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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Es leben in London von den Docks nicht weniger als 20,000 Menschen.
Unmittelbar sind an ihnen täglich zwischen ein- uno dreitausend Arbeiter beschäf¬
tigt, je nachdem das Geschäft lebhaft oder flau, die Nachfrage nach Händen stark
oder schwach -- das heißt, je nachdem der Wind den Schiffen, die nach dem Hasen
wollen, günstig oder ungünstig ist. "Es ist ein böser Wind, der niemandem zu
Gute weht," heißt ein englisches Sprichwort, und man lernt an die Wahr¬
heit desselben glauben, wenn man sieht, wie hier gegen zwei Tausend Magen
chamäleonartig im eigentlichsten Sinne von der Luft leben und wie ein Ostwind
so vielen Menschen das Brot vor dem Munde wegnehmen kann.

Die Erwähnung des Magens erinnert noch an einen andern Gesichts¬
punkt, von dem die-Größe Londons anschaulicher wird. Die Berichte über
den Viehmarkt zeigen, daß London jährlich 272,000 Ochsen, 30,000 Kälber,
1,480,000 Schafe und 34,000 Schweine -- im Werthe von sieben bis qcht
Millionen Pfund -- verzehrt, während von den Bäckern der Stadt in der¬
selben Zeit 1,600,000 Quarter Weizen zu Brot verbacken werden. Von dem
Verbrauch an Gemüsen, über den Mayhew ausführliche Tabellen gibt, be¬
merken wir nur, daß die Londoner jährlich 3-10,464,000 Pfund Kartoffeln,
89,672,000 Krautköpfe, 32,648,000 Rüben, -16,817,000 Mohren und -1,489.600
Bushel (berliner Scheffel) Zwiebeln verspeisen. Dazu kommen circa 400
Millionen Pfund frische und ungefähr 47 Millionen Pfund getrocknete Fische
und 496,896,000 Austern -- ungerechnet die Masse von Hummern, Krabben,
Muscheln und Krebsen u. .s. w., welche täglich aufgekauft werden. Dazu
ferner 4,013,300 Stück Geflügel, dazu endlich eine große Menge von Aepfeln,
Apfelsinen, Kirschen, Pflaumen und verschiedenen Beeren.

Nicht geringer ist im Verhältniß der Verbrauch an Getränken; denn neben
19,213,000,000 Gallonen Wasser, welche den Häusern von den verschiedenen
Gesellschaften geliefert werden, verschwinden in den Kehlen der Londoner all¬
jährlich 6S,000 Piper verschiedener Weine, 2,000,000 Gallonen (circa zwölf
Millionen gewöhnliche Weinflaschen) spirituösen und 43,200,000 Gallonen
Porter und Ale.

Endlich aber darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Metropole jährlich 3
Millionen Tonnen Kohlen zu Zwecken der Erwärmung und Erleuchtung verwendet.

Sind nun die großen Fleisch- und Gemüsemärkte Zeichen des Wohllebens,
dessen sich ein beträchtlicher Theil der Bevölkerung erfreut, so gibt es andre
Märkte, die man als Beweis für die Noth und den Mangel anführen kann,
den andre Londoner leiden. Folgen wir zum Schlüsse dieser Betrachtung, ta-
on dem Contraste wenigstens einigermaßen sein Recht werde, dem Verfasser
nach der Börse der Lumpensammler Londons.

Die Handelsartikel bestehen hier nicht aus werthvollen Schiffsladungen,
die von allen vier Weltgegenden kommen, sondern einfach aus Packen schmuziger


Es leben in London von den Docks nicht weniger als 20,000 Menschen.
Unmittelbar sind an ihnen täglich zwischen ein- uno dreitausend Arbeiter beschäf¬
tigt, je nachdem das Geschäft lebhaft oder flau, die Nachfrage nach Händen stark
oder schwach — das heißt, je nachdem der Wind den Schiffen, die nach dem Hasen
wollen, günstig oder ungünstig ist. „Es ist ein böser Wind, der niemandem zu
Gute weht," heißt ein englisches Sprichwort, und man lernt an die Wahr¬
heit desselben glauben, wenn man sieht, wie hier gegen zwei Tausend Magen
chamäleonartig im eigentlichsten Sinne von der Luft leben und wie ein Ostwind
so vielen Menschen das Brot vor dem Munde wegnehmen kann.

Die Erwähnung des Magens erinnert noch an einen andern Gesichts¬
punkt, von dem die-Größe Londons anschaulicher wird. Die Berichte über
den Viehmarkt zeigen, daß London jährlich 272,000 Ochsen, 30,000 Kälber,
1,480,000 Schafe und 34,000 Schweine — im Werthe von sieben bis qcht
Millionen Pfund — verzehrt, während von den Bäckern der Stadt in der¬
selben Zeit 1,600,000 Quarter Weizen zu Brot verbacken werden. Von dem
Verbrauch an Gemüsen, über den Mayhew ausführliche Tabellen gibt, be¬
merken wir nur, daß die Londoner jährlich 3-10,464,000 Pfund Kartoffeln,
89,672,000 Krautköpfe, 32,648,000 Rüben, -16,817,000 Mohren und -1,489.600
Bushel (berliner Scheffel) Zwiebeln verspeisen. Dazu kommen circa 400
Millionen Pfund frische und ungefähr 47 Millionen Pfund getrocknete Fische
und 496,896,000 Austern — ungerechnet die Masse von Hummern, Krabben,
Muscheln und Krebsen u. .s. w., welche täglich aufgekauft werden. Dazu
ferner 4,013,300 Stück Geflügel, dazu endlich eine große Menge von Aepfeln,
Apfelsinen, Kirschen, Pflaumen und verschiedenen Beeren.

Nicht geringer ist im Verhältniß der Verbrauch an Getränken; denn neben
19,213,000,000 Gallonen Wasser, welche den Häusern von den verschiedenen
Gesellschaften geliefert werden, verschwinden in den Kehlen der Londoner all¬
jährlich 6S,000 Piper verschiedener Weine, 2,000,000 Gallonen (circa zwölf
Millionen gewöhnliche Weinflaschen) spirituösen und 43,200,000 Gallonen
Porter und Ale.

Endlich aber darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Metropole jährlich 3
Millionen Tonnen Kohlen zu Zwecken der Erwärmung und Erleuchtung verwendet.

Sind nun die großen Fleisch- und Gemüsemärkte Zeichen des Wohllebens,
dessen sich ein beträchtlicher Theil der Bevölkerung erfreut, so gibt es andre
Märkte, die man als Beweis für die Noth und den Mangel anführen kann,
den andre Londoner leiden. Folgen wir zum Schlüsse dieser Betrachtung, ta-
on dem Contraste wenigstens einigermaßen sein Recht werde, dem Verfasser
nach der Börse der Lumpensammler Londons.

Die Handelsartikel bestehen hier nicht aus werthvollen Schiffsladungen,
die von allen vier Weltgegenden kommen, sondern einfach aus Packen schmuziger


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[0429] Es leben in London von den Docks nicht weniger als 20,000 Menschen. Unmittelbar sind an ihnen täglich zwischen ein- uno dreitausend Arbeiter beschäf¬ tigt, je nachdem das Geschäft lebhaft oder flau, die Nachfrage nach Händen stark oder schwach — das heißt, je nachdem der Wind den Schiffen, die nach dem Hasen wollen, günstig oder ungünstig ist. „Es ist ein böser Wind, der niemandem zu Gute weht," heißt ein englisches Sprichwort, und man lernt an die Wahr¬ heit desselben glauben, wenn man sieht, wie hier gegen zwei Tausend Magen chamäleonartig im eigentlichsten Sinne von der Luft leben und wie ein Ostwind so vielen Menschen das Brot vor dem Munde wegnehmen kann. Die Erwähnung des Magens erinnert noch an einen andern Gesichts¬ punkt, von dem die-Größe Londons anschaulicher wird. Die Berichte über den Viehmarkt zeigen, daß London jährlich 272,000 Ochsen, 30,000 Kälber, 1,480,000 Schafe und 34,000 Schweine — im Werthe von sieben bis qcht Millionen Pfund — verzehrt, während von den Bäckern der Stadt in der¬ selben Zeit 1,600,000 Quarter Weizen zu Brot verbacken werden. Von dem Verbrauch an Gemüsen, über den Mayhew ausführliche Tabellen gibt, be¬ merken wir nur, daß die Londoner jährlich 3-10,464,000 Pfund Kartoffeln, 89,672,000 Krautköpfe, 32,648,000 Rüben, -16,817,000 Mohren und -1,489.600 Bushel (berliner Scheffel) Zwiebeln verspeisen. Dazu kommen circa 400 Millionen Pfund frische und ungefähr 47 Millionen Pfund getrocknete Fische und 496,896,000 Austern — ungerechnet die Masse von Hummern, Krabben, Muscheln und Krebsen u. .s. w., welche täglich aufgekauft werden. Dazu ferner 4,013,300 Stück Geflügel, dazu endlich eine große Menge von Aepfeln, Apfelsinen, Kirschen, Pflaumen und verschiedenen Beeren. Nicht geringer ist im Verhältniß der Verbrauch an Getränken; denn neben 19,213,000,000 Gallonen Wasser, welche den Häusern von den verschiedenen Gesellschaften geliefert werden, verschwinden in den Kehlen der Londoner all¬ jährlich 6S,000 Piper verschiedener Weine, 2,000,000 Gallonen (circa zwölf Millionen gewöhnliche Weinflaschen) spirituösen und 43,200,000 Gallonen Porter und Ale. Endlich aber darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Metropole jährlich 3 Millionen Tonnen Kohlen zu Zwecken der Erwärmung und Erleuchtung verwendet. Sind nun die großen Fleisch- und Gemüsemärkte Zeichen des Wohllebens, dessen sich ein beträchtlicher Theil der Bevölkerung erfreut, so gibt es andre Märkte, die man als Beweis für die Noth und den Mangel anführen kann, den andre Londoner leiden. Folgen wir zum Schlüsse dieser Betrachtung, ta- on dem Contraste wenigstens einigermaßen sein Recht werde, dem Verfasser nach der Börse der Lumpensammler Londons. Die Handelsartikel bestehen hier nicht aus werthvollen Schiffsladungen, die von allen vier Weltgegenden kommen, sondern einfach aus Packen schmuziger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/429>, abgerufen am 28.07.2024.