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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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änderlich in Ausdehnung und Form. Diese Ansicht verträgt sich aber nicht
mit einem von Mitscherlich beobachteten Phänomen. Dieser entdeckte nämlich,
daß die Krystalle unter dem Einflüsse der Wärme ungleiche Verbreiterungen in
den verschiedenen Richtungen zeigen und daß die Neigungen ihrer Seiten sich
verändern; um dies zu erklären, muß man aber nothwendig annehmen, daß unter
dem Einflüsse der Wärme die Grundbestandtheile sich nicht allein von einander
entfernen, sondern auch wirklich ihre Form verändern... Ampere seinerseits hat
gezeigt, daß für die Erklärung mehrer, aus die Vereinigungen von Gasen be¬
züglichen Erscheinungen ausreichend sei, die Molekülen der verschiedenen Körper
zusammengesetzt zu denken aus mehrern Atomen, deren Dimensionen im Ver¬
hältniß zu den sie trennenden Zwischenräumen unendlich klein wären. . . Könn¬
ten wir also die Grundbestandtheile der Körper wahrnehmen, so werden sich
unsern Blicken gewissermaßen Konstellationen darbieten und vom unendlich
Großen zum unendlich Kleinen übergehend, würden wir in "den letzten Theilchen
der Materie, wie in der Unendlichkeit des Himmels Kranftcentra ohne Aus¬
dehnung nebeneinander gestellt sehen. . . Nach Ampöre müssen aber die
Dimensionen der Atome, in welchen die molekularen Kraftcentra sich befinden,
nicht nur als sehr klein im Verhältniß zu den sie trennenden Zwischenräumen,
sondern gradezu als null betrachtet werden; mit andern Worten, diese Atome,
welche die wirklichen einfachen Wesen sind, aus denen die Materie besteht,
haben keine Ausdehnung. . . Es scheint beim ersten Anblick, daß einem Stück¬
chen Materie die Ausdehnung nehmen es vernichten heißt, aber nach einiger
Ueberlegung begreift sich leicht, wie die Materie, obgleich aus einfachen Atomen
zusammengesetzt, doch die Eigenthümlichkeiten, welche ihre Gegenwart offenbaren,
wie Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Berührbarkeit :c. behalten muß. So
betrachten wir in der mathematischen Theorie des Lichts die Lichtempfindung
als hervorgebracht durch die Fortpflanzung der Bewegung von Aetheratomen,
welche keine Ausdehnung haben und auseinander aus sehr kleinen Entfer¬
nungen wirken. -- Wenn es also dem Schöpfer gefiele, nur die Gesetze zu
ändern, nach welchen die Atome sich anziehen oder abstoßen, so könnten wir
augenblicklich die härtesten Körper einander durchdringen, die kleinsten Stoff-
theilchen unermeßliche Räume einnehmen, die beträchtlichsten Massen auf den
kleinsten Umfang einschrumpfen, ja das Weltall sich, so zu sagen, in einem
Punkte concentriren sehen." Ferner schreibt Weber in dem schon angeführten
Briefe, den uns Fechner wol ganz hätte mittheilen können: "Es kommt darauf
an, in den Ursachen der Bewegungen einen solchen constanten Theil auszu¬
sondern, daß der Rest zwar veränderlich ist, seine Veränderungen aber blos
von meßbaren Raum- und Zeitverhältnissen abhängig gedacht werden können.
Auf diesem Wege gelangt man zu einem Begriff von Masse, an welcher die
Vorstellung von räumlicher Ausdehnung gar nicht nothwendig haftet. Corse-


änderlich in Ausdehnung und Form. Diese Ansicht verträgt sich aber nicht
mit einem von Mitscherlich beobachteten Phänomen. Dieser entdeckte nämlich,
daß die Krystalle unter dem Einflüsse der Wärme ungleiche Verbreiterungen in
den verschiedenen Richtungen zeigen und daß die Neigungen ihrer Seiten sich
verändern; um dies zu erklären, muß man aber nothwendig annehmen, daß unter
dem Einflüsse der Wärme die Grundbestandtheile sich nicht allein von einander
entfernen, sondern auch wirklich ihre Form verändern... Ampere seinerseits hat
gezeigt, daß für die Erklärung mehrer, aus die Vereinigungen von Gasen be¬
züglichen Erscheinungen ausreichend sei, die Molekülen der verschiedenen Körper
zusammengesetzt zu denken aus mehrern Atomen, deren Dimensionen im Ver¬
hältniß zu den sie trennenden Zwischenräumen unendlich klein wären. . . Könn¬
ten wir also die Grundbestandtheile der Körper wahrnehmen, so werden sich
unsern Blicken gewissermaßen Konstellationen darbieten und vom unendlich
Großen zum unendlich Kleinen übergehend, würden wir in "den letzten Theilchen
der Materie, wie in der Unendlichkeit des Himmels Kranftcentra ohne Aus¬
dehnung nebeneinander gestellt sehen. . . Nach Ampöre müssen aber die
Dimensionen der Atome, in welchen die molekularen Kraftcentra sich befinden,
nicht nur als sehr klein im Verhältniß zu den sie trennenden Zwischenräumen,
sondern gradezu als null betrachtet werden; mit andern Worten, diese Atome,
welche die wirklichen einfachen Wesen sind, aus denen die Materie besteht,
haben keine Ausdehnung. . . Es scheint beim ersten Anblick, daß einem Stück¬
chen Materie die Ausdehnung nehmen es vernichten heißt, aber nach einiger
Ueberlegung begreift sich leicht, wie die Materie, obgleich aus einfachen Atomen
zusammengesetzt, doch die Eigenthümlichkeiten, welche ihre Gegenwart offenbaren,
wie Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Berührbarkeit :c. behalten muß. So
betrachten wir in der mathematischen Theorie des Lichts die Lichtempfindung
als hervorgebracht durch die Fortpflanzung der Bewegung von Aetheratomen,
welche keine Ausdehnung haben und auseinander aus sehr kleinen Entfer¬
nungen wirken. — Wenn es also dem Schöpfer gefiele, nur die Gesetze zu
ändern, nach welchen die Atome sich anziehen oder abstoßen, so könnten wir
augenblicklich die härtesten Körper einander durchdringen, die kleinsten Stoff-
theilchen unermeßliche Räume einnehmen, die beträchtlichsten Massen auf den
kleinsten Umfang einschrumpfen, ja das Weltall sich, so zu sagen, in einem
Punkte concentriren sehen." Ferner schreibt Weber in dem schon angeführten
Briefe, den uns Fechner wol ganz hätte mittheilen können: „Es kommt darauf
an, in den Ursachen der Bewegungen einen solchen constanten Theil auszu¬
sondern, daß der Rest zwar veränderlich ist, seine Veränderungen aber blos
von meßbaren Raum- und Zeitverhältnissen abhängig gedacht werden können.
Auf diesem Wege gelangt man zu einem Begriff von Masse, an welcher die
Vorstellung von räumlicher Ausdehnung gar nicht nothwendig haftet. Corse-


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[0236] änderlich in Ausdehnung und Form. Diese Ansicht verträgt sich aber nicht mit einem von Mitscherlich beobachteten Phänomen. Dieser entdeckte nämlich, daß die Krystalle unter dem Einflüsse der Wärme ungleiche Verbreiterungen in den verschiedenen Richtungen zeigen und daß die Neigungen ihrer Seiten sich verändern; um dies zu erklären, muß man aber nothwendig annehmen, daß unter dem Einflüsse der Wärme die Grundbestandtheile sich nicht allein von einander entfernen, sondern auch wirklich ihre Form verändern... Ampere seinerseits hat gezeigt, daß für die Erklärung mehrer, aus die Vereinigungen von Gasen be¬ züglichen Erscheinungen ausreichend sei, die Molekülen der verschiedenen Körper zusammengesetzt zu denken aus mehrern Atomen, deren Dimensionen im Ver¬ hältniß zu den sie trennenden Zwischenräumen unendlich klein wären. . . Könn¬ ten wir also die Grundbestandtheile der Körper wahrnehmen, so werden sich unsern Blicken gewissermaßen Konstellationen darbieten und vom unendlich Großen zum unendlich Kleinen übergehend, würden wir in "den letzten Theilchen der Materie, wie in der Unendlichkeit des Himmels Kranftcentra ohne Aus¬ dehnung nebeneinander gestellt sehen. . . Nach Ampöre müssen aber die Dimensionen der Atome, in welchen die molekularen Kraftcentra sich befinden, nicht nur als sehr klein im Verhältniß zu den sie trennenden Zwischenräumen, sondern gradezu als null betrachtet werden; mit andern Worten, diese Atome, welche die wirklichen einfachen Wesen sind, aus denen die Materie besteht, haben keine Ausdehnung. . . Es scheint beim ersten Anblick, daß einem Stück¬ chen Materie die Ausdehnung nehmen es vernichten heißt, aber nach einiger Ueberlegung begreift sich leicht, wie die Materie, obgleich aus einfachen Atomen zusammengesetzt, doch die Eigenthümlichkeiten, welche ihre Gegenwart offenbaren, wie Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Berührbarkeit :c. behalten muß. So betrachten wir in der mathematischen Theorie des Lichts die Lichtempfindung als hervorgebracht durch die Fortpflanzung der Bewegung von Aetheratomen, welche keine Ausdehnung haben und auseinander aus sehr kleinen Entfer¬ nungen wirken. — Wenn es also dem Schöpfer gefiele, nur die Gesetze zu ändern, nach welchen die Atome sich anziehen oder abstoßen, so könnten wir augenblicklich die härtesten Körper einander durchdringen, die kleinsten Stoff- theilchen unermeßliche Räume einnehmen, die beträchtlichsten Massen auf den kleinsten Umfang einschrumpfen, ja das Weltall sich, so zu sagen, in einem Punkte concentriren sehen." Ferner schreibt Weber in dem schon angeführten Briefe, den uns Fechner wol ganz hätte mittheilen können: „Es kommt darauf an, in den Ursachen der Bewegungen einen solchen constanten Theil auszu¬ sondern, daß der Rest zwar veränderlich ist, seine Veränderungen aber blos von meßbaren Raum- und Zeitverhältnissen abhängig gedacht werden können. Auf diesem Wege gelangt man zu einem Begriff von Masse, an welcher die Vorstellung von räumlicher Ausdehnung gar nicht nothwendig haftet. Corse-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/236>, abgerufen am 24.07.2024.