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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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zugehen, und wenn wir im Folgenden einzelne Momente desselben in Beziehung
auf thatsächliche Verhältnisse beschränken möchten, so hat das auf das Bild im
Großen und Ganzen keinen Einfluß. -- Das alles versteht sich eigentlich von selbst;
aber zuweilen ist es nothwendig, auch das zu sagen, was sich von selbst ver¬
steht, um für eine Wahrheit offnes Zeugniß abzulegen, an der im Stillen nie¬
mand zweifelt.

Aber wir gehen noch weiter. Auch unter den Gegnern auf den beiden
extremen Seiten finden sich nur sehr wenig cynische Naturen, denen es mit
ihren Lästerungen Ernst war; die meisten haben es gemacht, wie die hei߬
blütigen Italiener, die sich zuerst vor dem wunderthätigen Marienbild in den
Staub werfen und es dann mißhandeln, wenn es seine vermeintliche Schuldig¬
keit nicht gethan hat. Es ist nicht das Bild, sondern ihr eigner Glaube, den
sie geißeln. Einer der leidenschaftlichsten Feinde unsrer Partei, Ludwig Simon,
hat in dem Buch, das wir vor kurzem besprachen, sehr offenherzige Geständnisse
darüber gemacht. -

Gagerns UnPopularität in diesem beschränkten Sinn aufgefaßt, hat einen
andern Grund, als den er angibt. Es wurde im Jahr -1848 in gewissen Kreisen
mit den Persönlichkeiten ein zu großer Cultus getrieben. Unsre politischen Freunde
führten zum Theil die Bezeichnung der Edlen, der besten Männer der Nation u. s. w.
zu häufig im Munde. Die andern Parteien empfanden das, und zwar mit
vollem Recht, als eine Beleidigung. Auch in dieser Beziehung muß man sich
hüten, um an ein griechisches Sprichwort zu erinnern, den Neid der Götter
zu erregen; denn ein übermüthiges Hervorheben der Persönlichkeit rächt sich
unausbleiblich. Der edelste, der begabteste Mann ist nicht im Stande, Wun¬
der zu thun d. h. widersprechende Anforderungen gleichmäßig zu erfüllen; er
muß einmal aufhören, dem idealen Bilde zu entsprechen, welches sich die Phan¬
tasie von ihm gemacht und dann läßt man den Mann entgelten, was die Ein¬
bildungskraft verschuldet.

Der Strom der öffentlichen Meinung ging in den ersten Monaten jenes
merkwürdigen Jahres so gewaltig, daß innerhalb der Kreise, die irgend einen
Bezug zu Frankfurt hatten, an der Allmacht der Nationalversammlung niemand
zweifelte. Wir wollen uns nicht rühmen, weil wir diesen Glauben nicht theil¬
ten, denn wir standen außerhalb des Strudels der Bewegung. Dieser Glaube
an die Omnipotenz des Parlaments fand in Gagern seine Verkörperung. Eine
schon äußerlich imponirende Erscheinung, ein Verein von Kraft und Liebens¬
würdigkeit, wie man ihn selten findet und, waS die Hauptsache war, ein durch
die freieste Bildung geläuterter, begeisterter Glaube. Als Gagern den bekann¬
ten kühnen Griff that, als er zu Köln dem König von Preußen die Nothwen¬
digkeit, den festen Willen des Volks zu erfüllen, entgegenhielt, da jubelte alle
Welt, denn hier fühlte man, daß ein echter Glaube vorhanden war und in


zugehen, und wenn wir im Folgenden einzelne Momente desselben in Beziehung
auf thatsächliche Verhältnisse beschränken möchten, so hat das auf das Bild im
Großen und Ganzen keinen Einfluß. — Das alles versteht sich eigentlich von selbst;
aber zuweilen ist es nothwendig, auch das zu sagen, was sich von selbst ver¬
steht, um für eine Wahrheit offnes Zeugniß abzulegen, an der im Stillen nie¬
mand zweifelt.

Aber wir gehen noch weiter. Auch unter den Gegnern auf den beiden
extremen Seiten finden sich nur sehr wenig cynische Naturen, denen es mit
ihren Lästerungen Ernst war; die meisten haben es gemacht, wie die hei߬
blütigen Italiener, die sich zuerst vor dem wunderthätigen Marienbild in den
Staub werfen und es dann mißhandeln, wenn es seine vermeintliche Schuldig¬
keit nicht gethan hat. Es ist nicht das Bild, sondern ihr eigner Glaube, den
sie geißeln. Einer der leidenschaftlichsten Feinde unsrer Partei, Ludwig Simon,
hat in dem Buch, das wir vor kurzem besprachen, sehr offenherzige Geständnisse
darüber gemacht. -

Gagerns UnPopularität in diesem beschränkten Sinn aufgefaßt, hat einen
andern Grund, als den er angibt. Es wurde im Jahr -1848 in gewissen Kreisen
mit den Persönlichkeiten ein zu großer Cultus getrieben. Unsre politischen Freunde
führten zum Theil die Bezeichnung der Edlen, der besten Männer der Nation u. s. w.
zu häufig im Munde. Die andern Parteien empfanden das, und zwar mit
vollem Recht, als eine Beleidigung. Auch in dieser Beziehung muß man sich
hüten, um an ein griechisches Sprichwort zu erinnern, den Neid der Götter
zu erregen; denn ein übermüthiges Hervorheben der Persönlichkeit rächt sich
unausbleiblich. Der edelste, der begabteste Mann ist nicht im Stande, Wun¬
der zu thun d. h. widersprechende Anforderungen gleichmäßig zu erfüllen; er
muß einmal aufhören, dem idealen Bilde zu entsprechen, welches sich die Phan¬
tasie von ihm gemacht und dann läßt man den Mann entgelten, was die Ein¬
bildungskraft verschuldet.

Der Strom der öffentlichen Meinung ging in den ersten Monaten jenes
merkwürdigen Jahres so gewaltig, daß innerhalb der Kreise, die irgend einen
Bezug zu Frankfurt hatten, an der Allmacht der Nationalversammlung niemand
zweifelte. Wir wollen uns nicht rühmen, weil wir diesen Glauben nicht theil¬
ten, denn wir standen außerhalb des Strudels der Bewegung. Dieser Glaube
an die Omnipotenz des Parlaments fand in Gagern seine Verkörperung. Eine
schon äußerlich imponirende Erscheinung, ein Verein von Kraft und Liebens¬
würdigkeit, wie man ihn selten findet und, waS die Hauptsache war, ein durch
die freieste Bildung geläuterter, begeisterter Glaube. Als Gagern den bekann¬
ten kühnen Griff that, als er zu Köln dem König von Preußen die Nothwen¬
digkeit, den festen Willen des Volks zu erfüllen, entgegenhielt, da jubelte alle
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[0290] zugehen, und wenn wir im Folgenden einzelne Momente desselben in Beziehung auf thatsächliche Verhältnisse beschränken möchten, so hat das auf das Bild im Großen und Ganzen keinen Einfluß. — Das alles versteht sich eigentlich von selbst; aber zuweilen ist es nothwendig, auch das zu sagen, was sich von selbst ver¬ steht, um für eine Wahrheit offnes Zeugniß abzulegen, an der im Stillen nie¬ mand zweifelt. Aber wir gehen noch weiter. Auch unter den Gegnern auf den beiden extremen Seiten finden sich nur sehr wenig cynische Naturen, denen es mit ihren Lästerungen Ernst war; die meisten haben es gemacht, wie die hei߬ blütigen Italiener, die sich zuerst vor dem wunderthätigen Marienbild in den Staub werfen und es dann mißhandeln, wenn es seine vermeintliche Schuldig¬ keit nicht gethan hat. Es ist nicht das Bild, sondern ihr eigner Glaube, den sie geißeln. Einer der leidenschaftlichsten Feinde unsrer Partei, Ludwig Simon, hat in dem Buch, das wir vor kurzem besprachen, sehr offenherzige Geständnisse darüber gemacht. - Gagerns UnPopularität in diesem beschränkten Sinn aufgefaßt, hat einen andern Grund, als den er angibt. Es wurde im Jahr -1848 in gewissen Kreisen mit den Persönlichkeiten ein zu großer Cultus getrieben. Unsre politischen Freunde führten zum Theil die Bezeichnung der Edlen, der besten Männer der Nation u. s. w. zu häufig im Munde. Die andern Parteien empfanden das, und zwar mit vollem Recht, als eine Beleidigung. Auch in dieser Beziehung muß man sich hüten, um an ein griechisches Sprichwort zu erinnern, den Neid der Götter zu erregen; denn ein übermüthiges Hervorheben der Persönlichkeit rächt sich unausbleiblich. Der edelste, der begabteste Mann ist nicht im Stande, Wun¬ der zu thun d. h. widersprechende Anforderungen gleichmäßig zu erfüllen; er muß einmal aufhören, dem idealen Bilde zu entsprechen, welches sich die Phan¬ tasie von ihm gemacht und dann läßt man den Mann entgelten, was die Ein¬ bildungskraft verschuldet. Der Strom der öffentlichen Meinung ging in den ersten Monaten jenes merkwürdigen Jahres so gewaltig, daß innerhalb der Kreise, die irgend einen Bezug zu Frankfurt hatten, an der Allmacht der Nationalversammlung niemand zweifelte. Wir wollen uns nicht rühmen, weil wir diesen Glauben nicht theil¬ ten, denn wir standen außerhalb des Strudels der Bewegung. Dieser Glaube an die Omnipotenz des Parlaments fand in Gagern seine Verkörperung. Eine schon äußerlich imponirende Erscheinung, ein Verein von Kraft und Liebens¬ würdigkeit, wie man ihn selten findet und, waS die Hauptsache war, ein durch die freieste Bildung geläuterter, begeisterter Glaube. Als Gagern den bekann¬ ten kühnen Griff that, als er zu Köln dem König von Preußen die Nothwen¬ digkeit, den festen Willen des Volks zu erfüllen, entgegenhielt, da jubelte alle Welt, denn hier fühlte man, daß ein echter Glaube vorhanden war und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/290>, abgerufen am 21.06.2024.