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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Fetzen, die in den Seitengassen und auf den Kehrichthaufen Londons ausgelesen
wurden. Der Reichthum, in welchem die Kaufleute von Rag Fair Geschäfte
machen, ist lediglich der Abfall der wohlhabenden Welt, die abgelegte Haut
derselben gleichsam, wenn ihre Zeit gekommen ist, eine neue anzuziehen.

" Vor einigen Jahren kaufte ein jüdischer Klcidertrödler die Hänser hinter
Phiih Buildings, einem Hose, der'aus Houndsditch führt, und machte daraus
den Markt, der jetzt "Old Clothes Erchange" heißt. Hier ist der Mittelpunkt
des londoner Lumpenmarkts. Gegen vier Uhr im Sommer und gegen drei
Uhr im Winter findet hier das Hauptgeschäft statt, und dann ist die Passage,
die von Houndsditch nach der Trödlerbörse sührt, gedrängt voll von Leuten
mit stachlichen Bärten und orientalischen Nasen, die sast alle große Säcke auf
dem Rücken und gewöhnlich drei oder vier alte Hüte in den Händen haben.
Vor dem Thorwege steht der berühmte Thürhüter, Barney Aaron, um mit
ausgestreckter Hand das Eintrittsgeld -- einen Halfpenny -- zu erheben,
während neben ihm sein Sohn Posto gefaßt hat, der eine Art Patronentasche
umhängen hat, in der er den halben Centner Kupfergeld, der bereits ein¬
gegangen ist, aufzubewahren pflegt. Indem der Fremde durch das Thor tritt,
wird der Geruch der hier aufgehäuften alten Wäsche, der abgetragenen Schuhe
und Röcke und der halbverfaulten Hasenhäute schier betäubend. Eine garstige
Säure gemischt mit dem Dufte vom Moder und Pilzen schwimmt in der Luft --
es ist eine Art "bouquet 6s mitis Kalaiures", welches weit entfernt ist, christ¬
lichen Nasen wohlthuende Empfindungen zu erwecken.

Die "Börse" besteht aus einem großen viereckigen Platze, der mit einem
niedrigen Schuppen umgeben ist, und in dessen Mitte auf-vier doppelten
Reihen von Bänken die Verkäufer sitzen, während ihre Waaren vor ihnen
ans dem Boden ausgebreitet sind. Das erste, was dem an diese Scene" nicht
gewöhnten Auge auffällt, ist, daß unter den Käufern dieses .Kehrichts von
London eine größere Geschäftigkeit und Hast zu herrschen scheint, als unter den
Kaufleuten, die mit kostbaren Dingen handeln. Das zweite ist die Ueberein¬
stimmung, welche zwischen den Empfindungen der Nase und denen des Auges
herrscht, sobald sich das Bild vollständig aufgerollt hat. Hier sitzt ein "Crock-
man" d. h. ein Verkäufer von irdenen Waaren, in einer-hellrothen Plüschweste
und Kniehosen, welche ein paar Beine wie Balustraden bedecken, neben seinem
halb geleerten Korbe mit Porzellan- und Steingutgeschirr,- während'zu seinen
Füßen die Sammlung scheinbar werthloser Paletots, zerrissener Wellingtons und
fettiger, zerknickter Hüte aufgespeichert ist, welche er für seine Krüge, Tassen,
Waschbecken und Nippes eingetauscht hat. Ein paar Schritte von ihm ist ein
Frauenzimmer, das in einen alten grauen Kutschermantel mit vielen Kragen
gehüllt ist, ein 'Paar tuchne Männersti'efeln anhat und deren Strohhut von
wiederholt auf ihm getragenen Packen zusammengedrückt ist. Der Boden vor


Fetzen, die in den Seitengassen und auf den Kehrichthaufen Londons ausgelesen
wurden. Der Reichthum, in welchem die Kaufleute von Rag Fair Geschäfte
machen, ist lediglich der Abfall der wohlhabenden Welt, die abgelegte Haut
derselben gleichsam, wenn ihre Zeit gekommen ist, eine neue anzuziehen.

" Vor einigen Jahren kaufte ein jüdischer Klcidertrödler die Hänser hinter
Phiih Buildings, einem Hose, der'aus Houndsditch führt, und machte daraus
den Markt, der jetzt „Old Clothes Erchange" heißt. Hier ist der Mittelpunkt
des londoner Lumpenmarkts. Gegen vier Uhr im Sommer und gegen drei
Uhr im Winter findet hier das Hauptgeschäft statt, und dann ist die Passage,
die von Houndsditch nach der Trödlerbörse sührt, gedrängt voll von Leuten
mit stachlichen Bärten und orientalischen Nasen, die sast alle große Säcke auf
dem Rücken und gewöhnlich drei oder vier alte Hüte in den Händen haben.
Vor dem Thorwege steht der berühmte Thürhüter, Barney Aaron, um mit
ausgestreckter Hand das Eintrittsgeld — einen Halfpenny — zu erheben,
während neben ihm sein Sohn Posto gefaßt hat, der eine Art Patronentasche
umhängen hat, in der er den halben Centner Kupfergeld, der bereits ein¬
gegangen ist, aufzubewahren pflegt. Indem der Fremde durch das Thor tritt,
wird der Geruch der hier aufgehäuften alten Wäsche, der abgetragenen Schuhe
und Röcke und der halbverfaulten Hasenhäute schier betäubend. Eine garstige
Säure gemischt mit dem Dufte vom Moder und Pilzen schwimmt in der Luft —
es ist eine Art „bouquet 6s mitis Kalaiures", welches weit entfernt ist, christ¬
lichen Nasen wohlthuende Empfindungen zu erwecken.

Die „Börse" besteht aus einem großen viereckigen Platze, der mit einem
niedrigen Schuppen umgeben ist, und in dessen Mitte auf-vier doppelten
Reihen von Bänken die Verkäufer sitzen, während ihre Waaren vor ihnen
ans dem Boden ausgebreitet sind. Das erste, was dem an diese Scene» nicht
gewöhnten Auge auffällt, ist, daß unter den Käufern dieses .Kehrichts von
London eine größere Geschäftigkeit und Hast zu herrschen scheint, als unter den
Kaufleuten, die mit kostbaren Dingen handeln. Das zweite ist die Ueberein¬
stimmung, welche zwischen den Empfindungen der Nase und denen des Auges
herrscht, sobald sich das Bild vollständig aufgerollt hat. Hier sitzt ein „Crock-
man" d. h. ein Verkäufer von irdenen Waaren, in einer-hellrothen Plüschweste
und Kniehosen, welche ein paar Beine wie Balustraden bedecken, neben seinem
halb geleerten Korbe mit Porzellan- und Steingutgeschirr,- während'zu seinen
Füßen die Sammlung scheinbar werthloser Paletots, zerrissener Wellingtons und
fettiger, zerknickter Hüte aufgespeichert ist, welche er für seine Krüge, Tassen,
Waschbecken und Nippes eingetauscht hat. Ein paar Schritte von ihm ist ein
Frauenzimmer, das in einen alten grauen Kutschermantel mit vielen Kragen
gehüllt ist, ein 'Paar tuchne Männersti'efeln anhat und deren Strohhut von
wiederholt auf ihm getragenen Packen zusammengedrückt ist. Der Boden vor


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[0430] Fetzen, die in den Seitengassen und auf den Kehrichthaufen Londons ausgelesen wurden. Der Reichthum, in welchem die Kaufleute von Rag Fair Geschäfte machen, ist lediglich der Abfall der wohlhabenden Welt, die abgelegte Haut derselben gleichsam, wenn ihre Zeit gekommen ist, eine neue anzuziehen. " Vor einigen Jahren kaufte ein jüdischer Klcidertrödler die Hänser hinter Phiih Buildings, einem Hose, der'aus Houndsditch führt, und machte daraus den Markt, der jetzt „Old Clothes Erchange" heißt. Hier ist der Mittelpunkt des londoner Lumpenmarkts. Gegen vier Uhr im Sommer und gegen drei Uhr im Winter findet hier das Hauptgeschäft statt, und dann ist die Passage, die von Houndsditch nach der Trödlerbörse sührt, gedrängt voll von Leuten mit stachlichen Bärten und orientalischen Nasen, die sast alle große Säcke auf dem Rücken und gewöhnlich drei oder vier alte Hüte in den Händen haben. Vor dem Thorwege steht der berühmte Thürhüter, Barney Aaron, um mit ausgestreckter Hand das Eintrittsgeld — einen Halfpenny — zu erheben, während neben ihm sein Sohn Posto gefaßt hat, der eine Art Patronentasche umhängen hat, in der er den halben Centner Kupfergeld, der bereits ein¬ gegangen ist, aufzubewahren pflegt. Indem der Fremde durch das Thor tritt, wird der Geruch der hier aufgehäuften alten Wäsche, der abgetragenen Schuhe und Röcke und der halbverfaulten Hasenhäute schier betäubend. Eine garstige Säure gemischt mit dem Dufte vom Moder und Pilzen schwimmt in der Luft — es ist eine Art „bouquet 6s mitis Kalaiures", welches weit entfernt ist, christ¬ lichen Nasen wohlthuende Empfindungen zu erwecken. Die „Börse" besteht aus einem großen viereckigen Platze, der mit einem niedrigen Schuppen umgeben ist, und in dessen Mitte auf-vier doppelten Reihen von Bänken die Verkäufer sitzen, während ihre Waaren vor ihnen ans dem Boden ausgebreitet sind. Das erste, was dem an diese Scene» nicht gewöhnten Auge auffällt, ist, daß unter den Käufern dieses .Kehrichts von London eine größere Geschäftigkeit und Hast zu herrschen scheint, als unter den Kaufleuten, die mit kostbaren Dingen handeln. Das zweite ist die Ueberein¬ stimmung, welche zwischen den Empfindungen der Nase und denen des Auges herrscht, sobald sich das Bild vollständig aufgerollt hat. Hier sitzt ein „Crock- man" d. h. ein Verkäufer von irdenen Waaren, in einer-hellrothen Plüschweste und Kniehosen, welche ein paar Beine wie Balustraden bedecken, neben seinem halb geleerten Korbe mit Porzellan- und Steingutgeschirr,- während'zu seinen Füßen die Sammlung scheinbar werthloser Paletots, zerrissener Wellingtons und fettiger, zerknickter Hüte aufgespeichert ist, welche er für seine Krüge, Tassen, Waschbecken und Nippes eingetauscht hat. Ein paar Schritte von ihm ist ein Frauenzimmer, das in einen alten grauen Kutschermantel mit vielen Kragen gehüllt ist, ein 'Paar tuchne Männersti'efeln anhat und deren Strohhut von wiederholt auf ihm getragenen Packen zusammengedrückt ist. Der Boden vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/430>, abgerufen am 27.06.2024.