Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sittliches Urtheil und nicht eine närgelnde Ueberspannung das Wort, führt,
allein sie ist ungeschickt, weil die Menschen in der Regel nicht blos einseitig
schlecht sind, und sie ist politisch irrleitend, weil sie zu einer falschen Beurthei¬
lung des menschlichen Handelns und also auch dessen, was man in künftigen
ähnlichen Fällen zu vermeiden hat, führt." -- ,

Der Verfasser spricht diese Grundsätze bei Gelegenheit der Charakteristik
von Gentz aus; er bethätigt sie aber durch sein ganzes Buch, ja er zeigt die
entschiedene Neigung, vorzugsweise die positive Seite der Charaktere und
Schriftsteller hervorzuheben, was einen um so erfreulichem Eindruck macht, da er
wohl befähigt wäre, ein strengeres Urtheil zu fällen. -- Was den historischen
Inhalt deS Werks betrifft, so verzichtet er von vornherein auf vollendete Ab-
runoung. Er hat zwar nach allen Seiten der staatsrechtlichen Literatur ge¬
arbeitet, aber doch einzelne Zweige derselben nicht mit jener Gründlichkeit studirt,
die zu eiuer systematischen Darstellung bei dem Mangel aller größern Vor¬
arbeiten nothwendig wäre. Anstatt daher nach einem System zu streben, hat
er sich damit begnügt, eine Reihe größerer Monographien zusammenzustellen, die
aber bereits einen großen Theil des Systems erschöpfen und die weitere Vollen¬
dung einem Spätern überlassen. Wir wollen den Inhalt, den er uns bietet,
kurz durchmustern.

Nach Erledigung der einleitenden Gesichtspunkte sucht er zunächst die
eigentliche Staatswissenschaft von der Gesellschaftswissenschaft zu sondern, welche
letztere er von seiner Aufgabe völlig ausschließt. Zugleich gibt er eine kurze
Uebersicht des bisherigen Verhaltens der Staatswissenschaft ,zu deu Disciplinen,
die sich erst cillmälig zu einer neuen Wissenschaft gestalteten, da sie sich bisher
Mehr mit subjectiven Idealen, als mit objectiver Untersuchung der vorhandenen
Kräfte beschäftigen. Jene Scheidung führt er nun in der Art durch, daß er
den größten Theil des Rechts der Stände, der Gewerbgenvssenschaften und der
Kirche an die Gesellschaftswissenschaft abtritt. "Für das philosophische Staats¬
recht bleibt, außer den allgemeinen Grundsätzen über den der Gesellschaft zu
gewährenden Schutz und über die unter ihren verschiedenen Kreisen zu haltende
Ordnung, das Privatrecht nur noch dann ein Gegenstand der Erörterung,
wenn der Staat nach allgemeinen Grundsätzen des Einheilsgedankenö in die
Zwecke und Formen des einen oder des andern der zwei Zustände eingreifen
muß." -- Dann geht er a-uf die Encyklopädien und Systeme der Staatswissen-
Ichaft über, nicht in historischer Ordnung, sondern nach äußern Kennzeichen
gMppirt. -- GZ folgen darauf die idealistischen Schriften, welche einen Staat,
wie er sein soll, gewissermaßen a priori zu constnüren unternehmen: Platos
Republik, die Utopia, die civitas solis u. s. w. Auch hier behält er nicht
breiig die historische Folge bei, sondern theilt seinen Stoff in zwei Abtheilungen,
die Schilderungen freigeschaffener Zustände und die Jdealisirung bestehender Ein-


sittliches Urtheil und nicht eine närgelnde Ueberspannung das Wort, führt,
allein sie ist ungeschickt, weil die Menschen in der Regel nicht blos einseitig
schlecht sind, und sie ist politisch irrleitend, weil sie zu einer falschen Beurthei¬
lung des menschlichen Handelns und also auch dessen, was man in künftigen
ähnlichen Fällen zu vermeiden hat, führt." — ,

Der Verfasser spricht diese Grundsätze bei Gelegenheit der Charakteristik
von Gentz aus; er bethätigt sie aber durch sein ganzes Buch, ja er zeigt die
entschiedene Neigung, vorzugsweise die positive Seite der Charaktere und
Schriftsteller hervorzuheben, was einen um so erfreulichem Eindruck macht, da er
wohl befähigt wäre, ein strengeres Urtheil zu fällen. — Was den historischen
Inhalt deS Werks betrifft, so verzichtet er von vornherein auf vollendete Ab-
runoung. Er hat zwar nach allen Seiten der staatsrechtlichen Literatur ge¬
arbeitet, aber doch einzelne Zweige derselben nicht mit jener Gründlichkeit studirt,
die zu eiuer systematischen Darstellung bei dem Mangel aller größern Vor¬
arbeiten nothwendig wäre. Anstatt daher nach einem System zu streben, hat
er sich damit begnügt, eine Reihe größerer Monographien zusammenzustellen, die
aber bereits einen großen Theil des Systems erschöpfen und die weitere Vollen¬
dung einem Spätern überlassen. Wir wollen den Inhalt, den er uns bietet,
kurz durchmustern.

Nach Erledigung der einleitenden Gesichtspunkte sucht er zunächst die
eigentliche Staatswissenschaft von der Gesellschaftswissenschaft zu sondern, welche
letztere er von seiner Aufgabe völlig ausschließt. Zugleich gibt er eine kurze
Uebersicht des bisherigen Verhaltens der Staatswissenschaft ,zu deu Disciplinen,
die sich erst cillmälig zu einer neuen Wissenschaft gestalteten, da sie sich bisher
Mehr mit subjectiven Idealen, als mit objectiver Untersuchung der vorhandenen
Kräfte beschäftigen. Jene Scheidung führt er nun in der Art durch, daß er
den größten Theil des Rechts der Stände, der Gewerbgenvssenschaften und der
Kirche an die Gesellschaftswissenschaft abtritt. „Für das philosophische Staats¬
recht bleibt, außer den allgemeinen Grundsätzen über den der Gesellschaft zu
gewährenden Schutz und über die unter ihren verschiedenen Kreisen zu haltende
Ordnung, das Privatrecht nur noch dann ein Gegenstand der Erörterung,
wenn der Staat nach allgemeinen Grundsätzen des Einheilsgedankenö in die
Zwecke und Formen des einen oder des andern der zwei Zustände eingreifen
muß." — Dann geht er a-uf die Encyklopädien und Systeme der Staatswissen-
Ichaft über, nicht in historischer Ordnung, sondern nach äußern Kennzeichen
gMppirt. — GZ folgen darauf die idealistischen Schriften, welche einen Staat,
wie er sein soll, gewissermaßen a priori zu constnüren unternehmen: Platos
Republik, die Utopia, die civitas solis u. s. w. Auch hier behält er nicht
breiig die historische Folge bei, sondern theilt seinen Stoff in zwei Abtheilungen,
die Schilderungen freigeschaffener Zustände und die Jdealisirung bestehender Ein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0223" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101750"/>
            <p xml:id="ID_553" prev="#ID_552"> sittliches Urtheil und nicht eine närgelnde Ueberspannung das Wort, führt,<lb/>
allein sie ist ungeschickt, weil die Menschen in der Regel nicht blos einseitig<lb/>
schlecht sind, und sie ist politisch irrleitend, weil sie zu einer falschen Beurthei¬<lb/>
lung des menschlichen Handelns und also auch dessen, was man in künftigen<lb/>
ähnlichen Fällen zu vermeiden hat, führt." &#x2014; ,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_554"> Der Verfasser spricht diese Grundsätze bei Gelegenheit der Charakteristik<lb/>
von Gentz aus; er bethätigt sie aber durch sein ganzes Buch, ja er zeigt die<lb/>
entschiedene Neigung, vorzugsweise die positive Seite der Charaktere und<lb/>
Schriftsteller hervorzuheben, was einen um so erfreulichem Eindruck macht, da er<lb/>
wohl befähigt wäre, ein strengeres Urtheil zu fällen. &#x2014; Was den historischen<lb/>
Inhalt deS Werks betrifft, so verzichtet er von vornherein auf vollendete Ab-<lb/>
runoung. Er hat zwar nach allen Seiten der staatsrechtlichen Literatur ge¬<lb/>
arbeitet, aber doch einzelne Zweige derselben nicht mit jener Gründlichkeit studirt,<lb/>
die zu eiuer systematischen Darstellung bei dem Mangel aller größern Vor¬<lb/>
arbeiten nothwendig wäre. Anstatt daher nach einem System zu streben, hat<lb/>
er sich damit begnügt, eine Reihe größerer Monographien zusammenzustellen, die<lb/>
aber bereits einen großen Theil des Systems erschöpfen und die weitere Vollen¬<lb/>
dung einem Spätern überlassen. Wir wollen den Inhalt, den er uns bietet,<lb/>
kurz durchmustern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_555" next="#ID_556"> Nach Erledigung der einleitenden Gesichtspunkte sucht er zunächst die<lb/>
eigentliche Staatswissenschaft von der Gesellschaftswissenschaft zu sondern, welche<lb/>
letztere er von seiner Aufgabe völlig ausschließt. Zugleich gibt er eine kurze<lb/>
Uebersicht des bisherigen Verhaltens der Staatswissenschaft ,zu deu Disciplinen,<lb/>
die sich erst cillmälig zu einer neuen Wissenschaft gestalteten, da sie sich bisher<lb/>
Mehr mit subjectiven Idealen, als mit objectiver Untersuchung der vorhandenen<lb/>
Kräfte beschäftigen. Jene Scheidung führt er nun in der Art durch, daß er<lb/>
den größten Theil des Rechts der Stände, der Gewerbgenvssenschaften und der<lb/>
Kirche an die Gesellschaftswissenschaft abtritt. &#x201E;Für das philosophische Staats¬<lb/>
recht bleibt, außer den allgemeinen Grundsätzen über den der Gesellschaft zu<lb/>
gewährenden Schutz und über die unter ihren verschiedenen Kreisen zu haltende<lb/>
Ordnung, das Privatrecht nur noch dann ein Gegenstand der Erörterung,<lb/>
wenn der Staat nach allgemeinen Grundsätzen des Einheilsgedankenö in die<lb/>
Zwecke und Formen des einen oder des andern der zwei Zustände eingreifen<lb/>
muß." &#x2014; Dann geht er a-uf die Encyklopädien und Systeme der Staatswissen-<lb/>
Ichaft über, nicht in historischer Ordnung, sondern nach äußern Kennzeichen<lb/>
gMppirt. &#x2014; GZ folgen darauf die idealistischen Schriften, welche einen Staat,<lb/>
wie er sein soll, gewissermaßen a priori zu constnüren unternehmen: Platos<lb/>
Republik, die Utopia, die civitas solis u. s. w. Auch hier behält er nicht<lb/>
breiig die historische Folge bei, sondern theilt seinen Stoff in zwei Abtheilungen,<lb/>
die Schilderungen freigeschaffener Zustände und die Jdealisirung bestehender Ein-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0223] sittliches Urtheil und nicht eine närgelnde Ueberspannung das Wort, führt, allein sie ist ungeschickt, weil die Menschen in der Regel nicht blos einseitig schlecht sind, und sie ist politisch irrleitend, weil sie zu einer falschen Beurthei¬ lung des menschlichen Handelns und also auch dessen, was man in künftigen ähnlichen Fällen zu vermeiden hat, führt." — , Der Verfasser spricht diese Grundsätze bei Gelegenheit der Charakteristik von Gentz aus; er bethätigt sie aber durch sein ganzes Buch, ja er zeigt die entschiedene Neigung, vorzugsweise die positive Seite der Charaktere und Schriftsteller hervorzuheben, was einen um so erfreulichem Eindruck macht, da er wohl befähigt wäre, ein strengeres Urtheil zu fällen. — Was den historischen Inhalt deS Werks betrifft, so verzichtet er von vornherein auf vollendete Ab- runoung. Er hat zwar nach allen Seiten der staatsrechtlichen Literatur ge¬ arbeitet, aber doch einzelne Zweige derselben nicht mit jener Gründlichkeit studirt, die zu eiuer systematischen Darstellung bei dem Mangel aller größern Vor¬ arbeiten nothwendig wäre. Anstatt daher nach einem System zu streben, hat er sich damit begnügt, eine Reihe größerer Monographien zusammenzustellen, die aber bereits einen großen Theil des Systems erschöpfen und die weitere Vollen¬ dung einem Spätern überlassen. Wir wollen den Inhalt, den er uns bietet, kurz durchmustern. Nach Erledigung der einleitenden Gesichtspunkte sucht er zunächst die eigentliche Staatswissenschaft von der Gesellschaftswissenschaft zu sondern, welche letztere er von seiner Aufgabe völlig ausschließt. Zugleich gibt er eine kurze Uebersicht des bisherigen Verhaltens der Staatswissenschaft ,zu deu Disciplinen, die sich erst cillmälig zu einer neuen Wissenschaft gestalteten, da sie sich bisher Mehr mit subjectiven Idealen, als mit objectiver Untersuchung der vorhandenen Kräfte beschäftigen. Jene Scheidung führt er nun in der Art durch, daß er den größten Theil des Rechts der Stände, der Gewerbgenvssenschaften und der Kirche an die Gesellschaftswissenschaft abtritt. „Für das philosophische Staats¬ recht bleibt, außer den allgemeinen Grundsätzen über den der Gesellschaft zu gewährenden Schutz und über die unter ihren verschiedenen Kreisen zu haltende Ordnung, das Privatrecht nur noch dann ein Gegenstand der Erörterung, wenn der Staat nach allgemeinen Grundsätzen des Einheilsgedankenö in die Zwecke und Formen des einen oder des andern der zwei Zustände eingreifen muß." — Dann geht er a-uf die Encyklopädien und Systeme der Staatswissen- Ichaft über, nicht in historischer Ordnung, sondern nach äußern Kennzeichen gMppirt. — GZ folgen darauf die idealistischen Schriften, welche einen Staat, wie er sein soll, gewissermaßen a priori zu constnüren unternehmen: Platos Republik, die Utopia, die civitas solis u. s. w. Auch hier behält er nicht breiig die historische Folge bei, sondern theilt seinen Stoff in zwei Abtheilungen, die Schilderungen freigeschaffener Zustände und die Jdealisirung bestehender Ein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/223
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/223>, abgerufen am 05.07.2024.