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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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daher, eine Werbestation für die Fremdenlegion in Halifax in Neuschottland,
also auf englischem Gebiet, zu errichten. Gegen das amerikanische Gesetz ver¬
stieß sie damit nicht im mindesten. Das englische Gesetz bestimmt freilich
anders. Kein englischer Unterthan darf ohne königliche Genehmigung in aus¬
ländische Militärdienste treten, mag die Anwerbung auf englischem Gebiet oder
im Auslande geschehen. Nicht einmal in den Reihen der Verbündeten der
Königin, die mit den Feinden denselben Krieg führen, darf der Engländer
fechten. Die Vereinigten Staaten verbieten dagegen blos die Werbung für
fremde Kriegsdienste innerhalb ihres Gebiets, und kein Gesetz spricht dem
'amerikanischen Bürger das Recht ab, außerhalb des Gebiets der Vereinigten
Staaten sich unter fremde Fahne anwerben zu lassen, wenn er "unter ihr nur
nicht gegen das eigne Vaterland ficht. Unter diesen Verhältnissen stand auch
die englische Regierung keinen Augenblick an, ihr Vorhaben, in Neuschottland und
Canada englische Werbestationen anzulegen, der Negierung der Vereinigten Staa¬
ten mitzutheilen, und diese zeigte durch ihre Antwort, daß sie das amerikanische
Gesetz genau so auslege, wie die englische, indem im Mai 1856 der amerikanische
Staatssecretär, Mr. Marcy, an den englischen Gesandten in Washington,
Mr. Crampton, schrieb, die Neutralitätsgesetze der Vereinigten Staaten würden
unnachsichtlich aufrecht erhalten werden, aber es sei niemandem verwehrt, die
Vereinigten Staaten zu verlassen, und sich für ausländische Dienste anwerben
zu lassen.

Das Gesetz war also klar und unzweifelhaft, aber es gibt in den Ver¬
einigten Staaten noch etwas, was über dem Gesetz steht: der souveräne Wille
des Volks, oder vielmehr der Partei, die am lautesten zu schreien versteht.
Wie allerwärts ist das auch in den Vereinigten Staaten die demokratische, und
genau wie anderwärts ist auch sie von einem grimmigen Haß gegen England
erfüllt. Außerdem hat sie sehr entschiedene Sympathien für Nußland. Be¬
kanntlich hat Kaiser Nikolaus einmal geäußert, er könne nur zwei Regierungs-
formen begreifen und achten:-Die Autokratie und die Republik; was dazwischen
liege, erscheine ihm als Zwitterding. Die Amerikaner haben diesen Ausspruch
stets als ein besonders aus sie gezieltes lLompiiment betrachtet, zumal da Kaiser
Nikolaus seine theoretische Vorliebe für Republiken auch durch die rücksichtsvolle
Aufnahme bethätigte, die er, reisenden Nordamerikanern stets angedeihen ließ-
Vor der Huld eines Zaren aber schmilzt auch das Herz des verhärtetsten
Demokraten, dessen Abgott ja ohnedies die materielle Macht ist, und der
amerikanische Demokrat hat noch besondere Gründe für seine Sympathie für
den russischen Absolutismus, denn beide Adler, der russische und der ameri¬
kanische, sind sich gleich an Ländergier und an Mißachtung der Rechte ihrer
Nachbarn, und fühlen sich als Mitglieder einer Familie. Die englischen Wer¬
bungen für die zum Kriege gegen Nußland bestimmte Fremdenlegion waren da?


daher, eine Werbestation für die Fremdenlegion in Halifax in Neuschottland,
also auf englischem Gebiet, zu errichten. Gegen das amerikanische Gesetz ver¬
stieß sie damit nicht im mindesten. Das englische Gesetz bestimmt freilich
anders. Kein englischer Unterthan darf ohne königliche Genehmigung in aus¬
ländische Militärdienste treten, mag die Anwerbung auf englischem Gebiet oder
im Auslande geschehen. Nicht einmal in den Reihen der Verbündeten der
Königin, die mit den Feinden denselben Krieg führen, darf der Engländer
fechten. Die Vereinigten Staaten verbieten dagegen blos die Werbung für
fremde Kriegsdienste innerhalb ihres Gebiets, und kein Gesetz spricht dem
'amerikanischen Bürger das Recht ab, außerhalb des Gebiets der Vereinigten
Staaten sich unter fremde Fahne anwerben zu lassen, wenn er "unter ihr nur
nicht gegen das eigne Vaterland ficht. Unter diesen Verhältnissen stand auch
die englische Regierung keinen Augenblick an, ihr Vorhaben, in Neuschottland und
Canada englische Werbestationen anzulegen, der Negierung der Vereinigten Staa¬
ten mitzutheilen, und diese zeigte durch ihre Antwort, daß sie das amerikanische
Gesetz genau so auslege, wie die englische, indem im Mai 1856 der amerikanische
Staatssecretär, Mr. Marcy, an den englischen Gesandten in Washington,
Mr. Crampton, schrieb, die Neutralitätsgesetze der Vereinigten Staaten würden
unnachsichtlich aufrecht erhalten werden, aber es sei niemandem verwehrt, die
Vereinigten Staaten zu verlassen, und sich für ausländische Dienste anwerben
zu lassen.

Das Gesetz war also klar und unzweifelhaft, aber es gibt in den Ver¬
einigten Staaten noch etwas, was über dem Gesetz steht: der souveräne Wille
des Volks, oder vielmehr der Partei, die am lautesten zu schreien versteht.
Wie allerwärts ist das auch in den Vereinigten Staaten die demokratische, und
genau wie anderwärts ist auch sie von einem grimmigen Haß gegen England
erfüllt. Außerdem hat sie sehr entschiedene Sympathien für Nußland. Be¬
kanntlich hat Kaiser Nikolaus einmal geäußert, er könne nur zwei Regierungs-
formen begreifen und achten:-Die Autokratie und die Republik; was dazwischen
liege, erscheine ihm als Zwitterding. Die Amerikaner haben diesen Ausspruch
stets als ein besonders aus sie gezieltes lLompiiment betrachtet, zumal da Kaiser
Nikolaus seine theoretische Vorliebe für Republiken auch durch die rücksichtsvolle
Aufnahme bethätigte, die er, reisenden Nordamerikanern stets angedeihen ließ-
Vor der Huld eines Zaren aber schmilzt auch das Herz des verhärtetsten
Demokraten, dessen Abgott ja ohnedies die materielle Macht ist, und der
amerikanische Demokrat hat noch besondere Gründe für seine Sympathie für
den russischen Absolutismus, denn beide Adler, der russische und der ameri¬
kanische, sind sich gleich an Ländergier und an Mißachtung der Rechte ihrer
Nachbarn, und fühlen sich als Mitglieder einer Familie. Die englischen Wer¬
bungen für die zum Kriege gegen Nußland bestimmte Fremdenlegion waren da?


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[0410] daher, eine Werbestation für die Fremdenlegion in Halifax in Neuschottland, also auf englischem Gebiet, zu errichten. Gegen das amerikanische Gesetz ver¬ stieß sie damit nicht im mindesten. Das englische Gesetz bestimmt freilich anders. Kein englischer Unterthan darf ohne königliche Genehmigung in aus¬ ländische Militärdienste treten, mag die Anwerbung auf englischem Gebiet oder im Auslande geschehen. Nicht einmal in den Reihen der Verbündeten der Königin, die mit den Feinden denselben Krieg führen, darf der Engländer fechten. Die Vereinigten Staaten verbieten dagegen blos die Werbung für fremde Kriegsdienste innerhalb ihres Gebiets, und kein Gesetz spricht dem 'amerikanischen Bürger das Recht ab, außerhalb des Gebiets der Vereinigten Staaten sich unter fremde Fahne anwerben zu lassen, wenn er "unter ihr nur nicht gegen das eigne Vaterland ficht. Unter diesen Verhältnissen stand auch die englische Regierung keinen Augenblick an, ihr Vorhaben, in Neuschottland und Canada englische Werbestationen anzulegen, der Negierung der Vereinigten Staa¬ ten mitzutheilen, und diese zeigte durch ihre Antwort, daß sie das amerikanische Gesetz genau so auslege, wie die englische, indem im Mai 1856 der amerikanische Staatssecretär, Mr. Marcy, an den englischen Gesandten in Washington, Mr. Crampton, schrieb, die Neutralitätsgesetze der Vereinigten Staaten würden unnachsichtlich aufrecht erhalten werden, aber es sei niemandem verwehrt, die Vereinigten Staaten zu verlassen, und sich für ausländische Dienste anwerben zu lassen. Das Gesetz war also klar und unzweifelhaft, aber es gibt in den Ver¬ einigten Staaten noch etwas, was über dem Gesetz steht: der souveräne Wille des Volks, oder vielmehr der Partei, die am lautesten zu schreien versteht. Wie allerwärts ist das auch in den Vereinigten Staaten die demokratische, und genau wie anderwärts ist auch sie von einem grimmigen Haß gegen England erfüllt. Außerdem hat sie sehr entschiedene Sympathien für Nußland. Be¬ kanntlich hat Kaiser Nikolaus einmal geäußert, er könne nur zwei Regierungs- formen begreifen und achten:-Die Autokratie und die Republik; was dazwischen liege, erscheine ihm als Zwitterding. Die Amerikaner haben diesen Ausspruch stets als ein besonders aus sie gezieltes lLompiiment betrachtet, zumal da Kaiser Nikolaus seine theoretische Vorliebe für Republiken auch durch die rücksichtsvolle Aufnahme bethätigte, die er, reisenden Nordamerikanern stets angedeihen ließ- Vor der Huld eines Zaren aber schmilzt auch das Herz des verhärtetsten Demokraten, dessen Abgott ja ohnedies die materielle Macht ist, und der amerikanische Demokrat hat noch besondere Gründe für seine Sympathie für den russischen Absolutismus, denn beide Adler, der russische und der ameri¬ kanische, sind sich gleich an Ländergier und an Mißachtung der Rechte ihrer Nachbarn, und fühlen sich als Mitglieder einer Familie. Die englischen Wer¬ bungen für die zum Kriege gegen Nußland bestimmte Fremdenlegion waren da?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/410>, abgerufen am 27.06.2024.