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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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gewogen, daß Nußland eine ziemlich bestimmte Erkenntniß von der Grenze
seiner Kraft gewonnen hat und wenigstens in der nächsten Zeit Anstand neh¬
men wird, eine ähnliche Gefahr, wie die, der es jetzt entgangen ist, zu pro¬
vociren.

Fragen wir, wer bei dem Kriege am meisten gewonnen hat, so ist es
persönlich freilich der Kaiser der Franzosen, der als der mächtigste der Herrscher
Europas in den Acten des Friedensschlusses sichtlich hervortritt. Als Staat
dagegen hat Oestreich den größten Vortheil erlangt. Die freie Dvnauschiffahrt
kommt ihm hauptsächlich zu gut, und die Beseitigung des russischen Einflusses
über die Donaufürstenthümer und Serbien gibt ihm die unbedingte Hegemonie
in jenen Gegenden in die Hand. Oestreich hat den kleinsten Einsatz eingelegt
und das größte Loos gezogen.

Aber grade darin liegt eine große Gefahr, wenn es durch diesen augen¬
scheinlichen Vortheil verleitet werden sollte, seine Kräfte zu überschätzen. Wenn
Rußland schon alle Ursache hatte, ihm wegen seiner Haltung während des
Krieges zu zürnen, so wird diese Stimmung unendlich verstärkt durch das reale
Interesse. Was Nußland verloren, hat Oestreich gewonnen; gegen Oestreich
werden also natürlich die nächsten Versuche Rußlands gerichtet sein. Gleich¬
zeitig ist die Spannung mit England nicht vermindert, sondern vermehrt. Zwar
hat die äußere Politik Englands selten einen großartigen Zuschnitt, aber die
italienischen Verwicklungen liegen zu nahe, als daß nicht die Regierung Gro߬
britanniens schon um der Sympathien ihres Volks willen ihren Haupteinfluß
nach dieser Richtung wenden sollte. Frankreich steht ihm zwar in dieser Be¬
ziehung ganz anders gegenüber, aber wir sind doch überzeugt, daß dem Kaiser
alles daran gelegen sein wird, das Bündnis) mit England aufrecht zu erhalten,
denn er wird nicht, wie das ununterrichtete Publicum, durch die äußere" Er¬
scheinung geblendet; er weiß am besten, wie gewaltig die Hilfsquellen Eng¬
lands sind, wie wenig er bei einem Kriege gegen England gewinnen kann,
wie wichtig das Bündniß zur Befestigung seiner eignen Dynastie ist. Jetzt be¬
darf er des Papstes,, wenn auch nur aus persönlichen Motiven, und wird sich
daher mit dem Feind des Papstes, dem piemontesischen Staat, nicht näher ein¬
lassen. Aber jenes Bedürfniß ist nur ein momentanes, das Interesse dagegen,
das ihn an alle Parteien fesselt, welche der östreichischen Herrschaft über Italien
entgegenstreben, ohne der Revolution zu huldigen, ist ein bleibendes, und seine
Wirkung wird daher die augenblicklichen Sympathien überdauern.

Das Schicksal hat auch dies Mal wieder den alten Ruf von dem östreichi¬
schen Glück bewährt. Möchte es diesem Staat zugleich Besonnenheit einflößen,
wie daS Uebermaß des Glücks bei den Alten; möchte er namentlich sich klar
machen, wo er seine echten und natürlichen Freunde zu suchen hat.




gewogen, daß Nußland eine ziemlich bestimmte Erkenntniß von der Grenze
seiner Kraft gewonnen hat und wenigstens in der nächsten Zeit Anstand neh¬
men wird, eine ähnliche Gefahr, wie die, der es jetzt entgangen ist, zu pro¬
vociren.

Fragen wir, wer bei dem Kriege am meisten gewonnen hat, so ist es
persönlich freilich der Kaiser der Franzosen, der als der mächtigste der Herrscher
Europas in den Acten des Friedensschlusses sichtlich hervortritt. Als Staat
dagegen hat Oestreich den größten Vortheil erlangt. Die freie Dvnauschiffahrt
kommt ihm hauptsächlich zu gut, und die Beseitigung des russischen Einflusses
über die Donaufürstenthümer und Serbien gibt ihm die unbedingte Hegemonie
in jenen Gegenden in die Hand. Oestreich hat den kleinsten Einsatz eingelegt
und das größte Loos gezogen.

Aber grade darin liegt eine große Gefahr, wenn es durch diesen augen¬
scheinlichen Vortheil verleitet werden sollte, seine Kräfte zu überschätzen. Wenn
Rußland schon alle Ursache hatte, ihm wegen seiner Haltung während des
Krieges zu zürnen, so wird diese Stimmung unendlich verstärkt durch das reale
Interesse. Was Nußland verloren, hat Oestreich gewonnen; gegen Oestreich
werden also natürlich die nächsten Versuche Rußlands gerichtet sein. Gleich¬
zeitig ist die Spannung mit England nicht vermindert, sondern vermehrt. Zwar
hat die äußere Politik Englands selten einen großartigen Zuschnitt, aber die
italienischen Verwicklungen liegen zu nahe, als daß nicht die Regierung Gro߬
britanniens schon um der Sympathien ihres Volks willen ihren Haupteinfluß
nach dieser Richtung wenden sollte. Frankreich steht ihm zwar in dieser Be¬
ziehung ganz anders gegenüber, aber wir sind doch überzeugt, daß dem Kaiser
alles daran gelegen sein wird, das Bündnis) mit England aufrecht zu erhalten,
denn er wird nicht, wie das ununterrichtete Publicum, durch die äußere" Er¬
scheinung geblendet; er weiß am besten, wie gewaltig die Hilfsquellen Eng¬
lands sind, wie wenig er bei einem Kriege gegen England gewinnen kann,
wie wichtig das Bündniß zur Befestigung seiner eignen Dynastie ist. Jetzt be¬
darf er des Papstes,, wenn auch nur aus persönlichen Motiven, und wird sich
daher mit dem Feind des Papstes, dem piemontesischen Staat, nicht näher ein¬
lassen. Aber jenes Bedürfniß ist nur ein momentanes, das Interesse dagegen,
das ihn an alle Parteien fesselt, welche der östreichischen Herrschaft über Italien
entgegenstreben, ohne der Revolution zu huldigen, ist ein bleibendes, und seine
Wirkung wird daher die augenblicklichen Sympathien überdauern.

Das Schicksal hat auch dies Mal wieder den alten Ruf von dem östreichi¬
schen Glück bewährt. Möchte es diesem Staat zugleich Besonnenheit einflößen,
wie daS Uebermaß des Glücks bei den Alten; möchte er namentlich sich klar
machen, wo er seine echten und natürlichen Freunde zu suchen hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/232>, abgerufen am 05.07.2024.