Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

drängt sich die Bemerkung auf, daß derselbe Decorationsstil Haus für Haus
wiederkehrt. Alles ist "wie aus einem Guß entsprungen und aus einem Topfe
gemalt." Andrerseits läßt sich aber nicht verkennen, daß verschiedene Theile
derselben Wand verschieden behandelt sind, namentlich daß die in der Mette be¬
findlichen Figurenbilder öfter von einer andern Hand herrühren als das Uebrige
Beides hat Goethe in seiner Anzeige des Zahnschen Werks sehr wohl erklärt.
Er setzt voraus, daß der größte Theil von Pompeji den sechzehn Jahren ange¬
hört, welche zwischen der Zerstörung durch das Erdbeben und der ganzkchen
Verschüttung liegen, eine Voraussetzung, die einen hohen Grad von Wahr¬
scheinlichkeit' hat Wir werden jene Annahme noch wahrscheinlicher finden,
wenn wir bedenken, welche Masse von Künstlern in dem römischen Reiche sich
während des ersten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung mag verbreitet haben,
dergestalt, daß ganze Kolonien. Züge. Schwärme, Wolken, wie man es nennen
will, von Künstlern und Handwerkern da heranzuziehen waren, wo man ihrer
bedürfte." So hat man sich ohne Zweifel die Entstehung jener durchweg über¬
einstimmenden Däuser- und Zimmerdecoration von Pompeji und Herculanum
vorzustellen, daß° dabei eine ganze Gesellschaft von Künstlern und Handwerkern
zusammenwirkte, in der jeder seine bestimmte Thätigkeit mit Virtuosität ausübte.

Nach der Grundirung des Wandfeldes erfolgte die Abtheilung in kleinere
Felder durch jene grotesken Zierrathen, jenes Rohrwerk von schmächtigen
Säulchen, lattenartigen Pföstchen. jenen geschnörkelten Giebeln, und was sich
sonst, von abenteuerlichen Blumenvasen, Schlingranken, wiederkehrenden selt¬
samen Auswüchsen d.araus entwickeln, was für Ungeheuer daraus hervortreten
mochten. Springt ein Pferd, ein Löwe, ein Tiger aus dem Blättervolute
heraus , so ist eS ein Zeugniß, daß die Thiermaler, in die allgemeine Ver¬
zierergilde eingeschlossen, seine Fertigkeiten wollte sehen lassen. -- Nun mochten
sich auch wol fertige Künstler finden, welche eine leichte Figur auf die einfar¬
bige Wand in der Mitte zeichneten und malten. Um nun auch den höhern
Kunstsinn zu befriedigen, so hatte manschen (und wahrscheinlich in besonderen Werk¬
stätten) sich auf die Fertigung kleiner Bilder gelegt, die auf Kalktafeln gemalt in die
weite getünchte Wand eingelassen, durch ein geschicktes Zustreichen n.it derselben
völlig ins Gleichgewicht gebracht wurden. In der That sind zu Stabiä auf
dem Boden des Zimmers einer Villa vier solche Gemälde gefunden worden, die
an die Mauer gelehnt waren, und offenbar die Bestimmung hatten, in eine
Wand eingelassen zu werden.

Ueber den Kunstwerth der pompejanischen Bilder können wir hier nicht
ausführlich sein. Den Preis dürften vor allen übrigen die mit Recht berühmten
schwebenden Figuren verdienen. Winckelmann sagt von ihnen: "sie sind flüchtig,
wie ein Gedanke, und schön, wie von der Hand der Grazien ausgeführt."
Hatte Lessing sie gekannt, als er den Laokoon schrieb, so würde er die Frage.


drängt sich die Bemerkung auf, daß derselbe Decorationsstil Haus für Haus
wiederkehrt. Alles ist „wie aus einem Guß entsprungen und aus einem Topfe
gemalt." Andrerseits läßt sich aber nicht verkennen, daß verschiedene Theile
derselben Wand verschieden behandelt sind, namentlich daß die in der Mette be¬
findlichen Figurenbilder öfter von einer andern Hand herrühren als das Uebrige
Beides hat Goethe in seiner Anzeige des Zahnschen Werks sehr wohl erklärt.
Er setzt voraus, daß der größte Theil von Pompeji den sechzehn Jahren ange¬
hört, welche zwischen der Zerstörung durch das Erdbeben und der ganzkchen
Verschüttung liegen, eine Voraussetzung, die einen hohen Grad von Wahr¬
scheinlichkeit' hat Wir werden jene Annahme noch wahrscheinlicher finden,
wenn wir bedenken, welche Masse von Künstlern in dem römischen Reiche sich
während des ersten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung mag verbreitet haben,
dergestalt, daß ganze Kolonien. Züge. Schwärme, Wolken, wie man es nennen
will, von Künstlern und Handwerkern da heranzuziehen waren, wo man ihrer
bedürfte." So hat man sich ohne Zweifel die Entstehung jener durchweg über¬
einstimmenden Däuser- und Zimmerdecoration von Pompeji und Herculanum
vorzustellen, daß° dabei eine ganze Gesellschaft von Künstlern und Handwerkern
zusammenwirkte, in der jeder seine bestimmte Thätigkeit mit Virtuosität ausübte.

Nach der Grundirung des Wandfeldes erfolgte die Abtheilung in kleinere
Felder durch jene grotesken Zierrathen, jenes Rohrwerk von schmächtigen
Säulchen, lattenartigen Pföstchen. jenen geschnörkelten Giebeln, und was sich
sonst, von abenteuerlichen Blumenvasen, Schlingranken, wiederkehrenden selt¬
samen Auswüchsen d.araus entwickeln, was für Ungeheuer daraus hervortreten
mochten. Springt ein Pferd, ein Löwe, ein Tiger aus dem Blättervolute
heraus , so ist eS ein Zeugniß, daß die Thiermaler, in die allgemeine Ver¬
zierergilde eingeschlossen, seine Fertigkeiten wollte sehen lassen. — Nun mochten
sich auch wol fertige Künstler finden, welche eine leichte Figur auf die einfar¬
bige Wand in der Mitte zeichneten und malten. Um nun auch den höhern
Kunstsinn zu befriedigen, so hatte manschen (und wahrscheinlich in besonderen Werk¬
stätten) sich auf die Fertigung kleiner Bilder gelegt, die auf Kalktafeln gemalt in die
weite getünchte Wand eingelassen, durch ein geschicktes Zustreichen n.it derselben
völlig ins Gleichgewicht gebracht wurden. In der That sind zu Stabiä auf
dem Boden des Zimmers einer Villa vier solche Gemälde gefunden worden, die
an die Mauer gelehnt waren, und offenbar die Bestimmung hatten, in eine
Wand eingelassen zu werden.

Ueber den Kunstwerth der pompejanischen Bilder können wir hier nicht
ausführlich sein. Den Preis dürften vor allen übrigen die mit Recht berühmten
schwebenden Figuren verdienen. Winckelmann sagt von ihnen: „sie sind flüchtig,
wie ein Gedanke, und schön, wie von der Hand der Grazien ausgeführt."
Hatte Lessing sie gekannt, als er den Laokoon schrieb, so würde er die Frage.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101564"/>
            <p xml:id="ID_72" prev="#ID_71"> drängt sich die Bemerkung auf, daß derselbe Decorationsstil Haus für Haus<lb/>
wiederkehrt. Alles ist &#x201E;wie aus einem Guß entsprungen und aus einem Topfe<lb/>
gemalt." Andrerseits läßt sich aber nicht verkennen, daß verschiedene Theile<lb/>
derselben Wand verschieden behandelt sind, namentlich daß die in der Mette be¬<lb/>
findlichen Figurenbilder öfter von einer andern Hand herrühren als das Uebrige<lb/>
Beides hat Goethe in seiner Anzeige des Zahnschen Werks sehr wohl erklärt.<lb/>
Er setzt voraus, daß der größte Theil von Pompeji den sechzehn Jahren ange¬<lb/>
hört, welche zwischen der Zerstörung durch das Erdbeben und der ganzkchen<lb/>
Verschüttung liegen, eine Voraussetzung, die einen hohen Grad von Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit' hat Wir werden jene Annahme noch wahrscheinlicher finden,<lb/>
wenn wir bedenken, welche Masse von Künstlern in dem römischen Reiche sich<lb/>
während des ersten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung mag verbreitet haben,<lb/>
dergestalt, daß ganze Kolonien. Züge. Schwärme, Wolken, wie man es nennen<lb/>
will, von Künstlern und Handwerkern da heranzuziehen waren, wo man ihrer<lb/>
bedürfte." So hat man sich ohne Zweifel die Entstehung jener durchweg über¬<lb/>
einstimmenden Däuser- und Zimmerdecoration von Pompeji und Herculanum<lb/>
vorzustellen, daß° dabei eine ganze Gesellschaft von Künstlern und Handwerkern<lb/>
zusammenwirkte, in der jeder seine bestimmte Thätigkeit mit Virtuosität ausübte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_73"> Nach der Grundirung des Wandfeldes erfolgte die Abtheilung in kleinere<lb/>
Felder durch jene grotesken Zierrathen, jenes Rohrwerk von schmächtigen<lb/>
Säulchen, lattenartigen Pföstchen. jenen geschnörkelten Giebeln, und was sich<lb/>
sonst, von abenteuerlichen Blumenvasen, Schlingranken, wiederkehrenden selt¬<lb/>
samen Auswüchsen d.araus entwickeln, was für Ungeheuer daraus hervortreten<lb/>
mochten. Springt ein Pferd, ein Löwe, ein Tiger aus dem Blättervolute<lb/>
heraus , so ist eS ein Zeugniß, daß die Thiermaler, in die allgemeine Ver¬<lb/>
zierergilde eingeschlossen, seine Fertigkeiten wollte sehen lassen. &#x2014; Nun mochten<lb/>
sich auch wol fertige Künstler finden, welche eine leichte Figur auf die einfar¬<lb/>
bige Wand in der Mitte zeichneten und malten. Um nun auch den höhern<lb/>
Kunstsinn zu befriedigen, so hatte manschen (und wahrscheinlich in besonderen Werk¬<lb/>
stätten) sich auf die Fertigung kleiner Bilder gelegt, die auf Kalktafeln gemalt in die<lb/>
weite getünchte Wand eingelassen, durch ein geschicktes Zustreichen n.it derselben<lb/>
völlig ins Gleichgewicht gebracht wurden. In der That sind zu Stabiä auf<lb/>
dem Boden des Zimmers einer Villa vier solche Gemälde gefunden worden, die<lb/>
an die Mauer gelehnt waren, und offenbar die Bestimmung hatten, in eine<lb/>
Wand eingelassen zu werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_74" next="#ID_75"> Ueber den Kunstwerth der pompejanischen Bilder können wir hier nicht<lb/>
ausführlich sein. Den Preis dürften vor allen übrigen die mit Recht berühmten<lb/>
schwebenden Figuren verdienen. Winckelmann sagt von ihnen: &#x201E;sie sind flüchtig,<lb/>
wie ein Gedanke, und schön, wie von der Hand der Grazien ausgeführt."<lb/>
Hatte Lessing sie gekannt, als er den Laokoon schrieb, so würde er die Frage.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] drängt sich die Bemerkung auf, daß derselbe Decorationsstil Haus für Haus wiederkehrt. Alles ist „wie aus einem Guß entsprungen und aus einem Topfe gemalt." Andrerseits läßt sich aber nicht verkennen, daß verschiedene Theile derselben Wand verschieden behandelt sind, namentlich daß die in der Mette be¬ findlichen Figurenbilder öfter von einer andern Hand herrühren als das Uebrige Beides hat Goethe in seiner Anzeige des Zahnschen Werks sehr wohl erklärt. Er setzt voraus, daß der größte Theil von Pompeji den sechzehn Jahren ange¬ hört, welche zwischen der Zerstörung durch das Erdbeben und der ganzkchen Verschüttung liegen, eine Voraussetzung, die einen hohen Grad von Wahr¬ scheinlichkeit' hat Wir werden jene Annahme noch wahrscheinlicher finden, wenn wir bedenken, welche Masse von Künstlern in dem römischen Reiche sich während des ersten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung mag verbreitet haben, dergestalt, daß ganze Kolonien. Züge. Schwärme, Wolken, wie man es nennen will, von Künstlern und Handwerkern da heranzuziehen waren, wo man ihrer bedürfte." So hat man sich ohne Zweifel die Entstehung jener durchweg über¬ einstimmenden Däuser- und Zimmerdecoration von Pompeji und Herculanum vorzustellen, daß° dabei eine ganze Gesellschaft von Künstlern und Handwerkern zusammenwirkte, in der jeder seine bestimmte Thätigkeit mit Virtuosität ausübte. Nach der Grundirung des Wandfeldes erfolgte die Abtheilung in kleinere Felder durch jene grotesken Zierrathen, jenes Rohrwerk von schmächtigen Säulchen, lattenartigen Pföstchen. jenen geschnörkelten Giebeln, und was sich sonst, von abenteuerlichen Blumenvasen, Schlingranken, wiederkehrenden selt¬ samen Auswüchsen d.araus entwickeln, was für Ungeheuer daraus hervortreten mochten. Springt ein Pferd, ein Löwe, ein Tiger aus dem Blättervolute heraus , so ist eS ein Zeugniß, daß die Thiermaler, in die allgemeine Ver¬ zierergilde eingeschlossen, seine Fertigkeiten wollte sehen lassen. — Nun mochten sich auch wol fertige Künstler finden, welche eine leichte Figur auf die einfar¬ bige Wand in der Mitte zeichneten und malten. Um nun auch den höhern Kunstsinn zu befriedigen, so hatte manschen (und wahrscheinlich in besonderen Werk¬ stätten) sich auf die Fertigung kleiner Bilder gelegt, die auf Kalktafeln gemalt in die weite getünchte Wand eingelassen, durch ein geschicktes Zustreichen n.it derselben völlig ins Gleichgewicht gebracht wurden. In der That sind zu Stabiä auf dem Boden des Zimmers einer Villa vier solche Gemälde gefunden worden, die an die Mauer gelehnt waren, und offenbar die Bestimmung hatten, in eine Wand eingelassen zu werden. Ueber den Kunstwerth der pompejanischen Bilder können wir hier nicht ausführlich sein. Den Preis dürften vor allen übrigen die mit Recht berühmten schwebenden Figuren verdienen. Winckelmann sagt von ihnen: „sie sind flüchtig, wie ein Gedanke, und schön, wie von der Hand der Grazien ausgeführt." Hatte Lessing sie gekannt, als er den Laokoon schrieb, so würde er die Frage.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/37>, abgerufen am 21.06.2024.