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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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klingen. Nicht allgemein werden wir diese Unsicherheit in der Wahl der
deutschen und polnischen Worte so prägnant ausgedrückt finden wie in dem
angegebenen Beispiel, das wir der Sprache der Masuren wortgetreu ent¬
nommen haben. Doch wird man im Ganzen sich keinen falschen Begriff von
dem erwähnten Dialekt machen, wenn man von dieser kleinen Probe auf das
Ganze schließen will.

Nächst der Sprache finden die sich hier vermischenden Nationalitäten in ihrer
socialen Haltung einen zweiten Berührungspunkt. Mit Unwillen bemerkten
wir bei den masurischen Bauern, besonders bei den ärmern und bei derjenigen
Classe, die ohne Grundbesitz sich vom Fischfang kümmerlich nährt, die Hin¬
neigung zu leibeigner Unterwürfigkeit. Der niedrige oder der arme Masur ist
nicht weit entfernt von wirklicher Demüthigung vor den Herrn, die ihm in
ziemlich stattlichem Aufzuge begegnen, und es sollte den Gutsbesitzern nicht
schwer werden, ihre Insassen zu vollkommener Leibeigenschaft zu gewöhnen.
Nur der üble Wille der Gutsherrn und die gesetzliche Rechtfertigung fehlt hier,
um ein solches Elend zu vollenden; die Untergebenen selbst sind vollständig
dazu disponirt. Einen jammervollen Anblick gewährt ein solcher Jnstmann,
wie er hier genannt wird, ein solcher Scharwerksarbeiter, wenn er einem
"Herrn", wol gar dem Gutsherrn begegnet! Bom Deutschen hat er das Grü¬
ßen vermittels Entblößen des Hauptes gelernt, vom polnischen Leibeignen
aber außerdem noch einen gewissen Anfang des Niederkniens, eine Bewegung,
als wollte er bei dem Gruße vor lauter Ehrfurcht zusammenbrechen. Die
Hand zieht schnell die Mütze vom Kopf und kreuzt sich dann mit der andern
anstatt über der Brust unten über den Magen. In kurz abgebrochenen Re¬
verenzen fällt Kopf und Brust über den Unterkörper hin, und die gebeugten,
zitternden Knien scheinen den Mann tuum aufrecht halten zu können. So
bewillkommnet er uns und betrachtet uns dabei mit so demüthig jammervollen
Blicken, daß wir vorübereilen, um unserm Auge diesen Anblick zu entziehen-
Rechnen wir noch das blasse Aussehn und die zerlumpte Kleidung dieses preu¬
ßischen Mitbürgers hinzu, so können uns leicht andre Dinge zu Sinn kommen
als die Zufriedenheit mit dem Fortschritte unsrer Cultur.

Und wie freudig könnte sich unsre Cultur in diesem Lande bewegen, das,
wenn auch nur theilweise mit üppiger Fruchtbarkeit, doch überall mit den herr¬
lichsten Naturreizen geschmückt ist. An dem südlichen AbHange des preußischen
Theils der uralisch-baltischen Landhöhe sich vertiefend, zeigt uns dieses Land
die lieblichsten Gegenden, indem es mit grünbewachsenen Schluchten, nackten,
steilen Abhängen,-sanft gerundeten Hügeln und klaren Seen abwechselt, die
durch mannigfach schattirte, bald licht- bald dunkelgrüne Wälder anmuthig
hervorblicken. Eine Schlucht in der Nähe der Domaine Czychen, welche die
Kunst noch mit einigen unerheblichen Bequemlichkeiten versehen hat, würde


klingen. Nicht allgemein werden wir diese Unsicherheit in der Wahl der
deutschen und polnischen Worte so prägnant ausgedrückt finden wie in dem
angegebenen Beispiel, das wir der Sprache der Masuren wortgetreu ent¬
nommen haben. Doch wird man im Ganzen sich keinen falschen Begriff von
dem erwähnten Dialekt machen, wenn man von dieser kleinen Probe auf das
Ganze schließen will.

Nächst der Sprache finden die sich hier vermischenden Nationalitäten in ihrer
socialen Haltung einen zweiten Berührungspunkt. Mit Unwillen bemerkten
wir bei den masurischen Bauern, besonders bei den ärmern und bei derjenigen
Classe, die ohne Grundbesitz sich vom Fischfang kümmerlich nährt, die Hin¬
neigung zu leibeigner Unterwürfigkeit. Der niedrige oder der arme Masur ist
nicht weit entfernt von wirklicher Demüthigung vor den Herrn, die ihm in
ziemlich stattlichem Aufzuge begegnen, und es sollte den Gutsbesitzern nicht
schwer werden, ihre Insassen zu vollkommener Leibeigenschaft zu gewöhnen.
Nur der üble Wille der Gutsherrn und die gesetzliche Rechtfertigung fehlt hier,
um ein solches Elend zu vollenden; die Untergebenen selbst sind vollständig
dazu disponirt. Einen jammervollen Anblick gewährt ein solcher Jnstmann,
wie er hier genannt wird, ein solcher Scharwerksarbeiter, wenn er einem
„Herrn", wol gar dem Gutsherrn begegnet! Bom Deutschen hat er das Grü¬
ßen vermittels Entblößen des Hauptes gelernt, vom polnischen Leibeignen
aber außerdem noch einen gewissen Anfang des Niederkniens, eine Bewegung,
als wollte er bei dem Gruße vor lauter Ehrfurcht zusammenbrechen. Die
Hand zieht schnell die Mütze vom Kopf und kreuzt sich dann mit der andern
anstatt über der Brust unten über den Magen. In kurz abgebrochenen Re¬
verenzen fällt Kopf und Brust über den Unterkörper hin, und die gebeugten,
zitternden Knien scheinen den Mann tuum aufrecht halten zu können. So
bewillkommnet er uns und betrachtet uns dabei mit so demüthig jammervollen
Blicken, daß wir vorübereilen, um unserm Auge diesen Anblick zu entziehen-
Rechnen wir noch das blasse Aussehn und die zerlumpte Kleidung dieses preu¬
ßischen Mitbürgers hinzu, so können uns leicht andre Dinge zu Sinn kommen
als die Zufriedenheit mit dem Fortschritte unsrer Cultur.

Und wie freudig könnte sich unsre Cultur in diesem Lande bewegen, das,
wenn auch nur theilweise mit üppiger Fruchtbarkeit, doch überall mit den herr¬
lichsten Naturreizen geschmückt ist. An dem südlichen AbHange des preußischen
Theils der uralisch-baltischen Landhöhe sich vertiefend, zeigt uns dieses Land
die lieblichsten Gegenden, indem es mit grünbewachsenen Schluchten, nackten,
steilen Abhängen,-sanft gerundeten Hügeln und klaren Seen abwechselt, die
durch mannigfach schattirte, bald licht- bald dunkelgrüne Wälder anmuthig
hervorblicken. Eine Schlucht in der Nähe der Domaine Czychen, welche die
Kunst noch mit einigen unerheblichen Bequemlichkeiten versehen hat, würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/434>, abgerufen am 05.07.2024.