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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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durchschneiden und wenigstens vier bestimmte Straßen, die sich von Norden
nach Süden in einer Länge von je vier Meilen erstrecken, so zeigt eine Be¬
rechnung, die einfach genug ist, daß um fünf Uhr des Nachmittags, wo alle ,
diese Durchfahrten voll des regsten Verkehrs sind, zu einer und derselben Zeit
durch London ein dichter Strom von Droschken, Karre", Kutschen und Omni¬
bussen fließt, der eine Länge von beinahe dreißig Meilen hat.

Wir haben vorhin von der erstaunlichen Länge gesprochen, welche die
londoner Straßen haben, wenn man sie als Eins betrachtet. Ein Blick auf
irgend einen Plan Londons wird zeigen, was für ein verwirrter Knoten diese
Haupt- und Nebengassen sind. Ein System von Nerven und Haargefäßen
kann nicht wunderlicher verschlungen sein, als sie, und man könnte ebensowol
in einem Knäuel von Würmern Ordnung und System suchen, als in den
Conglomerat von Straßen, welches die britische Metropole ausmacht.

"Ich begann die Karte von London zu studiren," sagt Southe" in seinen
..KsprieUa s.ettsrg", obschon ich beim Anblick ihrer ungeheuren Ausdehnung
den Muth verloren hatte. Der Fluß gibt keinen Anhalt für den Fremden,
der seinen Weg zu finden strebt; denn es führt keine Straße an seinem Ufer
hin, auch gibt es keine Erhöhung, von der man sich umsehen und seine Rich¬
tung bestimmen kann.

Aber die Benennung der londoner Straßen i'se ebenso unsystematisch, als
die Anlage der Straßen und muß darum den Fremden in die größte Verlegen¬
heit bringen. Bekannt ist es, wie verblüfft jener Franzose war, über die hun¬
dert Bedeutungen, welche das englische Wort ,,dux" hat. Wir erinnern nur
an bkncl-bax (Bandschachtel), 0Imsen!r8-bax (Weihnachtsgeschenk), eoaclr-box
(Kutscherbvck), box on ddo (zars (Ohrfeige), Kux trse (Buchsbaum), privalodux
(Theaterloge), Anz vrcmA box (Mißgriff), doxwx tue coup-rss (die Himmmels-
gegend mit dem Compaß vergleichen) und a boxinZ Mittod (ein Borerkampf)-
Aber sicherlich in noch mehr Verlegenheit, würde er gerathen sein, wenn er ge¬
funden hätte, wie derselbe Name'einem oder zwei Dutzend Straßen gegeben
worden ist, die oft so entfernt voneinander sind, daß, wenn man das Unglück
hat, der Träger eines Briefs mit der Adresse "Kingsstreet, London" zu sein,
man sehr leicht von der Kingsstreet Golden Square nach der Kingsstreet
Cheapside und dann wieder zurück nach der Kingsstreet Coveutgardeij u. s, w-
herumirren kann, bis man die sämmtlichen zweiundvierzig KönigSstraßen g^
sehen hat, die jetzt in dem Adreßbuch verzeichnet stehen.

Einen recht interessanten. Blick in die Denkungsart der Londoner gewährt
die Betrachtung der Namen, welche die Straßen der Stadt führen. Es geht
aus einem Vergleich dieser Namen zunächst hervor, daß die Engländer ein un¬
gemein loyales Volk sind, dem der Träger der Krone und seine Familie durch¬
aus keine gleichgiltigen Personen sind. Von den Straßen Londons, seinen


durchschneiden und wenigstens vier bestimmte Straßen, die sich von Norden
nach Süden in einer Länge von je vier Meilen erstrecken, so zeigt eine Be¬
rechnung, die einfach genug ist, daß um fünf Uhr des Nachmittags, wo alle ,
diese Durchfahrten voll des regsten Verkehrs sind, zu einer und derselben Zeit
durch London ein dichter Strom von Droschken, Karre», Kutschen und Omni¬
bussen fließt, der eine Länge von beinahe dreißig Meilen hat.

Wir haben vorhin von der erstaunlichen Länge gesprochen, welche die
londoner Straßen haben, wenn man sie als Eins betrachtet. Ein Blick auf
irgend einen Plan Londons wird zeigen, was für ein verwirrter Knoten diese
Haupt- und Nebengassen sind. Ein System von Nerven und Haargefäßen
kann nicht wunderlicher verschlungen sein, als sie, und man könnte ebensowol
in einem Knäuel von Würmern Ordnung und System suchen, als in den
Conglomerat von Straßen, welches die britische Metropole ausmacht.

„Ich begann die Karte von London zu studiren," sagt Southe» in seinen
..KsprieUa s.ettsrg", obschon ich beim Anblick ihrer ungeheuren Ausdehnung
den Muth verloren hatte. Der Fluß gibt keinen Anhalt für den Fremden,
der seinen Weg zu finden strebt; denn es führt keine Straße an seinem Ufer
hin, auch gibt es keine Erhöhung, von der man sich umsehen und seine Rich¬
tung bestimmen kann.

Aber die Benennung der londoner Straßen i'se ebenso unsystematisch, als
die Anlage der Straßen und muß darum den Fremden in die größte Verlegen¬
heit bringen. Bekannt ist es, wie verblüfft jener Franzose war, über die hun¬
dert Bedeutungen, welche das englische Wort ,,dux" hat. Wir erinnern nur
an bkncl-bax (Bandschachtel), 0Imsen!r8-bax (Weihnachtsgeschenk), eoaclr-box
(Kutscherbvck), box on ddo (zars (Ohrfeige), Kux trse (Buchsbaum), privalodux
(Theaterloge), Anz vrcmA box (Mißgriff), doxwx tue coup-rss (die Himmmels-
gegend mit dem Compaß vergleichen) und a boxinZ Mittod (ein Borerkampf)-
Aber sicherlich in noch mehr Verlegenheit, würde er gerathen sein, wenn er ge¬
funden hätte, wie derselbe Name'einem oder zwei Dutzend Straßen gegeben
worden ist, die oft so entfernt voneinander sind, daß, wenn man das Unglück
hat, der Träger eines Briefs mit der Adresse „Kingsstreet, London" zu sein,
man sehr leicht von der Kingsstreet Golden Square nach der Kingsstreet
Cheapside und dann wieder zurück nach der Kingsstreet Coveutgardeij u. s, w-
herumirren kann, bis man die sämmtlichen zweiundvierzig KönigSstraßen g^
sehen hat, die jetzt in dem Adreßbuch verzeichnet stehen.

Einen recht interessanten. Blick in die Denkungsart der Londoner gewährt
die Betrachtung der Namen, welche die Straßen der Stadt führen. Es geht
aus einem Vergleich dieser Namen zunächst hervor, daß die Engländer ein un¬
gemein loyales Volk sind, dem der Träger der Krone und seine Familie durch¬
aus keine gleichgiltigen Personen sind. Von den Straßen Londons, seinen


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[0452] durchschneiden und wenigstens vier bestimmte Straßen, die sich von Norden nach Süden in einer Länge von je vier Meilen erstrecken, so zeigt eine Be¬ rechnung, die einfach genug ist, daß um fünf Uhr des Nachmittags, wo alle , diese Durchfahrten voll des regsten Verkehrs sind, zu einer und derselben Zeit durch London ein dichter Strom von Droschken, Karre», Kutschen und Omni¬ bussen fließt, der eine Länge von beinahe dreißig Meilen hat. Wir haben vorhin von der erstaunlichen Länge gesprochen, welche die londoner Straßen haben, wenn man sie als Eins betrachtet. Ein Blick auf irgend einen Plan Londons wird zeigen, was für ein verwirrter Knoten diese Haupt- und Nebengassen sind. Ein System von Nerven und Haargefäßen kann nicht wunderlicher verschlungen sein, als sie, und man könnte ebensowol in einem Knäuel von Würmern Ordnung und System suchen, als in den Conglomerat von Straßen, welches die britische Metropole ausmacht. „Ich begann die Karte von London zu studiren," sagt Southe» in seinen ..KsprieUa s.ettsrg", obschon ich beim Anblick ihrer ungeheuren Ausdehnung den Muth verloren hatte. Der Fluß gibt keinen Anhalt für den Fremden, der seinen Weg zu finden strebt; denn es führt keine Straße an seinem Ufer hin, auch gibt es keine Erhöhung, von der man sich umsehen und seine Rich¬ tung bestimmen kann. Aber die Benennung der londoner Straßen i'se ebenso unsystematisch, als die Anlage der Straßen und muß darum den Fremden in die größte Verlegen¬ heit bringen. Bekannt ist es, wie verblüfft jener Franzose war, über die hun¬ dert Bedeutungen, welche das englische Wort ,,dux" hat. Wir erinnern nur an bkncl-bax (Bandschachtel), 0Imsen!r8-bax (Weihnachtsgeschenk), eoaclr-box (Kutscherbvck), box on ddo (zars (Ohrfeige), Kux trse (Buchsbaum), privalodux (Theaterloge), Anz vrcmA box (Mißgriff), doxwx tue coup-rss (die Himmmels- gegend mit dem Compaß vergleichen) und a boxinZ Mittod (ein Borerkampf)- Aber sicherlich in noch mehr Verlegenheit, würde er gerathen sein, wenn er ge¬ funden hätte, wie derselbe Name'einem oder zwei Dutzend Straßen gegeben worden ist, die oft so entfernt voneinander sind, daß, wenn man das Unglück hat, der Träger eines Briefs mit der Adresse „Kingsstreet, London" zu sein, man sehr leicht von der Kingsstreet Golden Square nach der Kingsstreet Cheapside und dann wieder zurück nach der Kingsstreet Coveutgardeij u. s, w- herumirren kann, bis man die sämmtlichen zweiundvierzig KönigSstraßen g^ sehen hat, die jetzt in dem Adreßbuch verzeichnet stehen. Einen recht interessanten. Blick in die Denkungsart der Londoner gewährt die Betrachtung der Namen, welche die Straßen der Stadt führen. Es geht aus einem Vergleich dieser Namen zunächst hervor, daß die Engländer ein un¬ gemein loyales Volk sind, dem der Träger der Krone und seine Familie durch¬ aus keine gleichgiltigen Personen sind. Von den Straßen Londons, seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/452>, abgerufen am 21.06.2024.