es sucht diesen Raum im Sinn der
Alterthümer selbst zu individualisiren, und das kann nicht gelingen.

Viel erfreulicher als diese symbolischen Versuche ist der Kuppelsaal, der
sich über die eine Seite des Hauptstockwerks erhebt und der drei vorzügliche
Wandgemälde enthält: die Taufe Wittekinds durch Karl den Großen nach
Kaulbachs Carton ausgeführt von Graef, die Einweihung der Sophienkirche
in Konstantinopel durch den Kaiser Justinian von Schrader und die Erhebung
des Christenthums zur Staatsreligion durch Konstantin den Großen von Stille.
Das erste gehört zu den vorzüglichsten Bildern des berühmten Meisters. Es
ist sehr einfach in reinem Stil componirt, ohne in steife Symmetrie zu ver¬
sallen, voll von natürlichem Leben und Bewegung und doch einen ruhigen
Eindruck hervorbringend. Gegen den Ausdruck der beiden Hauptgesichter hätten
wir denselben Einwand zu machen, auf den wir schon mehrfach hingedeutet
haben. Der Künstler nimmt, um Kraft und Stärke auszudrücken, einen zu
großen Anlauf; man sieht, daß es ihm Mühe macht.

Durchmustern wir noch eilig die kleinen Gemälde in den übrigen Sälen,
so verdienen das größte Lob die Landschaften in den griechisch-römischen Sälen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/62>, abgerufen am 27.06.2024.