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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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bereiten, indem er für sich allein den ganzen Gewinn zog und nicht darauf
dachte, dem Erdkreis einen andern Erben zu hinterlassen, als die Anarchie."

Ja freilich! Das ändert die Sacke. Hätte Cäsar die Erbmonarchie ein¬
gerichtet, hätte er einen Sohn und Erben gezeugt, dann hätte er nicht mehr
den Tod verdient. -- Ein Deutscher wäre auf diese Deduction nicht gekommen.

Daß nebenbei Lamartine den Meuchelmord als solchen verurtheilt, versteht
sich bei seinem sittlichen Gefühl von selbst.

Wir lassen hier Lamartine bei Seite und wenden uns zu den übrigen
Vertheidigern Cäsars zurück, namentlich zu Mommsen. Die Apotheose der
Kraft, der Genialität, des entschlossenen Willens ist durchaus gerechtfertigt,
namentlich einer Zeit gegenüber, die wenigstens auf ihrer Oberfläche nur Er¬
scheinungen der Kraftlosigkeit zeigt. Cäsar war unter allen seinen Zeitgenossen
der Fähigste, und wenn man einen Selbstherrscher wünschte, so konnte eS nur
Cäsar sein; aber es wäre zweckmäßig, dabei immer durchblicken zu lassen, daß
auch die Kraft und Genialität am edelsten dann erscheint, wenn sie mit dem
Gesetz Hand in Hand geht. Die Römer wurden durch ihr Schicksal zur
Monarchie getrieben, hauptsächlich aus zwei Gründen: einmal, weil die Aus¬
dehnung ihrer Eroberungen die Geschlossenheit des nationalen Bewußtseins
aufhob, sodann weil das Alterthum noch nicht die Erfindung des Nepräsen-
tativsystems gemacht hatte, des einzigen Weges in einen größern Staat, daS
Volk an der Regierung zu betheiligen, ohne in die Gefahr der Anarchie zu
verfallen. In beiden Beziehungen stehen wir höher da, als das römische
Volk. Die neuere Zeit hat wirkliche Nationen hervorgebracht, die an ihrem
Inhalte auch ihre Grenze finden, und sie hat die Form gefunden, die Masse
durch Vertreter zu gliedern und sie dadurch in den Staatsorganismus aufzu¬
nehmen. Diese Formen wollen wir nicht gering anschlagen, weil sie in ihrer
augenblicklichen Beschaffenheit keinen sehr günstigen Eindruck hervorbringen,
wir wollen sie vielmehr, ohne Furcht, als doctrinär zu gelten, als das Palladium
der wahrhaft nationalen Entwicklung betrachten und uns auch dann keinen
Cäsar wünschen, wenn dieser wirklich im Stande sein sollte, uns über die
unangenehmen Verwicklungen der gegenwärtigen Lage hinwegzuhelfen. Die
natürliche Entwicklung führt langsamer zum Ziele, aber ihre Früchte sind
dauerhafter. Was daS Genie eines einzelnen Mannes gegen die Natur der
Dinge hervorbringt, verschwindet mit dem Geist, aus dem es hervorginge




Literatur.

Eine Reise nach Centralafrika oder Leben und Landschaften von
Aegypten bis zu den Negerstaaten am weißen Nil von Bayard Taylor. Ueber-
setzt von Johannes Ziethen. Leipzig, Voigt und Günther. -- Der Verfasser,


bereiten, indem er für sich allein den ganzen Gewinn zog und nicht darauf
dachte, dem Erdkreis einen andern Erben zu hinterlassen, als die Anarchie."

Ja freilich! Das ändert die Sacke. Hätte Cäsar die Erbmonarchie ein¬
gerichtet, hätte er einen Sohn und Erben gezeugt, dann hätte er nicht mehr
den Tod verdient. — Ein Deutscher wäre auf diese Deduction nicht gekommen.

Daß nebenbei Lamartine den Meuchelmord als solchen verurtheilt, versteht
sich bei seinem sittlichen Gefühl von selbst.

Wir lassen hier Lamartine bei Seite und wenden uns zu den übrigen
Vertheidigern Cäsars zurück, namentlich zu Mommsen. Die Apotheose der
Kraft, der Genialität, des entschlossenen Willens ist durchaus gerechtfertigt,
namentlich einer Zeit gegenüber, die wenigstens auf ihrer Oberfläche nur Er¬
scheinungen der Kraftlosigkeit zeigt. Cäsar war unter allen seinen Zeitgenossen
der Fähigste, und wenn man einen Selbstherrscher wünschte, so konnte eS nur
Cäsar sein; aber es wäre zweckmäßig, dabei immer durchblicken zu lassen, daß
auch die Kraft und Genialität am edelsten dann erscheint, wenn sie mit dem
Gesetz Hand in Hand geht. Die Römer wurden durch ihr Schicksal zur
Monarchie getrieben, hauptsächlich aus zwei Gründen: einmal, weil die Aus¬
dehnung ihrer Eroberungen die Geschlossenheit des nationalen Bewußtseins
aufhob, sodann weil das Alterthum noch nicht die Erfindung des Nepräsen-
tativsystems gemacht hatte, des einzigen Weges in einen größern Staat, daS
Volk an der Regierung zu betheiligen, ohne in die Gefahr der Anarchie zu
verfallen. In beiden Beziehungen stehen wir höher da, als das römische
Volk. Die neuere Zeit hat wirkliche Nationen hervorgebracht, die an ihrem
Inhalte auch ihre Grenze finden, und sie hat die Form gefunden, die Masse
durch Vertreter zu gliedern und sie dadurch in den Staatsorganismus aufzu¬
nehmen. Diese Formen wollen wir nicht gering anschlagen, weil sie in ihrer
augenblicklichen Beschaffenheit keinen sehr günstigen Eindruck hervorbringen,
wir wollen sie vielmehr, ohne Furcht, als doctrinär zu gelten, als das Palladium
der wahrhaft nationalen Entwicklung betrachten und uns auch dann keinen
Cäsar wünschen, wenn dieser wirklich im Stande sein sollte, uns über die
unangenehmen Verwicklungen der gegenwärtigen Lage hinwegzuhelfen. Die
natürliche Entwicklung führt langsamer zum Ziele, aber ihre Früchte sind
dauerhafter. Was daS Genie eines einzelnen Mannes gegen die Natur der
Dinge hervorbringt, verschwindet mit dem Geist, aus dem es hervorginge




Literatur.

Eine Reise nach Centralafrika oder Leben und Landschaften von
Aegypten bis zu den Negerstaaten am weißen Nil von Bayard Taylor. Ueber-
setzt von Johannes Ziethen. Leipzig, Voigt und Günther. — Der Verfasser,


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[0284] bereiten, indem er für sich allein den ganzen Gewinn zog und nicht darauf dachte, dem Erdkreis einen andern Erben zu hinterlassen, als die Anarchie." Ja freilich! Das ändert die Sacke. Hätte Cäsar die Erbmonarchie ein¬ gerichtet, hätte er einen Sohn und Erben gezeugt, dann hätte er nicht mehr den Tod verdient. — Ein Deutscher wäre auf diese Deduction nicht gekommen. Daß nebenbei Lamartine den Meuchelmord als solchen verurtheilt, versteht sich bei seinem sittlichen Gefühl von selbst. Wir lassen hier Lamartine bei Seite und wenden uns zu den übrigen Vertheidigern Cäsars zurück, namentlich zu Mommsen. Die Apotheose der Kraft, der Genialität, des entschlossenen Willens ist durchaus gerechtfertigt, namentlich einer Zeit gegenüber, die wenigstens auf ihrer Oberfläche nur Er¬ scheinungen der Kraftlosigkeit zeigt. Cäsar war unter allen seinen Zeitgenossen der Fähigste, und wenn man einen Selbstherrscher wünschte, so konnte eS nur Cäsar sein; aber es wäre zweckmäßig, dabei immer durchblicken zu lassen, daß auch die Kraft und Genialität am edelsten dann erscheint, wenn sie mit dem Gesetz Hand in Hand geht. Die Römer wurden durch ihr Schicksal zur Monarchie getrieben, hauptsächlich aus zwei Gründen: einmal, weil die Aus¬ dehnung ihrer Eroberungen die Geschlossenheit des nationalen Bewußtseins aufhob, sodann weil das Alterthum noch nicht die Erfindung des Nepräsen- tativsystems gemacht hatte, des einzigen Weges in einen größern Staat, daS Volk an der Regierung zu betheiligen, ohne in die Gefahr der Anarchie zu verfallen. In beiden Beziehungen stehen wir höher da, als das römische Volk. Die neuere Zeit hat wirkliche Nationen hervorgebracht, die an ihrem Inhalte auch ihre Grenze finden, und sie hat die Form gefunden, die Masse durch Vertreter zu gliedern und sie dadurch in den Staatsorganismus aufzu¬ nehmen. Diese Formen wollen wir nicht gering anschlagen, weil sie in ihrer augenblicklichen Beschaffenheit keinen sehr günstigen Eindruck hervorbringen, wir wollen sie vielmehr, ohne Furcht, als doctrinär zu gelten, als das Palladium der wahrhaft nationalen Entwicklung betrachten und uns auch dann keinen Cäsar wünschen, wenn dieser wirklich im Stande sein sollte, uns über die unangenehmen Verwicklungen der gegenwärtigen Lage hinwegzuhelfen. Die natürliche Entwicklung führt langsamer zum Ziele, aber ihre Früchte sind dauerhafter. Was daS Genie eines einzelnen Mannes gegen die Natur der Dinge hervorbringt, verschwindet mit dem Geist, aus dem es hervorginge Literatur. Eine Reise nach Centralafrika oder Leben und Landschaften von Aegypten bis zu den Negerstaaten am weißen Nil von Bayard Taylor. Ueber- setzt von Johannes Ziethen. Leipzig, Voigt und Günther. — Der Verfasser,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/284>, abgerufen am 21.06.2024.