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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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rend welcher dies nicht geschieht, in ihrem Einstehen für bestimmte Principien
ganz natürlich müd und lässig. Welchen ungeheuern Unterschied dagegen eine
fortwährende, unablässige und zuverlässige Verbindung der Partei mit ihren
Organen begründet, sehen wir an der ultramontanen und feudalen Presse.
Sie ist in ihren Kreisen und zwar bis in die untersten Schichten hinab, daS
feste Banner, nach welchem sich alle Blicke richten. Sie allein vermag es
auch in Bezug auf ihre specifischen Interessen dein so oft nur scheinbaren
Besserwissen der aus bestimmten Centralpunkten commandirten Stimmen, und
selbst der raschen Inspiration über bestimmte Vorgänge eine glückliche und
erfolgreiche Concurrenz zu bieten. Man darf es gewiß nicht bedeutungslos
nennen, daß selbst die kleineren Blätter dieser Richtungen dem Bundespeeßgesetz
nirgends erlegen sind.

Wie verheerend aber dasselbe zu wirken vermag, bezeugen neuestens wieder
Würtemberg und Schwerin seit seiner Einführung -- dort seit dem 1. Jan.,
hier seit dem 1. April. In Würtemberg mußte ,,der Beobachter" -- ein
Blatt von mehr demokratischer Färbung -- sofort seinen specifischen Charakter
aufgeben. Andere Blätter von ausgeprägter Tendenz mußten der Politik voll¬
kommen entsagen. In dem kleinen Mecklenburg, wo schon vorher die freie
Bewegung der Presse aufs äußerste beschränkt war (vgl. Grenzboten Ur. 16),
erscheint infolge der neuen Preßverordnung die "Parchimsche Zeitung" nur
dieimal wöchentlich, mußte die ,,Pläner Zeitung" ihr Abonnement erhöhen,
das "Voitzenburg-Hagenower Wochenblatt" die Besprechung politischer und
socialer Verhältnisse verKissen, daS ,,Nuterhaltungöblatt sür beide Mecklenburg
und Pommern" den sehr beliebten Redacteur wechseln u. s. w. In Summa
blieb in beiden. Staaten von den unabhängigen Organen mehr localen Cha¬
rakters fast keines unversehrt in seinem bisherigen Verhältniß. -- Grade in
kleineren Staatsverhältnissen sind aber solche mehr locale Blätter von großer
Wichtigkeit für die Förderung der allgemeinen Bildung. Selbst wenn man
ihren positiven Nutzen nicht so hoch anschlagen möchte, als er vom praktischen
Standpunkt anzuschlagen ist, erzeugt ihre Nichteristeuz auf negativem Wege
bedeutende Uebelstände. Diejenigen Kreise, welche" solche Blät'ter die gewohnte
Nahrung bieten, wenden sich äußerst langsam, meistens gar nicht zu größeren
Blättern. Sie werden also der Kenntniß der heimischen und auswärtigen
Zustände fast entfremdet. Vom bureaukratischen Standpunkt erkennt man
freilich darin oft einen Vortheil. Aber man calculirt am grünen Tische falsch,
wenn man glaubt, damit verliere sich auch wirklich daS Interesse dafür.
Rückführung des Publicums zu solcher idyllischer Bornirtheit ist heutzutage
unmöglich. Das Interesse für weitere Verhältnisse bleibt, ohne daß dasjenige
für die localen verschwindet. Natürlich können aber die übrigbleibenden große"
Blätter den localen Interessen nur wenig Aufmerksamkeit schenken, während


rend welcher dies nicht geschieht, in ihrem Einstehen für bestimmte Principien
ganz natürlich müd und lässig. Welchen ungeheuern Unterschied dagegen eine
fortwährende, unablässige und zuverlässige Verbindung der Partei mit ihren
Organen begründet, sehen wir an der ultramontanen und feudalen Presse.
Sie ist in ihren Kreisen und zwar bis in die untersten Schichten hinab, daS
feste Banner, nach welchem sich alle Blicke richten. Sie allein vermag es
auch in Bezug auf ihre specifischen Interessen dein so oft nur scheinbaren
Besserwissen der aus bestimmten Centralpunkten commandirten Stimmen, und
selbst der raschen Inspiration über bestimmte Vorgänge eine glückliche und
erfolgreiche Concurrenz zu bieten. Man darf es gewiß nicht bedeutungslos
nennen, daß selbst die kleineren Blätter dieser Richtungen dem Bundespeeßgesetz
nirgends erlegen sind.

Wie verheerend aber dasselbe zu wirken vermag, bezeugen neuestens wieder
Würtemberg und Schwerin seit seiner Einführung — dort seit dem 1. Jan.,
hier seit dem 1. April. In Würtemberg mußte ,,der Beobachter" — ein
Blatt von mehr demokratischer Färbung — sofort seinen specifischen Charakter
aufgeben. Andere Blätter von ausgeprägter Tendenz mußten der Politik voll¬
kommen entsagen. In dem kleinen Mecklenburg, wo schon vorher die freie
Bewegung der Presse aufs äußerste beschränkt war (vgl. Grenzboten Ur. 16),
erscheint infolge der neuen Preßverordnung die „Parchimsche Zeitung" nur
dieimal wöchentlich, mußte die ,,Pläner Zeitung" ihr Abonnement erhöhen,
das „Voitzenburg-Hagenower Wochenblatt" die Besprechung politischer und
socialer Verhältnisse verKissen, daS ,,Nuterhaltungöblatt sür beide Mecklenburg
und Pommern" den sehr beliebten Redacteur wechseln u. s. w. In Summa
blieb in beiden. Staaten von den unabhängigen Organen mehr localen Cha¬
rakters fast keines unversehrt in seinem bisherigen Verhältniß. — Grade in
kleineren Staatsverhältnissen sind aber solche mehr locale Blätter von großer
Wichtigkeit für die Förderung der allgemeinen Bildung. Selbst wenn man
ihren positiven Nutzen nicht so hoch anschlagen möchte, als er vom praktischen
Standpunkt anzuschlagen ist, erzeugt ihre Nichteristeuz auf negativem Wege
bedeutende Uebelstände. Diejenigen Kreise, welche» solche Blät'ter die gewohnte
Nahrung bieten, wenden sich äußerst langsam, meistens gar nicht zu größeren
Blättern. Sie werden also der Kenntniß der heimischen und auswärtigen
Zustände fast entfremdet. Vom bureaukratischen Standpunkt erkennt man
freilich darin oft einen Vortheil. Aber man calculirt am grünen Tische falsch,
wenn man glaubt, damit verliere sich auch wirklich daS Interesse dafür.
Rückführung des Publicums zu solcher idyllischer Bornirtheit ist heutzutage
unmöglich. Das Interesse für weitere Verhältnisse bleibt, ohne daß dasjenige
für die localen verschwindet. Natürlich können aber die übrigbleibenden große»
Blätter den localen Interessen nur wenig Aufmerksamkeit schenken, während


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/316>, abgerufen am 22.06.2024.