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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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kommen, sondern die angenommene Function durch einen stellvertretenden Car¬
dinal ausüben zu lassen versprach. Napoleon III. hält viel auf die Gewalt
und den Einfluß des Papstes und er scheint sich mit diesem vertragen zu wollen,
um durch ihn auf die zum Theil dem Legitimismus geneigte Geistlichkeit zu
wirken. Es wurde in der That bemerkt, daß der Kaiser, der, wenn es seinen
Zwecken gemäß ist, nicht vor einem Gewaltstreich zurückschreckt, den Klerus,
selbst den feindlichen legitimistischen, fortwährend mit Schonung behandelte, ja
demselben Concessionen machte, welche mit dem Concordat Napoleons l. nicht
ganz in Einklang stehen mochten, wie die auffallende Vermehrung der Klöster
und Orden, wenn nur die imperialistische Autokratie sich nicht dadurch berührt
fühlte. Das gute Einvernehmen mit dem Papst hat sich noch ganz neuerlich
durch einen der Regierung sehr willkommenen Vermittlungsact geäußert, indem
Pius IX. den einzigen unabhängigen Bischof Frankreichs, Monseigneur
Bailles von Lu?on zum Abtritte zwang. Wie konnre man von der Regierung
Frankreichs verlangen, daß sie in eine so verhältnißmäßig radicale Maßregel
einwilligen würde? Zwar ist das System Ludwig Napoleons nichts als eine
Mosaik von Widersprüchen, die ihre Steinchen, aus denen das Bild des
heutigen Bonapartismus zusammen.esetzt ist, bald auf dem Felde des traditio¬
nellen Absolutismus, zum Theil auf jenem des Absolutismus im Frack und in
der Tricolore oder auf dem Gebiet des Socialismus und der materiellen An¬
schauung und Bestrebung unsrer Zeit sammelt. Diese Widersprüche leugnen
wollen, hieße blind sein, aber der von England geforderte war zu auffallend
und vorzüglich in diesem Augenblicke unbequem. Ludwig Napoleon benutzt den
Katholicismus für seine Zwecke und dies kann nur geschehen, indem er demselben
dient. Es ist eine schärfere Ausbildung des Gedankens von Napoleon I., aber eS ist
diese Richtung des Kaisers weder eine originelle, noch eine vereinzelte. Es ist eine
ganze Partei, eine politische Partei, zu der auch Protestanten zählen, welche die
Nothwendigkeit des Katholicismus für Frankreich vertheidigt, ungefähr wie Ammen
die Bourrelets,für kleine Kinder in Schütz nehmen, damit diese nicht auf die
Köpfe fallen, Louis Napoleon kann sich schmeicheln, mit dem großen Staats¬
mann Guizot, der Ludwig Philipp um seine Krone brachte, einer Meinung
zu sein. Wir können nicht umhin, dies durch eine Stelle aus Guizots Vor¬
rede zur neuesten Auflage der Vorlesungen über die Geschichte der europäischen
Civilisation zu beweisen: "Ich, d. h. der Protestant Guizot, finde keinen Ge¬
schmack, daran, gegen Ueberzeugungen zu kämpfen, welche ich ehre aber nicht
theile, und gegen moralische Gewalten, welche ich eher stärken als schwächen
möchte, obgleich ich nicht unter ihrer Fahne diene. Ich habe versucht, die
Rolle der katholischen Kirche in der Entwicklung der europäischen Civilisation
ZU schildern. Ich habe es mit Freiheit gethan, aber auch, ich bin dessen ge¬
wiß, mit einem tiefen Gefühl der Billigkeit und der Achtung; ich erlaube


Grenzboten. II. -I8so.

kommen, sondern die angenommene Function durch einen stellvertretenden Car¬
dinal ausüben zu lassen versprach. Napoleon III. hält viel auf die Gewalt
und den Einfluß des Papstes und er scheint sich mit diesem vertragen zu wollen,
um durch ihn auf die zum Theil dem Legitimismus geneigte Geistlichkeit zu
wirken. Es wurde in der That bemerkt, daß der Kaiser, der, wenn es seinen
Zwecken gemäß ist, nicht vor einem Gewaltstreich zurückschreckt, den Klerus,
selbst den feindlichen legitimistischen, fortwährend mit Schonung behandelte, ja
demselben Concessionen machte, welche mit dem Concordat Napoleons l. nicht
ganz in Einklang stehen mochten, wie die auffallende Vermehrung der Klöster
und Orden, wenn nur die imperialistische Autokratie sich nicht dadurch berührt
fühlte. Das gute Einvernehmen mit dem Papst hat sich noch ganz neuerlich
durch einen der Regierung sehr willkommenen Vermittlungsact geäußert, indem
Pius IX. den einzigen unabhängigen Bischof Frankreichs, Monseigneur
Bailles von Lu?on zum Abtritte zwang. Wie konnre man von der Regierung
Frankreichs verlangen, daß sie in eine so verhältnißmäßig radicale Maßregel
einwilligen würde? Zwar ist das System Ludwig Napoleons nichts als eine
Mosaik von Widersprüchen, die ihre Steinchen, aus denen das Bild des
heutigen Bonapartismus zusammen.esetzt ist, bald auf dem Felde des traditio¬
nellen Absolutismus, zum Theil auf jenem des Absolutismus im Frack und in
der Tricolore oder auf dem Gebiet des Socialismus und der materiellen An¬
schauung und Bestrebung unsrer Zeit sammelt. Diese Widersprüche leugnen
wollen, hieße blind sein, aber der von England geforderte war zu auffallend
und vorzüglich in diesem Augenblicke unbequem. Ludwig Napoleon benutzt den
Katholicismus für seine Zwecke und dies kann nur geschehen, indem er demselben
dient. Es ist eine schärfere Ausbildung des Gedankens von Napoleon I., aber eS ist
diese Richtung des Kaisers weder eine originelle, noch eine vereinzelte. Es ist eine
ganze Partei, eine politische Partei, zu der auch Protestanten zählen, welche die
Nothwendigkeit des Katholicismus für Frankreich vertheidigt, ungefähr wie Ammen
die Bourrelets,für kleine Kinder in Schütz nehmen, damit diese nicht auf die
Köpfe fallen, Louis Napoleon kann sich schmeicheln, mit dem großen Staats¬
mann Guizot, der Ludwig Philipp um seine Krone brachte, einer Meinung
zu sein. Wir können nicht umhin, dies durch eine Stelle aus Guizots Vor¬
rede zur neuesten Auflage der Vorlesungen über die Geschichte der europäischen
Civilisation zu beweisen: „Ich, d. h. der Protestant Guizot, finde keinen Ge¬
schmack, daran, gegen Ueberzeugungen zu kämpfen, welche ich ehre aber nicht
theile, und gegen moralische Gewalten, welche ich eher stärken als schwächen
möchte, obgleich ich nicht unter ihrer Fahne diene. Ich habe versucht, die
Rolle der katholischen Kirche in der Entwicklung der europäischen Civilisation
ZU schildern. Ich habe es mit Freiheit gethan, aber auch, ich bin dessen ge¬
wiß, mit einem tiefen Gefühl der Billigkeit und der Achtung; ich erlaube


Grenzboten. II. -I8so.
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/41>, abgerufen am 21.06.2024.