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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Jahr 1847 zuerst entwickelt hat, strebt auf die Vereinfachung der Naturkräfte
hin. "Wir wollen hier zunächst zeigen, sagt der Verfasser, daß das Princip
von der Erhaltung der lebendigen Kräfte ganz allein da gilt, wo die wirkenden
Kräfte sich auflösen lassen in Kräfte materieller Punkte, welche in der Richtung
der Verbindungslinie wirken und deren Intensität nur von der Entfernung
abhängt; in der Mechanik sind solche Kräfte gewöhnlich Centralkräfte genannt
worden. Es folgt daraus wiederum auch rückwärts, daß bei allen Wirkungen
von Naturkörpern aufeinander, wo das besprochene Princip ganz allgemein
auch aus alle kleinsten Theilchen dieser Körper angewendet werden kann, als
einfachste Grundkräfte solche Centralkräfte anzunehmen seien." --

Gehen wir nach diesen Voraussetzungen auf das Wesen des Geistes über,
so müssen wir zwei Behauptungen aufstellen, deren Richtigkeit schwerlich zu be-
streiten ist. Die erste ist die, daß er eine Kraft ist, d. h. ein unbekanntes Etwas,
welches sich nach bestimmten Gesetzen bewegt; die zweite die, daß diese Gesetze
mit den physikalischen Gesetzen übereinstimmen. Beide Sätze werden durch die
ganze Mathematik bewiesen, denn unmöglich könnte zwischen den Resultaten
unsres vernünftigen Denkens, welches in der reinen Mathematik ja nur mit
Begriffen operirt, und den Naturerscheinungen ein so inniger Zusammenhang
stattfinden, wenn nicht beide dieselben Gesetze befolgten oder, wenn man will,
derselben Kraft entstammten. An den mathematischen Ariomen läßt sich die
Identität beider sogar gewissermaßen unmittelbar erkennen; nehmen wir z. B.
den Lehrsatz, daß durch zwei Punkte nur eine einzige grade Linie möglich ist,
so läßt sich der Beweis ausdrücken, sowol daß keine zweite grade Linie denkbar,
als auch daß dieselbe nicht ziehbar sei; beides gibt dasselbe Resultat, denn waS
mathematisch nicht denkbar ist, kann in der Wirklichkeit nicht eristiren und jede
physikalische Theorie ist falsch, wenn ihre mathematischen Consequenzen sich in
der Wirklichkeit nicht bestätigen; es sind schon viele Naturerscheinungen dadurch
entdeckt worden, daß sie nach der Theorie nothwendig eristiren mußten. Aber
auch die Erfahrung bestätigt unsre Theorie, wir haben schon gesehen, daß alle
organischen Thätigkeiten, welche früher der Lebenskraft zugeschrieben wurden,
wirklich von physikalischen Kräften abhängen und die großartige Entdeckung von
Du Bois-Reymond, daß die Thätigkeit der Nerven auf Elektricität beruhe, hat
das Walten physikalischer Kräfte selbst in den unmittelbaren Werkzeugen der
Seelenthätigkeit nachgewiesen. In der That kann auch die Seele, soweit man
sie auch ins Innere des Gehirns zurückverlegen mag, nichts Anders als eine
physikalische Kraft sein, da sie doch irgend wo mit den physikalischen Kräften,
welche den Körper notorisch beherrschen, in Wechselwirkung treten, ihnen also
gleichartig sein muß.

Dieser Satz ist es grade, den man nach unsrer Meinung den Materia¬
listen zugestehen muß, insoweit diese denselben überhaupt aufgestellt haben,


Jahr 1847 zuerst entwickelt hat, strebt auf die Vereinfachung der Naturkräfte
hin. „Wir wollen hier zunächst zeigen, sagt der Verfasser, daß das Princip
von der Erhaltung der lebendigen Kräfte ganz allein da gilt, wo die wirkenden
Kräfte sich auflösen lassen in Kräfte materieller Punkte, welche in der Richtung
der Verbindungslinie wirken und deren Intensität nur von der Entfernung
abhängt; in der Mechanik sind solche Kräfte gewöhnlich Centralkräfte genannt
worden. Es folgt daraus wiederum auch rückwärts, daß bei allen Wirkungen
von Naturkörpern aufeinander, wo das besprochene Princip ganz allgemein
auch aus alle kleinsten Theilchen dieser Körper angewendet werden kann, als
einfachste Grundkräfte solche Centralkräfte anzunehmen seien." —

Gehen wir nach diesen Voraussetzungen auf das Wesen des Geistes über,
so müssen wir zwei Behauptungen aufstellen, deren Richtigkeit schwerlich zu be-
streiten ist. Die erste ist die, daß er eine Kraft ist, d. h. ein unbekanntes Etwas,
welches sich nach bestimmten Gesetzen bewegt; die zweite die, daß diese Gesetze
mit den physikalischen Gesetzen übereinstimmen. Beide Sätze werden durch die
ganze Mathematik bewiesen, denn unmöglich könnte zwischen den Resultaten
unsres vernünftigen Denkens, welches in der reinen Mathematik ja nur mit
Begriffen operirt, und den Naturerscheinungen ein so inniger Zusammenhang
stattfinden, wenn nicht beide dieselben Gesetze befolgten oder, wenn man will,
derselben Kraft entstammten. An den mathematischen Ariomen läßt sich die
Identität beider sogar gewissermaßen unmittelbar erkennen; nehmen wir z. B.
den Lehrsatz, daß durch zwei Punkte nur eine einzige grade Linie möglich ist,
so läßt sich der Beweis ausdrücken, sowol daß keine zweite grade Linie denkbar,
als auch daß dieselbe nicht ziehbar sei; beides gibt dasselbe Resultat, denn waS
mathematisch nicht denkbar ist, kann in der Wirklichkeit nicht eristiren und jede
physikalische Theorie ist falsch, wenn ihre mathematischen Consequenzen sich in
der Wirklichkeit nicht bestätigen; es sind schon viele Naturerscheinungen dadurch
entdeckt worden, daß sie nach der Theorie nothwendig eristiren mußten. Aber
auch die Erfahrung bestätigt unsre Theorie, wir haben schon gesehen, daß alle
organischen Thätigkeiten, welche früher der Lebenskraft zugeschrieben wurden,
wirklich von physikalischen Kräften abhängen und die großartige Entdeckung von
Du Bois-Reymond, daß die Thätigkeit der Nerven auf Elektricität beruhe, hat
das Walten physikalischer Kräfte selbst in den unmittelbaren Werkzeugen der
Seelenthätigkeit nachgewiesen. In der That kann auch die Seele, soweit man
sie auch ins Innere des Gehirns zurückverlegen mag, nichts Anders als eine
physikalische Kraft sein, da sie doch irgend wo mit den physikalischen Kräften,
welche den Körper notorisch beherrschen, in Wechselwirkung treten, ihnen also
gleichartig sein muß.

Dieser Satz ist es grade, den man nach unsrer Meinung den Materia¬
listen zugestehen muß, insoweit diese denselben überhaupt aufgestellt haben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/238>, abgerufen am 02.07.2024.