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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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unterwarf, so entschuldigte er sich gegen einen Freund damit, daß Cäsar immer
noch der Beste in seiner Partei sei. Freilich die Partei sei eine vollständige
Räuberbande und weit entfernt, die Mäßigung ihres Führers zu theilen. --
Lamartine kommt jetzt auf die Verschwörung des Brutus und Cassius, wobei ihm
Brutus im melodramatischen Interesse unzweifelhaft als Cäsars Sohn gilt.
Das Urtheil über die Ermordung Cäsars ist nun ein kitzlicher Punkt; Lamartine
zieht sich ziemlich geschickt heraus. "Freilich hatte Cäsar die dreiundzwanzig
Dolchstiche vollständig verdient: er hatte sie verdient, indem er früher gegen
die bestehende Ordnung des Staats als Verschwörer auftrat; er hatte sie ver¬
dient, indem er die Soldateska, die ihm zum Schutz Roms anvertraut war, für
seinen persönlichen Dienst gewann; er hatte sie verdient, indem er das Schwert
gegen die Republik zuckte; er hatte sie verdient, indem er das Vaterland als
erobertes Land behandelte, den Senat verletzte, alle ordentlichen Männer aus
Italien verbannte und nichts darin ließ, als den Pöbel und die Prätorianer;
er hatte sie verdient, indem er tüchtige Redner und Patrioten zur Speichel¬
leckerei verführte; er hatte sie verdient, indem er Rom bis in das innerste
Mark corrumpirte, indem er es an glänzende Aufzüge, Spiele und Dekora¬
tionen gewöhnte und jenen Lurus und jene Unsittlichkeit begünstigte, durch
welche man die Völker entwaffnet. Waren dies nicht, sährt Lamartine fort,
genug Verbrechen, um die dreiundzwanzig Dolchstöße der verschworenen Re¬
publikaner zu verdienen? Welcher Partei man auch angehöre, das Gewissen
verdammt den Mörder seines Vaterlandes zum Tode Man hat, bemerkt er
weiter, Cäsar zu rechtfertigen gesucht, indem man die gesetzliche Freiheit ver¬
leumdet. Die Doctrinäre finden sophistische Entschuldigungen für jeden Erfolg.
Man hat die Frage aufgeworfen, ob denn die Republik auch lebensfähig ge¬
wesen wäre, wenn Cäsar sie nicht getödtet hätte. Das ist grade so, als ob
man den Mord eines Menschen damit.entschuldigen wollte, daß dieser Mensch
ja doch einmal von Natur sterben müßte. Cäsar war ein um so größerer
Verbrecher, wenn er den Einrichtungen seines Landes den letzten Stoß ver¬
setzte, als die Republik schwach war, als sie über keine Kraft und Tugend
gebieten konnte, um sich zu vertheidigen; und doch eine Republik, die sich so
vertheidigte, wie eS gegen Cäsar geschah, ist noch nicht ohne Tugend, noch
uicht ohne Lebensfähigkeit. Die Casuisten der Tyrannei mögen es sagen, das
Blut von Tausenden legt Einspruch ein."

Bis dahin klingt es gefährlich genug; aber man bewundere die Geschick-
lichkeit des berühmten Redners. Unter den Gründen, weshalb Cäsar den Tod
verdient habe, haben wir bisher zwei übergangen. "Er hätte ihn verdient,
Mdem er nicht wagte, daS durchzuführen, was er während so viel Verbrechen
geträumt hatte, indem er nicht wagte, die erbliche Monarchie einzurichten und
den durch ihn entehrten Bürgern wenigstens eine friedliche Knechtschaft zu


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unterwarf, so entschuldigte er sich gegen einen Freund damit, daß Cäsar immer
noch der Beste in seiner Partei sei. Freilich die Partei sei eine vollständige
Räuberbande und weit entfernt, die Mäßigung ihres Führers zu theilen. —
Lamartine kommt jetzt auf die Verschwörung des Brutus und Cassius, wobei ihm
Brutus im melodramatischen Interesse unzweifelhaft als Cäsars Sohn gilt.
Das Urtheil über die Ermordung Cäsars ist nun ein kitzlicher Punkt; Lamartine
zieht sich ziemlich geschickt heraus. „Freilich hatte Cäsar die dreiundzwanzig
Dolchstiche vollständig verdient: er hatte sie verdient, indem er früher gegen
die bestehende Ordnung des Staats als Verschwörer auftrat; er hatte sie ver¬
dient, indem er die Soldateska, die ihm zum Schutz Roms anvertraut war, für
seinen persönlichen Dienst gewann; er hatte sie verdient, indem er das Schwert
gegen die Republik zuckte; er hatte sie verdient, indem er das Vaterland als
erobertes Land behandelte, den Senat verletzte, alle ordentlichen Männer aus
Italien verbannte und nichts darin ließ, als den Pöbel und die Prätorianer;
er hatte sie verdient, indem er tüchtige Redner und Patrioten zur Speichel¬
leckerei verführte; er hatte sie verdient, indem er Rom bis in das innerste
Mark corrumpirte, indem er es an glänzende Aufzüge, Spiele und Dekora¬
tionen gewöhnte und jenen Lurus und jene Unsittlichkeit begünstigte, durch
welche man die Völker entwaffnet. Waren dies nicht, sährt Lamartine fort,
genug Verbrechen, um die dreiundzwanzig Dolchstöße der verschworenen Re¬
publikaner zu verdienen? Welcher Partei man auch angehöre, das Gewissen
verdammt den Mörder seines Vaterlandes zum Tode Man hat, bemerkt er
weiter, Cäsar zu rechtfertigen gesucht, indem man die gesetzliche Freiheit ver¬
leumdet. Die Doctrinäre finden sophistische Entschuldigungen für jeden Erfolg.
Man hat die Frage aufgeworfen, ob denn die Republik auch lebensfähig ge¬
wesen wäre, wenn Cäsar sie nicht getödtet hätte. Das ist grade so, als ob
man den Mord eines Menschen damit.entschuldigen wollte, daß dieser Mensch
ja doch einmal von Natur sterben müßte. Cäsar war ein um so größerer
Verbrecher, wenn er den Einrichtungen seines Landes den letzten Stoß ver¬
setzte, als die Republik schwach war, als sie über keine Kraft und Tugend
gebieten konnte, um sich zu vertheidigen; und doch eine Republik, die sich so
vertheidigte, wie eS gegen Cäsar geschah, ist noch nicht ohne Tugend, noch
uicht ohne Lebensfähigkeit. Die Casuisten der Tyrannei mögen es sagen, das
Blut von Tausenden legt Einspruch ein."

Bis dahin klingt es gefährlich genug; aber man bewundere die Geschick-
lichkeit des berühmten Redners. Unter den Gründen, weshalb Cäsar den Tod
verdient habe, haben wir bisher zwei übergangen. „Er hätte ihn verdient,
Mdem er nicht wagte, daS durchzuführen, was er während so viel Verbrechen
geträumt hatte, indem er nicht wagte, die erbliche Monarchie einzurichten und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/283>, abgerufen am 21.06.2024.