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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Hahnenfeder und breitem Richtschwert an der rechten Hüfte; endlich daran an¬
gehängt das Regiment des ehrsamen Hurenweibels, das schleppende Gefolge
der "Hurn und Buben", Garköche und "Sudlerinnen", zusammt den wol
mit kämpfenden Nudeln bissiger Hunde, in unübersehbarem Schweif mit Zelt¬
wagen und Karren vermischt -- und fassen wir dieses Durcheinander unzähl¬
barer Figuren in wunderlichsten Gemisch in ein Bild zusammen, so haben wir
leibhaftig den wichtigsten Theil der Heeresmacht, mit welcher Deutschlands Kaiser
die Welt im Zaume hielten.

In der Rechtsverfassung der Regimenter, die immer den tiefsten
Einblick in das innere Leben einer Soldatcnwelt gewährt, finden wir hier
lebendige Soldatenehre mit hoher Gerechtigkeitsliebe in einem freien Bewußtsein
wurzelnd, auch einige Schwerfälligkeit, das ist deutsche Art und wenn wir
sogar auf eine Form des RechtSbrauchs stoßen werden, welche uns wie blutige
Rohheit erscheint, so müssen wir bedenken, daß in Heeren von ungebundener
Organisation, wo regelmäßige Soldzahlung und Aussicht auf Beute nur zu
oft alleinige Regulatoren der Mannszucht waren, die Justiz nicht anders als
schnell und schrecklich sein konnte. Bei Errichtung eines Regiments hatte
sich der Oberst mit den Kriegsleuten über den Brauch in peinlichen RechtS-
oder Malefizsachen zu verständigen und ward ihnen alsdann entweder Ge¬
schwornengericht unter Vorsitz des Schultheißen oder das furchtbare Genossen¬
gericht der langen Spieße zugesagt. Im erstern Falle ward ein erprobter,
rechtsverständiger Kriegsmann, kein dem kriegerischen Leben fernstehender Rechts-
gelehrter, von dem Obersten unter Verleihung des weißen Stabes als Schult¬
heiß in Eid und Pflicht genommen, worauf dieser sich nach zwölf geschickten
Knechten, etwa einem aus jeden Fähnlein, als Gerichtsleuten umthat. Sie
schwören insgesammt auf das heilige Evangelium, recht zu richten ohne An-
sehn der Person und jegliche Rücksicht, dem Schultheißen gehorsam zu sein in
allen billigen Dingen und was sie richten und urtheilen zu verschweigen bis
in daS Grab. Ein Gerichtsweibel und Schreiber werden gleichfalls aus dem
Regiment gewählt. -- Trommelschlag ruft dieses Schwurgericht zusammen, und
es spricht zur Stelle Recht nach herkömmlichen Brauch in allen Dingen, wo
es um Geld und Gut, Streit und bürgerliche Vergehen geht. Von fast
religiösem Pomp aber ist der Hergang der Malefizgerichte, wenn unter Beisitz
aller Hauptleute, Fähndriche und Feldweibel "an einem nüchternen Morgen"
auf Grund des beschworner Artikelbriefes über Ehre, Leib und Leben gerichtet
wird. Dieser Hergang, dessen nur andeutungsweise Mittheilung weder anziehend
noch verständlich sein könnte, war kurz gesagt von einer Umständlichkeit, welche
auch jeden Schein von Gunst oder Eile fernhielt, und mit warmer Fürsprache
des Angeklagten, indem Kläger und Fürsprecher "ins Recht dingen". Erst
uach wiederholter Vertagung reiften verwickelte Fälle zum Spruch und die kunst-


Hahnenfeder und breitem Richtschwert an der rechten Hüfte; endlich daran an¬
gehängt das Regiment des ehrsamen Hurenweibels, das schleppende Gefolge
der „Hurn und Buben", Garköche und „Sudlerinnen", zusammt den wol
mit kämpfenden Nudeln bissiger Hunde, in unübersehbarem Schweif mit Zelt¬
wagen und Karren vermischt — und fassen wir dieses Durcheinander unzähl¬
barer Figuren in wunderlichsten Gemisch in ein Bild zusammen, so haben wir
leibhaftig den wichtigsten Theil der Heeresmacht, mit welcher Deutschlands Kaiser
die Welt im Zaume hielten.

In der Rechtsverfassung der Regimenter, die immer den tiefsten
Einblick in das innere Leben einer Soldatcnwelt gewährt, finden wir hier
lebendige Soldatenehre mit hoher Gerechtigkeitsliebe in einem freien Bewußtsein
wurzelnd, auch einige Schwerfälligkeit, das ist deutsche Art und wenn wir
sogar auf eine Form des RechtSbrauchs stoßen werden, welche uns wie blutige
Rohheit erscheint, so müssen wir bedenken, daß in Heeren von ungebundener
Organisation, wo regelmäßige Soldzahlung und Aussicht auf Beute nur zu
oft alleinige Regulatoren der Mannszucht waren, die Justiz nicht anders als
schnell und schrecklich sein konnte. Bei Errichtung eines Regiments hatte
sich der Oberst mit den Kriegsleuten über den Brauch in peinlichen RechtS-
oder Malefizsachen zu verständigen und ward ihnen alsdann entweder Ge¬
schwornengericht unter Vorsitz des Schultheißen oder das furchtbare Genossen¬
gericht der langen Spieße zugesagt. Im erstern Falle ward ein erprobter,
rechtsverständiger Kriegsmann, kein dem kriegerischen Leben fernstehender Rechts-
gelehrter, von dem Obersten unter Verleihung des weißen Stabes als Schult¬
heiß in Eid und Pflicht genommen, worauf dieser sich nach zwölf geschickten
Knechten, etwa einem aus jeden Fähnlein, als Gerichtsleuten umthat. Sie
schwören insgesammt auf das heilige Evangelium, recht zu richten ohne An-
sehn der Person und jegliche Rücksicht, dem Schultheißen gehorsam zu sein in
allen billigen Dingen und was sie richten und urtheilen zu verschweigen bis
in daS Grab. Ein Gerichtsweibel und Schreiber werden gleichfalls aus dem
Regiment gewählt. — Trommelschlag ruft dieses Schwurgericht zusammen, und
es spricht zur Stelle Recht nach herkömmlichen Brauch in allen Dingen, wo
es um Geld und Gut, Streit und bürgerliche Vergehen geht. Von fast
religiösem Pomp aber ist der Hergang der Malefizgerichte, wenn unter Beisitz
aller Hauptleute, Fähndriche und Feldweibel „an einem nüchternen Morgen"
auf Grund des beschworner Artikelbriefes über Ehre, Leib und Leben gerichtet
wird. Dieser Hergang, dessen nur andeutungsweise Mittheilung weder anziehend
noch verständlich sein könnte, war kurz gesagt von einer Umständlichkeit, welche
auch jeden Schein von Gunst oder Eile fernhielt, und mit warmer Fürsprache
des Angeklagten, indem Kläger und Fürsprecher „ins Recht dingen". Erst
uach wiederholter Vertagung reiften verwickelte Fälle zum Spruch und die kunst-


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[0405] Hahnenfeder und breitem Richtschwert an der rechten Hüfte; endlich daran an¬ gehängt das Regiment des ehrsamen Hurenweibels, das schleppende Gefolge der „Hurn und Buben", Garköche und „Sudlerinnen", zusammt den wol mit kämpfenden Nudeln bissiger Hunde, in unübersehbarem Schweif mit Zelt¬ wagen und Karren vermischt — und fassen wir dieses Durcheinander unzähl¬ barer Figuren in wunderlichsten Gemisch in ein Bild zusammen, so haben wir leibhaftig den wichtigsten Theil der Heeresmacht, mit welcher Deutschlands Kaiser die Welt im Zaume hielten. In der Rechtsverfassung der Regimenter, die immer den tiefsten Einblick in das innere Leben einer Soldatcnwelt gewährt, finden wir hier lebendige Soldatenehre mit hoher Gerechtigkeitsliebe in einem freien Bewußtsein wurzelnd, auch einige Schwerfälligkeit, das ist deutsche Art und wenn wir sogar auf eine Form des RechtSbrauchs stoßen werden, welche uns wie blutige Rohheit erscheint, so müssen wir bedenken, daß in Heeren von ungebundener Organisation, wo regelmäßige Soldzahlung und Aussicht auf Beute nur zu oft alleinige Regulatoren der Mannszucht waren, die Justiz nicht anders als schnell und schrecklich sein konnte. Bei Errichtung eines Regiments hatte sich der Oberst mit den Kriegsleuten über den Brauch in peinlichen RechtS- oder Malefizsachen zu verständigen und ward ihnen alsdann entweder Ge¬ schwornengericht unter Vorsitz des Schultheißen oder das furchtbare Genossen¬ gericht der langen Spieße zugesagt. Im erstern Falle ward ein erprobter, rechtsverständiger Kriegsmann, kein dem kriegerischen Leben fernstehender Rechts- gelehrter, von dem Obersten unter Verleihung des weißen Stabes als Schult¬ heiß in Eid und Pflicht genommen, worauf dieser sich nach zwölf geschickten Knechten, etwa einem aus jeden Fähnlein, als Gerichtsleuten umthat. Sie schwören insgesammt auf das heilige Evangelium, recht zu richten ohne An- sehn der Person und jegliche Rücksicht, dem Schultheißen gehorsam zu sein in allen billigen Dingen und was sie richten und urtheilen zu verschweigen bis in daS Grab. Ein Gerichtsweibel und Schreiber werden gleichfalls aus dem Regiment gewählt. — Trommelschlag ruft dieses Schwurgericht zusammen, und es spricht zur Stelle Recht nach herkömmlichen Brauch in allen Dingen, wo es um Geld und Gut, Streit und bürgerliche Vergehen geht. Von fast religiösem Pomp aber ist der Hergang der Malefizgerichte, wenn unter Beisitz aller Hauptleute, Fähndriche und Feldweibel „an einem nüchternen Morgen" auf Grund des beschworner Artikelbriefes über Ehre, Leib und Leben gerichtet wird. Dieser Hergang, dessen nur andeutungsweise Mittheilung weder anziehend noch verständlich sein könnte, war kurz gesagt von einer Umständlichkeit, welche auch jeden Schein von Gunst oder Eile fernhielt, und mit warmer Fürsprache des Angeklagten, indem Kläger und Fürsprecher „ins Recht dingen". Erst uach wiederholter Vertagung reiften verwickelte Fälle zum Spruch und die kunst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/405>, abgerufen am 27.06.2024.