Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bedeutend vermehrt, und das neue Museum stellt sich sowol durch seine Lage
wie durch seinen Inhalt als der Mittelpunkt derselben dar. Von der Akademie
bis zum neuen Museum hin ist eine Fülle von architektonischen und plastischen
Versuchen vorhanden, die zum Theil durch ihre Schönheit fesselt, zum Theil
durch ihre bunte Mannigfaltigkeit verwirrt. Die Stile und Kunstgattungen
der verschiedenartigsten Zeiten reihen sich so hart aneinander, daß daraus ge¬
wissermaßen eine neue Einheit entsteht, -- die Einheit der Caprice. Charakte¬
ristisch ist es, daß einer der großartigsten Versuche, das Fundament des neuen
Doms, gewissermaßen schon als eine moderne Ruine daliegt. Der Kreis der
preußischen Feldherrn zwischen dem Opernhause und der Wache hat sich um
zwei vermehrt: York und Gneisenau; und wenn auch die Ausführung,
namentlich des letzteren, manches zu wünschen übrigläßt, so ist doch dadurch
wieder ein lebendiges Stück preußischer Geschichte gewonnen, das im Zusam-
menhang mit dem Friedrichsdenkmal der Hauptstadt eines kühn emporstrebenden
Staates würdig ist. Weniger in den historischen und architektonischen Zusam¬
menhang des ganzen Stadttheils wollen die Gruppen auf der Schloßbrücke
passen, die sich durch das hohe Fußgestell und die weiße Farbe schon von
weitem dem Blicke aufdrängen, und den realistischen Charakter der übrigen
Statuen beeinträchtigen. Natürlich gehöre ich nicht zu den christlichen Eiferern,
welche der antiken Kunst überhaupt den Zugang zum modernen Leben ver¬
schließen möchten, aber jedes Kunstwerk erfordert doch seine bestimmte Stelle,
und auf die Schloßbrücke zwischen das Friedrichsdenkmal und den großen
Kurfürsten gehört die Antike unzweifelhaft nicht. Daß die Fußgestelle viel
zu hoch sind, sowol für die richtige Anschauung der Gruppen als für den
architektonischen Gesammteindruck, darüber ist eilte Welt einig.

In das neue Museum selbst wird man zwar nicht mehr durch die alte
Schneemasse geführt, aber man empfängt beim Eingange noch immer nicht
einen bestimmten Eindruck von der architektonischen Anlage des Ganzen, ob¬
gleich man auch in dieser Beziehung der Vollendung viel näher gekommen ist.
Im Treppenhaus ist die eine Wand jetzt vollständig enthüllt, auf der andern
Wand ist die Hunnenschlacht fertig, die Reliefs sind in übergroßer Zahl überall
angebracht, wo irgend ein Platz frei war; und so kann man auch hier die
künftige Vollendung sich ziemlich deutlich versinnlichen. Das ägyptische Mu¬
seum in der untern Etage war schon früher fertig, für das gegenüberliegende
deutsche scheint es -- charakteristisch genug -- an Stoff zu fehlen, denn was
bis jetzt darin aufgestellt ist, hat mehr das Ansehen einer Rumpelkammer. Die
Säle der zweiten Etage, in denen die Gypsabgüsse in historischer Reihen¬
folge aufgestellt sind, von Phidias und den Aegineten bis zu Thorwaldsen,
sind beinahe fertig, obgleich man^noch immer von Zeit zu Zeit einen kleinen
leeren Platz entdeckt, wo etwas Neues aufgestellt werden kann. An der dritten


bedeutend vermehrt, und das neue Museum stellt sich sowol durch seine Lage
wie durch seinen Inhalt als der Mittelpunkt derselben dar. Von der Akademie
bis zum neuen Museum hin ist eine Fülle von architektonischen und plastischen
Versuchen vorhanden, die zum Theil durch ihre Schönheit fesselt, zum Theil
durch ihre bunte Mannigfaltigkeit verwirrt. Die Stile und Kunstgattungen
der verschiedenartigsten Zeiten reihen sich so hart aneinander, daß daraus ge¬
wissermaßen eine neue Einheit entsteht, — die Einheit der Caprice. Charakte¬
ristisch ist es, daß einer der großartigsten Versuche, das Fundament des neuen
Doms, gewissermaßen schon als eine moderne Ruine daliegt. Der Kreis der
preußischen Feldherrn zwischen dem Opernhause und der Wache hat sich um
zwei vermehrt: York und Gneisenau; und wenn auch die Ausführung,
namentlich des letzteren, manches zu wünschen übrigläßt, so ist doch dadurch
wieder ein lebendiges Stück preußischer Geschichte gewonnen, das im Zusam-
menhang mit dem Friedrichsdenkmal der Hauptstadt eines kühn emporstrebenden
Staates würdig ist. Weniger in den historischen und architektonischen Zusam¬
menhang des ganzen Stadttheils wollen die Gruppen auf der Schloßbrücke
passen, die sich durch das hohe Fußgestell und die weiße Farbe schon von
weitem dem Blicke aufdrängen, und den realistischen Charakter der übrigen
Statuen beeinträchtigen. Natürlich gehöre ich nicht zu den christlichen Eiferern,
welche der antiken Kunst überhaupt den Zugang zum modernen Leben ver¬
schließen möchten, aber jedes Kunstwerk erfordert doch seine bestimmte Stelle,
und auf die Schloßbrücke zwischen das Friedrichsdenkmal und den großen
Kurfürsten gehört die Antike unzweifelhaft nicht. Daß die Fußgestelle viel
zu hoch sind, sowol für die richtige Anschauung der Gruppen als für den
architektonischen Gesammteindruck, darüber ist eilte Welt einig.

In das neue Museum selbst wird man zwar nicht mehr durch die alte
Schneemasse geführt, aber man empfängt beim Eingange noch immer nicht
einen bestimmten Eindruck von der architektonischen Anlage des Ganzen, ob¬
gleich man auch in dieser Beziehung der Vollendung viel näher gekommen ist.
Im Treppenhaus ist die eine Wand jetzt vollständig enthüllt, auf der andern
Wand ist die Hunnenschlacht fertig, die Reliefs sind in übergroßer Zahl überall
angebracht, wo irgend ein Platz frei war; und so kann man auch hier die
künftige Vollendung sich ziemlich deutlich versinnlichen. Das ägyptische Mu¬
seum in der untern Etage war schon früher fertig, für das gegenüberliegende
deutsche scheint es — charakteristisch genug — an Stoff zu fehlen, denn was
bis jetzt darin aufgestellt ist, hat mehr das Ansehen einer Rumpelkammer. Die
Säle der zweiten Etage, in denen die Gypsabgüsse in historischer Reihen¬
folge aufgestellt sind, von Phidias und den Aegineten bis zu Thorwaldsen,
sind beinahe fertig, obgleich man^noch immer von Zeit zu Zeit einen kleinen
leeren Platz entdeckt, wo etwas Neues aufgestellt werden kann. An der dritten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101581"/>
            <p xml:id="ID_113" prev="#ID_112"> bedeutend vermehrt, und das neue Museum stellt sich sowol durch seine Lage<lb/>
wie durch seinen Inhalt als der Mittelpunkt derselben dar. Von der Akademie<lb/>
bis zum neuen Museum hin ist eine Fülle von architektonischen und plastischen<lb/>
Versuchen vorhanden, die zum Theil durch ihre Schönheit fesselt, zum Theil<lb/>
durch ihre bunte Mannigfaltigkeit verwirrt. Die Stile und Kunstgattungen<lb/>
der verschiedenartigsten Zeiten reihen sich so hart aneinander, daß daraus ge¬<lb/>
wissermaßen eine neue Einheit entsteht, &#x2014; die Einheit der Caprice. Charakte¬<lb/>
ristisch ist es, daß einer der großartigsten Versuche, das Fundament des neuen<lb/>
Doms, gewissermaßen schon als eine moderne Ruine daliegt. Der Kreis der<lb/>
preußischen Feldherrn zwischen dem Opernhause und der Wache hat sich um<lb/>
zwei vermehrt: York und Gneisenau; und wenn auch die Ausführung,<lb/>
namentlich des letzteren, manches zu wünschen übrigläßt, so ist doch dadurch<lb/>
wieder ein lebendiges Stück preußischer Geschichte gewonnen, das im Zusam-<lb/>
menhang mit dem Friedrichsdenkmal der Hauptstadt eines kühn emporstrebenden<lb/>
Staates würdig ist. Weniger in den historischen und architektonischen Zusam¬<lb/>
menhang des ganzen Stadttheils wollen die Gruppen auf der Schloßbrücke<lb/>
passen, die sich durch das hohe Fußgestell und die weiße Farbe schon von<lb/>
weitem dem Blicke aufdrängen, und den realistischen Charakter der übrigen<lb/>
Statuen beeinträchtigen. Natürlich gehöre ich nicht zu den christlichen Eiferern,<lb/>
welche der antiken Kunst überhaupt den Zugang zum modernen Leben ver¬<lb/>
schließen möchten, aber jedes Kunstwerk erfordert doch seine bestimmte Stelle,<lb/>
und auf die Schloßbrücke zwischen das Friedrichsdenkmal und den großen<lb/>
Kurfürsten gehört die Antike unzweifelhaft nicht. Daß die Fußgestelle viel<lb/>
zu hoch sind, sowol für die richtige Anschauung der Gruppen als für den<lb/>
architektonischen Gesammteindruck, darüber ist eilte Welt einig.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_114" next="#ID_115"> In das neue Museum selbst wird man zwar nicht mehr durch die alte<lb/>
Schneemasse geführt, aber man empfängt beim Eingange noch immer nicht<lb/>
einen bestimmten Eindruck von der architektonischen Anlage des Ganzen, ob¬<lb/>
gleich man auch in dieser Beziehung der Vollendung viel näher gekommen ist.<lb/>
Im Treppenhaus ist die eine Wand jetzt vollständig enthüllt, auf der andern<lb/>
Wand ist die Hunnenschlacht fertig, die Reliefs sind in übergroßer Zahl überall<lb/>
angebracht, wo irgend ein Platz frei war; und so kann man auch hier die<lb/>
künftige Vollendung sich ziemlich deutlich versinnlichen. Das ägyptische Mu¬<lb/>
seum in der untern Etage war schon früher fertig, für das gegenüberliegende<lb/>
deutsche scheint es &#x2014; charakteristisch genug &#x2014; an Stoff zu fehlen, denn was<lb/>
bis jetzt darin aufgestellt ist, hat mehr das Ansehen einer Rumpelkammer. Die<lb/>
Säle der zweiten Etage, in denen die Gypsabgüsse in historischer Reihen¬<lb/>
folge aufgestellt sind, von Phidias und den Aegineten bis zu Thorwaldsen,<lb/>
sind beinahe fertig, obgleich man^noch immer von Zeit zu Zeit einen kleinen<lb/>
leeren Platz entdeckt, wo etwas Neues aufgestellt werden kann. An der dritten</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] bedeutend vermehrt, und das neue Museum stellt sich sowol durch seine Lage wie durch seinen Inhalt als der Mittelpunkt derselben dar. Von der Akademie bis zum neuen Museum hin ist eine Fülle von architektonischen und plastischen Versuchen vorhanden, die zum Theil durch ihre Schönheit fesselt, zum Theil durch ihre bunte Mannigfaltigkeit verwirrt. Die Stile und Kunstgattungen der verschiedenartigsten Zeiten reihen sich so hart aneinander, daß daraus ge¬ wissermaßen eine neue Einheit entsteht, — die Einheit der Caprice. Charakte¬ ristisch ist es, daß einer der großartigsten Versuche, das Fundament des neuen Doms, gewissermaßen schon als eine moderne Ruine daliegt. Der Kreis der preußischen Feldherrn zwischen dem Opernhause und der Wache hat sich um zwei vermehrt: York und Gneisenau; und wenn auch die Ausführung, namentlich des letzteren, manches zu wünschen übrigläßt, so ist doch dadurch wieder ein lebendiges Stück preußischer Geschichte gewonnen, das im Zusam- menhang mit dem Friedrichsdenkmal der Hauptstadt eines kühn emporstrebenden Staates würdig ist. Weniger in den historischen und architektonischen Zusam¬ menhang des ganzen Stadttheils wollen die Gruppen auf der Schloßbrücke passen, die sich durch das hohe Fußgestell und die weiße Farbe schon von weitem dem Blicke aufdrängen, und den realistischen Charakter der übrigen Statuen beeinträchtigen. Natürlich gehöre ich nicht zu den christlichen Eiferern, welche der antiken Kunst überhaupt den Zugang zum modernen Leben ver¬ schließen möchten, aber jedes Kunstwerk erfordert doch seine bestimmte Stelle, und auf die Schloßbrücke zwischen das Friedrichsdenkmal und den großen Kurfürsten gehört die Antike unzweifelhaft nicht. Daß die Fußgestelle viel zu hoch sind, sowol für die richtige Anschauung der Gruppen als für den architektonischen Gesammteindruck, darüber ist eilte Welt einig. In das neue Museum selbst wird man zwar nicht mehr durch die alte Schneemasse geführt, aber man empfängt beim Eingange noch immer nicht einen bestimmten Eindruck von der architektonischen Anlage des Ganzen, ob¬ gleich man auch in dieser Beziehung der Vollendung viel näher gekommen ist. Im Treppenhaus ist die eine Wand jetzt vollständig enthüllt, auf der andern Wand ist die Hunnenschlacht fertig, die Reliefs sind in übergroßer Zahl überall angebracht, wo irgend ein Platz frei war; und so kann man auch hier die künftige Vollendung sich ziemlich deutlich versinnlichen. Das ägyptische Mu¬ seum in der untern Etage war schon früher fertig, für das gegenüberliegende deutsche scheint es — charakteristisch genug — an Stoff zu fehlen, denn was bis jetzt darin aufgestellt ist, hat mehr das Ansehen einer Rumpelkammer. Die Säle der zweiten Etage, in denen die Gypsabgüsse in historischer Reihen¬ folge aufgestellt sind, von Phidias und den Aegineten bis zu Thorwaldsen, sind beinahe fertig, obgleich man^noch immer von Zeit zu Zeit einen kleinen leeren Platz entdeckt, wo etwas Neues aufgestellt werden kann. An der dritten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/54>, abgerufen am 27.06.2024.