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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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ob die bildende Kunst schwebende Figuren darstellen dürfe, schwerlich aufgewor¬
fen, geschweige denn verneint haben.

Von diesen Schätzen, welche die Erde so treu durch achtzehn Jahrhunderte
bewahrt hat, geht theils durch die bei der Herausforderung unvermeidlichen
Beschädigungen, theils durch das unverantwortliche Verfahren der neapolitani¬
schen Negierung nur zu viel verloren. Wie oft bemerkt Zahn von den präch¬
tigsten Wänden, daß nach kurzer Zeit wenig oder, gar keine Spur mehr von
ihnen geblieben sei. Aber schlimmer als Wind und Regen ist die neapolita¬
nische Indifferenz und jener scheußliche Neid, der das Kostbarste lieber selbst
zerstört, ehe er es fremden Händen übergibt, die es zu nutzen verstehen. Schon
Winckelmann beklagt, "daß diejenigen Gemälde, welche nicht besonders geachtet
werden und nicht für das königliche Museum bestimmt sind, auf ausdrücklichen
Befehl der königlichen Regierung zerfetzt und verderbt werden, damit dieselben
nicht in fremde Hände gerathen." Interessante Mittheilungen über die Schwie¬
rigkeiten, die man fremden Künstlern und Gelehrten in den Weg legt, macht
der englische Archäalog Gell. Fremde erhalten selten Erlaubniß, ein Bild eher
zu copiren, als bis es zerstört ist, während doch weder einheimische Künstler
an Ort und Stelle vorhanden sind, um die nöthigen Copien zu machen, noch
ein Publicum, um sie zu kaufen. So muß man die Bilder von der Wand in
einem günstigen Augenblick förmlich stehlen, um sie ewiger Vergessenheit zu
entreißen. Wird die Erlaubniß endlich ertheilt, so sind sie längst zerstört; erst
1826 erhielten z. B. Fremde Erlaubniß, die vor 1823 gemachten Entdeckungen
zu zeichnen u. s. w. Gell versichert, daß alle in seinem Buch abgebildeten Sachen
mit wenigen Ausnahmen spurlos verloren sein würden, wenn er sich nicht im
günstigen Moment an Ort und Stelle besunden hätte und im Stande gewesen
wäre, sie zu copiren.

Im vorigen Jahrhundert, als. die py mpejanischen Gemälde noch wenig
bekannt waren, konnten Betrüger ohne Schwierigkeit nachgemachte für antike
verkaufen. Ein venezianischer Maler, Joseph Guerra, der in Rom lebte
(^1761), machte gute Geschäfte mit solchen antiken Bildern aus eigner Fabrik.
In der Vorrede zu den herculanischen Alterthümern wird von ihm mit Achtung
gesprochen, Winckelmann nennt ihn mittelmäßig. Unter andern Gemälden, die
er nach Frankreich und England verkaufte, stellte eins den Tod des Epaminon-
das vor. Epaminondas sah aus wie ein Gerippe, eine lange, abgezehrte Figur
in Giottos Stil, und wurde von Soldaten getragen, die über und über mit
alten eisernen Rüstungen aus dem 13. Jahrhundert bedeckt waren.

Dieser flüchtige Ueberblick über Pompeji und seine Kunst möge hier ge¬
nügen. Weit besser als die Wohnungen der Lebenden sind die der Todten
erhalten; wegen ihrer soliden Bauart ist ein Theil der Grabdenkmäler vordem
herculanischen Thor noch durchaus unversehrt, so daß nichts fehlt als die


ob die bildende Kunst schwebende Figuren darstellen dürfe, schwerlich aufgewor¬
fen, geschweige denn verneint haben.

Von diesen Schätzen, welche die Erde so treu durch achtzehn Jahrhunderte
bewahrt hat, geht theils durch die bei der Herausforderung unvermeidlichen
Beschädigungen, theils durch das unverantwortliche Verfahren der neapolitani¬
schen Negierung nur zu viel verloren. Wie oft bemerkt Zahn von den präch¬
tigsten Wänden, daß nach kurzer Zeit wenig oder, gar keine Spur mehr von
ihnen geblieben sei. Aber schlimmer als Wind und Regen ist die neapolita¬
nische Indifferenz und jener scheußliche Neid, der das Kostbarste lieber selbst
zerstört, ehe er es fremden Händen übergibt, die es zu nutzen verstehen. Schon
Winckelmann beklagt, „daß diejenigen Gemälde, welche nicht besonders geachtet
werden und nicht für das königliche Museum bestimmt sind, auf ausdrücklichen
Befehl der königlichen Regierung zerfetzt und verderbt werden, damit dieselben
nicht in fremde Hände gerathen." Interessante Mittheilungen über die Schwie¬
rigkeiten, die man fremden Künstlern und Gelehrten in den Weg legt, macht
der englische Archäalog Gell. Fremde erhalten selten Erlaubniß, ein Bild eher
zu copiren, als bis es zerstört ist, während doch weder einheimische Künstler
an Ort und Stelle vorhanden sind, um die nöthigen Copien zu machen, noch
ein Publicum, um sie zu kaufen. So muß man die Bilder von der Wand in
einem günstigen Augenblick förmlich stehlen, um sie ewiger Vergessenheit zu
entreißen. Wird die Erlaubniß endlich ertheilt, so sind sie längst zerstört; erst
1826 erhielten z. B. Fremde Erlaubniß, die vor 1823 gemachten Entdeckungen
zu zeichnen u. s. w. Gell versichert, daß alle in seinem Buch abgebildeten Sachen
mit wenigen Ausnahmen spurlos verloren sein würden, wenn er sich nicht im
günstigen Moment an Ort und Stelle besunden hätte und im Stande gewesen
wäre, sie zu copiren.

Im vorigen Jahrhundert, als. die py mpejanischen Gemälde noch wenig
bekannt waren, konnten Betrüger ohne Schwierigkeit nachgemachte für antike
verkaufen. Ein venezianischer Maler, Joseph Guerra, der in Rom lebte
(^1761), machte gute Geschäfte mit solchen antiken Bildern aus eigner Fabrik.
In der Vorrede zu den herculanischen Alterthümern wird von ihm mit Achtung
gesprochen, Winckelmann nennt ihn mittelmäßig. Unter andern Gemälden, die
er nach Frankreich und England verkaufte, stellte eins den Tod des Epaminon-
das vor. Epaminondas sah aus wie ein Gerippe, eine lange, abgezehrte Figur
in Giottos Stil, und wurde von Soldaten getragen, die über und über mit
alten eisernen Rüstungen aus dem 13. Jahrhundert bedeckt waren.

Dieser flüchtige Ueberblick über Pompeji und seine Kunst möge hier ge¬
nügen. Weit besser als die Wohnungen der Lebenden sind die der Todten
erhalten; wegen ihrer soliden Bauart ist ein Theil der Grabdenkmäler vordem
herculanischen Thor noch durchaus unversehrt, so daß nichts fehlt als die


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[0038] ob die bildende Kunst schwebende Figuren darstellen dürfe, schwerlich aufgewor¬ fen, geschweige denn verneint haben. Von diesen Schätzen, welche die Erde so treu durch achtzehn Jahrhunderte bewahrt hat, geht theils durch die bei der Herausforderung unvermeidlichen Beschädigungen, theils durch das unverantwortliche Verfahren der neapolitani¬ schen Negierung nur zu viel verloren. Wie oft bemerkt Zahn von den präch¬ tigsten Wänden, daß nach kurzer Zeit wenig oder, gar keine Spur mehr von ihnen geblieben sei. Aber schlimmer als Wind und Regen ist die neapolita¬ nische Indifferenz und jener scheußliche Neid, der das Kostbarste lieber selbst zerstört, ehe er es fremden Händen übergibt, die es zu nutzen verstehen. Schon Winckelmann beklagt, „daß diejenigen Gemälde, welche nicht besonders geachtet werden und nicht für das königliche Museum bestimmt sind, auf ausdrücklichen Befehl der königlichen Regierung zerfetzt und verderbt werden, damit dieselben nicht in fremde Hände gerathen." Interessante Mittheilungen über die Schwie¬ rigkeiten, die man fremden Künstlern und Gelehrten in den Weg legt, macht der englische Archäalog Gell. Fremde erhalten selten Erlaubniß, ein Bild eher zu copiren, als bis es zerstört ist, während doch weder einheimische Künstler an Ort und Stelle vorhanden sind, um die nöthigen Copien zu machen, noch ein Publicum, um sie zu kaufen. So muß man die Bilder von der Wand in einem günstigen Augenblick förmlich stehlen, um sie ewiger Vergessenheit zu entreißen. Wird die Erlaubniß endlich ertheilt, so sind sie längst zerstört; erst 1826 erhielten z. B. Fremde Erlaubniß, die vor 1823 gemachten Entdeckungen zu zeichnen u. s. w. Gell versichert, daß alle in seinem Buch abgebildeten Sachen mit wenigen Ausnahmen spurlos verloren sein würden, wenn er sich nicht im günstigen Moment an Ort und Stelle besunden hätte und im Stande gewesen wäre, sie zu copiren. Im vorigen Jahrhundert, als. die py mpejanischen Gemälde noch wenig bekannt waren, konnten Betrüger ohne Schwierigkeit nachgemachte für antike verkaufen. Ein venezianischer Maler, Joseph Guerra, der in Rom lebte (^1761), machte gute Geschäfte mit solchen antiken Bildern aus eigner Fabrik. In der Vorrede zu den herculanischen Alterthümern wird von ihm mit Achtung gesprochen, Winckelmann nennt ihn mittelmäßig. Unter andern Gemälden, die er nach Frankreich und England verkaufte, stellte eins den Tod des Epaminon- das vor. Epaminondas sah aus wie ein Gerippe, eine lange, abgezehrte Figur in Giottos Stil, und wurde von Soldaten getragen, die über und über mit alten eisernen Rüstungen aus dem 13. Jahrhundert bedeckt waren. Dieser flüchtige Ueberblick über Pompeji und seine Kunst möge hier ge¬ nügen. Weit besser als die Wohnungen der Lebenden sind die der Todten erhalten; wegen ihrer soliden Bauart ist ein Theil der Grabdenkmäler vordem herculanischen Thor noch durchaus unversehrt, so daß nichts fehlt als die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/38>, abgerufen am 21.06.2024.