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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Das londoner Protokoll war ein Versuch, den auf Rußlands Antrieb die
Großmächte machten, um die Trennung der deutschen Herzogthümer von Däne¬
mark und Dänemarks Vereinigung mit Schweden uno Norwegen zu einer
skandinavischen Union zu verhindern, welches letztere bei dem Ausbruch der
Revolution in Kopenhagen, im März -1848, im Plane der dortigen skandi¬
navischen Partei lag. > Der Kampf mit den Herzogthümern galt damals nur
dem Herzogthum Schleswig, welches die skandinavische Partei in Kopenhagen
der Union mit Schweden und Norwegen als "Morgengabe" mitbringen
wollte. Die deutschen Bundeslande, Holstein und Lauenburg dagegen wollte
die Partei los sein; deshalb war sie auch geneigt, auf den von England ge¬
machten Vorschlag.einer Theilung Schleswigs einzugehen, welcher Vorschlag
indessen an der Kurzsichtigkeit der damalige" provisorischen Regierung in den
Herzogthümern scheiterte und welcher gänzlich zu Grabe getragen wurde, als
das dänische Märzministerium im November -1848, auf Verlangen Rußlands,
einem andern Ministerium Platz machen mußte.

Man glaubte bei Unterzeichnung des londoner Protokolls dem natur¬
gemäßen Verfall der dänischen Monarchie dadurch vorbeugen zu können, daß
man für den deutschen und dänischen Theil der Monarchie eine neue Thron¬
folgeordnung schuf und für alle verschiedenen Theile der Monarchie eine gemein¬
same Verfassung einführte, neben welcher jeder einzelne Theil auch noch seine
eigne Verfassung erhielt. Ohne Berücksichtigung der verschiedenen Nationali¬
täten , Verhältnisse, Rechte, Gesetze und Volkscharaktere in den einzelnen
Theilen dieses neugebildeten Gesammtstaats glaubte man in London, durch
einen auf Papier geschriebenen Machtspruch alle Schwierigkeiten, zu welchen
der Streit zwischen Dänemark und den deutschen Herzogthümern die Vcran->
lassung gegeben hatte, beseitigen zu können und man hoffte dadurch einer Ver¬
legenheit aus dem Wege gegangen zu sein, die schon lange wie ein Alp auf
die europäische Diplomatie drückte. Niemand, außer Nußland, am wenigsten
aber England, erkannte damals, welche Folgen das londoner Protokoll für den
neugebildeten Gesammtstaat haben mußte. Niemand scheint begriffen zu haben,
daß eine Monarchie von kaum zwei Millionen Menschen mit halb skandinavi¬
scher, halb deutscher Bevölkerung, gebildet aus einem skandinavische" König¬
reiche mit den vom Mutterlande entfernt liegenden JnselnJsland und den Faröern,
einem halb dänischen, halb deutschen Herzogthum und zweien ganz deutschen,
zum deutschen Bunde gehörenden Herzogthümern, von welcher jeder einzelne'
Theil seine eigne Verfassung, alle Theile zusammen aber eine gemeinsame
Verfassung erhielten, ein so complicirtes Staatsgebäude ist, daß in dieser
Staatsorganisation selbst der Keim zu dessen baldiger Auflösung liegt. In der
dänischen Monarchie bestehen nicht weniger als sieben verschiedene repräsen¬
tative Verfassungen mit acht repräsentativen Versammlungen und mit


Das londoner Protokoll war ein Versuch, den auf Rußlands Antrieb die
Großmächte machten, um die Trennung der deutschen Herzogthümer von Däne¬
mark und Dänemarks Vereinigung mit Schweden uno Norwegen zu einer
skandinavischen Union zu verhindern, welches letztere bei dem Ausbruch der
Revolution in Kopenhagen, im März -1848, im Plane der dortigen skandi¬
navischen Partei lag. > Der Kampf mit den Herzogthümern galt damals nur
dem Herzogthum Schleswig, welches die skandinavische Partei in Kopenhagen
der Union mit Schweden und Norwegen als „Morgengabe" mitbringen
wollte. Die deutschen Bundeslande, Holstein und Lauenburg dagegen wollte
die Partei los sein; deshalb war sie auch geneigt, auf den von England ge¬
machten Vorschlag.einer Theilung Schleswigs einzugehen, welcher Vorschlag
indessen an der Kurzsichtigkeit der damalige» provisorischen Regierung in den
Herzogthümern scheiterte und welcher gänzlich zu Grabe getragen wurde, als
das dänische Märzministerium im November -1848, auf Verlangen Rußlands,
einem andern Ministerium Platz machen mußte.

Man glaubte bei Unterzeichnung des londoner Protokolls dem natur¬
gemäßen Verfall der dänischen Monarchie dadurch vorbeugen zu können, daß
man für den deutschen und dänischen Theil der Monarchie eine neue Thron¬
folgeordnung schuf und für alle verschiedenen Theile der Monarchie eine gemein¬
same Verfassung einführte, neben welcher jeder einzelne Theil auch noch seine
eigne Verfassung erhielt. Ohne Berücksichtigung der verschiedenen Nationali¬
täten , Verhältnisse, Rechte, Gesetze und Volkscharaktere in den einzelnen
Theilen dieses neugebildeten Gesammtstaats glaubte man in London, durch
einen auf Papier geschriebenen Machtspruch alle Schwierigkeiten, zu welchen
der Streit zwischen Dänemark und den deutschen Herzogthümern die Vcran->
lassung gegeben hatte, beseitigen zu können und man hoffte dadurch einer Ver¬
legenheit aus dem Wege gegangen zu sein, die schon lange wie ein Alp auf
die europäische Diplomatie drückte. Niemand, außer Nußland, am wenigsten
aber England, erkannte damals, welche Folgen das londoner Protokoll für den
neugebildeten Gesammtstaat haben mußte. Niemand scheint begriffen zu haben,
daß eine Monarchie von kaum zwei Millionen Menschen mit halb skandinavi¬
scher, halb deutscher Bevölkerung, gebildet aus einem skandinavische» König¬
reiche mit den vom Mutterlande entfernt liegenden JnselnJsland und den Faröern,
einem halb dänischen, halb deutschen Herzogthum und zweien ganz deutschen,
zum deutschen Bunde gehörenden Herzogthümern, von welcher jeder einzelne'
Theil seine eigne Verfassung, alle Theile zusammen aber eine gemeinsame
Verfassung erhielten, ein so complicirtes Staatsgebäude ist, daß in dieser
Staatsorganisation selbst der Keim zu dessen baldiger Auflösung liegt. In der
dänischen Monarchie bestehen nicht weniger als sieben verschiedene repräsen¬
tative Verfassungen mit acht repräsentativen Versammlungen und mit


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[0050] Das londoner Protokoll war ein Versuch, den auf Rußlands Antrieb die Großmächte machten, um die Trennung der deutschen Herzogthümer von Däne¬ mark und Dänemarks Vereinigung mit Schweden uno Norwegen zu einer skandinavischen Union zu verhindern, welches letztere bei dem Ausbruch der Revolution in Kopenhagen, im März -1848, im Plane der dortigen skandi¬ navischen Partei lag. > Der Kampf mit den Herzogthümern galt damals nur dem Herzogthum Schleswig, welches die skandinavische Partei in Kopenhagen der Union mit Schweden und Norwegen als „Morgengabe" mitbringen wollte. Die deutschen Bundeslande, Holstein und Lauenburg dagegen wollte die Partei los sein; deshalb war sie auch geneigt, auf den von England ge¬ machten Vorschlag.einer Theilung Schleswigs einzugehen, welcher Vorschlag indessen an der Kurzsichtigkeit der damalige» provisorischen Regierung in den Herzogthümern scheiterte und welcher gänzlich zu Grabe getragen wurde, als das dänische Märzministerium im November -1848, auf Verlangen Rußlands, einem andern Ministerium Platz machen mußte. Man glaubte bei Unterzeichnung des londoner Protokolls dem natur¬ gemäßen Verfall der dänischen Monarchie dadurch vorbeugen zu können, daß man für den deutschen und dänischen Theil der Monarchie eine neue Thron¬ folgeordnung schuf und für alle verschiedenen Theile der Monarchie eine gemein¬ same Verfassung einführte, neben welcher jeder einzelne Theil auch noch seine eigne Verfassung erhielt. Ohne Berücksichtigung der verschiedenen Nationali¬ täten , Verhältnisse, Rechte, Gesetze und Volkscharaktere in den einzelnen Theilen dieses neugebildeten Gesammtstaats glaubte man in London, durch einen auf Papier geschriebenen Machtspruch alle Schwierigkeiten, zu welchen der Streit zwischen Dänemark und den deutschen Herzogthümern die Vcran-> lassung gegeben hatte, beseitigen zu können und man hoffte dadurch einer Ver¬ legenheit aus dem Wege gegangen zu sein, die schon lange wie ein Alp auf die europäische Diplomatie drückte. Niemand, außer Nußland, am wenigsten aber England, erkannte damals, welche Folgen das londoner Protokoll für den neugebildeten Gesammtstaat haben mußte. Niemand scheint begriffen zu haben, daß eine Monarchie von kaum zwei Millionen Menschen mit halb skandinavi¬ scher, halb deutscher Bevölkerung, gebildet aus einem skandinavische» König¬ reiche mit den vom Mutterlande entfernt liegenden JnselnJsland und den Faröern, einem halb dänischen, halb deutschen Herzogthum und zweien ganz deutschen, zum deutschen Bunde gehörenden Herzogthümern, von welcher jeder einzelne' Theil seine eigne Verfassung, alle Theile zusammen aber eine gemeinsame Verfassung erhielten, ein so complicirtes Staatsgebäude ist, daß in dieser Staatsorganisation selbst der Keim zu dessen baldiger Auflösung liegt. In der dänischen Monarchie bestehen nicht weniger als sieben verschiedene repräsen¬ tative Verfassungen mit acht repräsentativen Versammlungen und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/50>, abgerufen am 21.06.2024.