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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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tragen, von denen man zuweilen abweichen muß, die aber zu fruchtbarem Nach¬
denken anregen und es ist mit jener Wärme geschrieben, die nur aus dem Be¬
wußtsein einer guten Sache hervorgeht. Man erlaube uns, zunächst die Fehler
anzuzeigen, welche die rühmliche Stellung des Buchs innerhalb der Literatur
einigermaßen verkümmern, um uns alsdann lediglich mit dem Princip, das es
vertritt, zu beschäftigen.

Der Verfasser beabsichtigte nicht, eine vollständige Literaturgeschichte zu
schreiben, sondern nur diejenige Seite des Gegenstandes hervorzuheben, mit
der er sich in seinen Studien vorzugsweise beschäftigt hatte. In wissenschaft¬
licher Beziehung ist das sehr anerkennenswerth, denn die Wissenschaft wird a,n
besten dadurch gefördert, daß jeder Schriftsteller nur dasjenige dem Publicum
mittheilt, was ihm eigen angehört. Aber für die Darstellung ist es ein nicht
wegzuleugnender Uebelstand. Man kann nur dasjenige historisch darstellen,
was sich in einem innern organischen Zusammenhang entwickelt, und so groß
der Einfluß der philologischen Studien aus die deutsche Dichtung gewesen ist,
so läßt er sich doch nicht so bestimmt von den übrigen Neigungen und Ein¬
flüssen absondern, daß er ein für sich bestehendes Ganze bildete. Daher hat
sich der Verfasser auch nicht streng an seine Aufgabe gehalten. Er schildert
theilweise auch diejenigen Richtungen der Literatur, die in gar keiner oder nur
einer sehr mittelbaren Beziehung zum Alterthum stehen, aber er schildert sie nicht
vollständig und sie machen daher den Eindruck des Episodischen. Sollte der
Titel genau sein, so müßte er etwa so lauten: Geschichte der deutschen Poesie
mit besonderer Hervorhebung der Einflüsse des Alterthums und Nachweis, daß
dieselbe nur gedeihen kann, wenn das Alterthum" wieder, wie in der goelhe-
schillerschen Zeit, zu Grunde gelegt wird. -- Das Werk im Großen und
Ganzen aufgefaßt ist eine Tendenzschrift, und es wäre zweckmäßiger gewesen,
wenn der Verfasser ganz offen und unbefangen mit seiner Tendenz hervorgetreten
wäre und alles, was nicht dazu gehört, fallen gelassen hätte.

'Ein zweiter Fehler hängt mit dieser Unsicherheit des Plans zusammen. Der
Verfasser scheint seinen Stoff in bestimmten Rubriken vorher geordnet und für
jede Rubrik längere Zeit hindurch Collectaneen gesammelt zu haben. Als Vor¬
studien sind solche Collectaneen sehr zweckmäßig, aber bei der Ausarbeitung
müssen ihre Spuren sorgfältig verwischt werden, und das ist nicht geschehen,
wenigstens nicht in dem hinreichenden Maß. Einzelne Capitel sind freilich
aus einem Guß, aber manche Seiten machen vollständig den Eindruck der
Mosaikarbeit. Es ist, als ob der Verfasser jene Collectaneen, die aus ver¬
schiedenen Zeiten herrühren, einfach nebeneinander hätte abdrucken lassen. --
Daraus ist vielleicht auch eine ganz eigenthümliche Manier zu erklären. Zu¬
weilen citirt der Verfasser wörtlich, und gibt an, daß das von dem oder dem
gesagt worden sei; aber er fügt nicht hinzu, ob es richtig oder falsch ist; und


tragen, von denen man zuweilen abweichen muß, die aber zu fruchtbarem Nach¬
denken anregen und es ist mit jener Wärme geschrieben, die nur aus dem Be¬
wußtsein einer guten Sache hervorgeht. Man erlaube uns, zunächst die Fehler
anzuzeigen, welche die rühmliche Stellung des Buchs innerhalb der Literatur
einigermaßen verkümmern, um uns alsdann lediglich mit dem Princip, das es
vertritt, zu beschäftigen.

Der Verfasser beabsichtigte nicht, eine vollständige Literaturgeschichte zu
schreiben, sondern nur diejenige Seite des Gegenstandes hervorzuheben, mit
der er sich in seinen Studien vorzugsweise beschäftigt hatte. In wissenschaft¬
licher Beziehung ist das sehr anerkennenswerth, denn die Wissenschaft wird a,n
besten dadurch gefördert, daß jeder Schriftsteller nur dasjenige dem Publicum
mittheilt, was ihm eigen angehört. Aber für die Darstellung ist es ein nicht
wegzuleugnender Uebelstand. Man kann nur dasjenige historisch darstellen,
was sich in einem innern organischen Zusammenhang entwickelt, und so groß
der Einfluß der philologischen Studien aus die deutsche Dichtung gewesen ist,
so läßt er sich doch nicht so bestimmt von den übrigen Neigungen und Ein¬
flüssen absondern, daß er ein für sich bestehendes Ganze bildete. Daher hat
sich der Verfasser auch nicht streng an seine Aufgabe gehalten. Er schildert
theilweise auch diejenigen Richtungen der Literatur, die in gar keiner oder nur
einer sehr mittelbaren Beziehung zum Alterthum stehen, aber er schildert sie nicht
vollständig und sie machen daher den Eindruck des Episodischen. Sollte der
Titel genau sein, so müßte er etwa so lauten: Geschichte der deutschen Poesie
mit besonderer Hervorhebung der Einflüsse des Alterthums und Nachweis, daß
dieselbe nur gedeihen kann, wenn das Alterthum» wieder, wie in der goelhe-
schillerschen Zeit, zu Grunde gelegt wird. — Das Werk im Großen und
Ganzen aufgefaßt ist eine Tendenzschrift, und es wäre zweckmäßiger gewesen,
wenn der Verfasser ganz offen und unbefangen mit seiner Tendenz hervorgetreten
wäre und alles, was nicht dazu gehört, fallen gelassen hätte.

'Ein zweiter Fehler hängt mit dieser Unsicherheit des Plans zusammen. Der
Verfasser scheint seinen Stoff in bestimmten Rubriken vorher geordnet und für
jede Rubrik längere Zeit hindurch Collectaneen gesammelt zu haben. Als Vor¬
studien sind solche Collectaneen sehr zweckmäßig, aber bei der Ausarbeitung
müssen ihre Spuren sorgfältig verwischt werden, und das ist nicht geschehen,
wenigstens nicht in dem hinreichenden Maß. Einzelne Capitel sind freilich
aus einem Guß, aber manche Seiten machen vollständig den Eindruck der
Mosaikarbeit. Es ist, als ob der Verfasser jene Collectaneen, die aus ver¬
schiedenen Zeiten herrühren, einfach nebeneinander hätte abdrucken lassen. —
Daraus ist vielleicht auch eine ganz eigenthümliche Manier zu erklären. Zu¬
weilen citirt der Verfasser wörtlich, und gibt an, daß das von dem oder dem
gesagt worden sei; aber er fügt nicht hinzu, ob es richtig oder falsch ist; und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/214>, abgerufen am 05.07.2024.