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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sondern waren die Formel für die bestimmten Ansprüche der damaligen Ameri¬
kaner. Die Eidgenossenschaft ist nicht ein Conglomerat verschiedener Nationen,
sondern sie beruht auf einer bestimmten Nationalität, welche kräftig genug ist,
die in ungeheurer Masse hinzuströmenden fremden Elemente allmälig zu ab-
sorbiren. Freilich muß sie eine gewisse Gewalt dazu aufwenden, und diese
Gewalt äußert sich in der Form des Hasses. Sie führt zu Excessen, die in
keiner Weise gerechtfertigt werden können, aber man muß wenigstens nicht
glauben, daß diese aus willkürlichen Einfällen einer fanatischen Partei ent¬
springe. Dies ist der politische Gesichtspunkt, der uns bei der Lectüre der
vorliegenden Schriften vorzugsweise interessirt hat. Fassen wir zunächst die
Composition derselben ins Auge.

Die einfachere Aufgabe hat sich Herr Neimann gestellt. Er behandelt
nur die Jahre -1781--87, diejenige Zeit, in welcher die Unionsversasfung aus
ihren ersten elementaren Zuständen sich zu einer folgerichtigen Form ent¬
wickelte., Die Zeit, diese bisher noch ziemlich unbekannte Entwicklungsperiode
zu charakterisieren, ist jetzt gekommen, da in den letzten Jahren eine Reihe von
Documenten über die damaligen Verhältnisse veröffentlicht sind, namentlich die
Papiere von Madison, -1841. Das vorliegende Werk ist demnach ausschließlich
nordamerikanische Verfassungsgeschichte. Ein viel weiteres Ziel hat sich Herr
Handelmann gesteckt. Er will nach und nach die Geschichte der sämmtlichen
amerikanischen Staaten behandeln. Die bisherigen Lieferungen zerfallen in
Zwei Hauptabtheilungen: -I) in die Geschichte der Kolonien, welche gegen¬
wärtig das Gebiet der nordamerikanischen Freistaaten ausmachen, von der er¬
sten Einwanderung an bis -1787 (688 Seiten); 2) die Geschichte von Haiti
von der Entdeckung der Insel bis jetzt (-192 Seiten). Die Geschichte von
Brasilien soll demnächst folgen. -- Die Geschichte der vereinigten Staaten
Zerfalle in zwei Abschnitte: in die Geschichte der Kolonisation, die mit einer
Uebersicht über die gegenwärtigen Bevölkerungsverhältnisse schließt, und in die
Geschichte der Unabhängigkeit. Es ergibt sich von selbst, daß das erste Werk
mehr einen monographischen Charakter an sich trägt, während das letztere eine
übersichtliche Darstellung bezweckt.

Beide Bücher legen ein sehr erfreuliches Zeugniß für den Fortschritt un¬
serer historischen Methode ab. Die Verfasser sind noch junge Männer, sie
h"ben sich aber schon vollständig jene Besonnenheit und Sicherheit der Kritik
""geeignet, die wir als einen Erwerb der unmittelbar vorhergehenden großen
Geschichtschreiber betrachten können. Es fehlte den Deutschen bisher an
einem historischen Stil, und jeder Geschichtschreiber war gewissermaßen ge¬
nöthigt, in seiner Bildung von vorn anzufangen. Folgende Umstände" er¬
schwerten bis jetzt die Bildung eines historischen Stils in Deutschland. Nach¬
dem der einseitige historische Pragmatismus der Aufklärung überwunden war,


sondern waren die Formel für die bestimmten Ansprüche der damaligen Ameri¬
kaner. Die Eidgenossenschaft ist nicht ein Conglomerat verschiedener Nationen,
sondern sie beruht auf einer bestimmten Nationalität, welche kräftig genug ist,
die in ungeheurer Masse hinzuströmenden fremden Elemente allmälig zu ab-
sorbiren. Freilich muß sie eine gewisse Gewalt dazu aufwenden, und diese
Gewalt äußert sich in der Form des Hasses. Sie führt zu Excessen, die in
keiner Weise gerechtfertigt werden können, aber man muß wenigstens nicht
glauben, daß diese aus willkürlichen Einfällen einer fanatischen Partei ent¬
springe. Dies ist der politische Gesichtspunkt, der uns bei der Lectüre der
vorliegenden Schriften vorzugsweise interessirt hat. Fassen wir zunächst die
Composition derselben ins Auge.

Die einfachere Aufgabe hat sich Herr Neimann gestellt. Er behandelt
nur die Jahre -1781—87, diejenige Zeit, in welcher die Unionsversasfung aus
ihren ersten elementaren Zuständen sich zu einer folgerichtigen Form ent¬
wickelte., Die Zeit, diese bisher noch ziemlich unbekannte Entwicklungsperiode
zu charakterisieren, ist jetzt gekommen, da in den letzten Jahren eine Reihe von
Documenten über die damaligen Verhältnisse veröffentlicht sind, namentlich die
Papiere von Madison, -1841. Das vorliegende Werk ist demnach ausschließlich
nordamerikanische Verfassungsgeschichte. Ein viel weiteres Ziel hat sich Herr
Handelmann gesteckt. Er will nach und nach die Geschichte der sämmtlichen
amerikanischen Staaten behandeln. Die bisherigen Lieferungen zerfallen in
Zwei Hauptabtheilungen: -I) in die Geschichte der Kolonien, welche gegen¬
wärtig das Gebiet der nordamerikanischen Freistaaten ausmachen, von der er¬
sten Einwanderung an bis -1787 (688 Seiten); 2) die Geschichte von Haiti
von der Entdeckung der Insel bis jetzt (-192 Seiten). Die Geschichte von
Brasilien soll demnächst folgen. — Die Geschichte der vereinigten Staaten
Zerfalle in zwei Abschnitte: in die Geschichte der Kolonisation, die mit einer
Uebersicht über die gegenwärtigen Bevölkerungsverhältnisse schließt, und in die
Geschichte der Unabhängigkeit. Es ergibt sich von selbst, daß das erste Werk
mehr einen monographischen Charakter an sich trägt, während das letztere eine
übersichtliche Darstellung bezweckt.

Beide Bücher legen ein sehr erfreuliches Zeugniß für den Fortschritt un¬
serer historischen Methode ab. Die Verfasser sind noch junge Männer, sie
h"ben sich aber schon vollständig jene Besonnenheit und Sicherheit der Kritik
""geeignet, die wir als einen Erwerb der unmittelbar vorhergehenden großen
Geschichtschreiber betrachten können. Es fehlte den Deutschen bisher an
einem historischen Stil, und jeder Geschichtschreiber war gewissermaßen ge¬
nöthigt, in seiner Bildung von vorn anzufangen. Folgende Umstände" er¬
schwerten bis jetzt die Bildung eines historischen Stils in Deutschland. Nach¬
dem der einseitige historische Pragmatismus der Aufklärung überwunden war,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/357>, abgerufen am 21.06.2024.