Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Trau¬
men und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig
andere ein Recht, aus seine Thaten stolz zu sein; er war es nicht, wol aber
stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wol zu sagen, daß jedes improvistrte
Beginnen ihm besser angeschlagen sei, als das planmäßig angelegte und eine seiner
wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen
Leute regelmäßig als Null anzugeben, ist doch auch nichts, als die Kinderei eines
Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er aus
dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und all seine Zeitgenossen in schwindelnder
Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla I^eUx, als
förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benen¬
nungen beilegte.....Eine halb ironische Leichtfertigkeit geht durch sein
ganzes politisches Thun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm
gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selbst
nichts werth; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und
Vergänglichkeit des eignen Werkes und behandle die Reorganisation des Staates
nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde in Ordnung
bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, dem am Ende auch die
leidliche Uebertünchung der Schäden genügt. Wenn Mangel an politischem
Egoismus ein Lob ist, so verdient es Sulla, neben Washington genannt zu
werden; aber eS ist doch ein Unterschied, ob man aus Bürgersinn nicht herr¬
schen mag oder aus Blastrtheit das Scepter wegwirft."

Die sogenannte sultanische Verfassung trug den Stempel ihres Ursprungs
an sich. Unter dem Anschein der historisch aristokratischen Formen war sie nur
ein organisirtes Raub- und Plünderungssystem und verhielt sich zu der alten
Verfassung ungefähr wie der neue Augurendienst zur alten Religion. Sie
half keinem der organischen Schäden des Staats ab, sie gab nach außen keine
5/"?' , römische Publicum, der ewigen Unruhen müde, ließ sich auch die
Proskription gefallen, um nur eine einigermaßen haltbare Autorität über sich
zu empfinden. Diese Autorität ruhte aber lediglich in Sullas Persönlichkeit;
nach seinem Tod fiel alles auseinander, die herrschende Classe war unfähiger
als je, die alten sullanischen Klopffechter trieben mit ihren Scharen offenen
Unfug in der Hauptstadt, die Piraten verwüsteten ungestraft alle Küsten, die
auswärtigen Feinde machten immer weitere Fortschritte. Es war eine demo¬
kratische Bewegung, die wiederum einen glücklichen General, Pompejus, gegen
die Bestimmungen der sullanischen Verfassung mit einer unerhörten Machtvoll¬
kommenheit bekleidete, und als er nach einer Reihe stegreicher Feldzüge zurück¬
kehrte, trat er nicht, wie man vermuthete, als Führer der konservativen Partei
auf, ebensowenig wagte er mit Hilfe der Armee die Alleinherrschaft an sich zu
reißen; er verband sich vielmehr mit den Führern der Volkspartei, und so


in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Trau¬
men und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig
andere ein Recht, aus seine Thaten stolz zu sein; er war es nicht, wol aber
stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wol zu sagen, daß jedes improvistrte
Beginnen ihm besser angeschlagen sei, als das planmäßig angelegte und eine seiner
wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen
Leute regelmäßig als Null anzugeben, ist doch auch nichts, als die Kinderei eines
Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er aus
dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und all seine Zeitgenossen in schwindelnder
Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla I^eUx, als
förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benen¬
nungen beilegte.....Eine halb ironische Leichtfertigkeit geht durch sein
ganzes politisches Thun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm
gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selbst
nichts werth; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und
Vergänglichkeit des eignen Werkes und behandle die Reorganisation des Staates
nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde in Ordnung
bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, dem am Ende auch die
leidliche Uebertünchung der Schäden genügt. Wenn Mangel an politischem
Egoismus ein Lob ist, so verdient es Sulla, neben Washington genannt zu
werden; aber eS ist doch ein Unterschied, ob man aus Bürgersinn nicht herr¬
schen mag oder aus Blastrtheit das Scepter wegwirft."

Die sogenannte sultanische Verfassung trug den Stempel ihres Ursprungs
an sich. Unter dem Anschein der historisch aristokratischen Formen war sie nur
ein organisirtes Raub- und Plünderungssystem und verhielt sich zu der alten
Verfassung ungefähr wie der neue Augurendienst zur alten Religion. Sie
half keinem der organischen Schäden des Staats ab, sie gab nach außen keine
5/"?' , römische Publicum, der ewigen Unruhen müde, ließ sich auch die
Proskription gefallen, um nur eine einigermaßen haltbare Autorität über sich
zu empfinden. Diese Autorität ruhte aber lediglich in Sullas Persönlichkeit;
nach seinem Tod fiel alles auseinander, die herrschende Classe war unfähiger
als je, die alten sullanischen Klopffechter trieben mit ihren Scharen offenen
Unfug in der Hauptstadt, die Piraten verwüsteten ungestraft alle Küsten, die
auswärtigen Feinde machten immer weitere Fortschritte. Es war eine demo¬
kratische Bewegung, die wiederum einen glücklichen General, Pompejus, gegen
die Bestimmungen der sullanischen Verfassung mit einer unerhörten Machtvoll¬
kommenheit bekleidete, und als er nach einer Reihe stegreicher Feldzüge zurück¬
kehrte, trat er nicht, wie man vermuthete, als Führer der konservativen Partei
auf, ebensowenig wagte er mit Hilfe der Armee die Alleinherrschaft an sich zu
reißen; er verband sich vielmehr mit den Führern der Volkspartei, und so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101548"/>
          <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Trau¬<lb/>
men und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig<lb/>
andere ein Recht, aus seine Thaten stolz zu sein; er war es nicht, wol aber<lb/>
stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wol zu sagen, daß jedes improvistrte<lb/>
Beginnen ihm besser angeschlagen sei, als das planmäßig angelegte und eine seiner<lb/>
wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen<lb/>
Leute regelmäßig als Null anzugeben, ist doch auch nichts, als die Kinderei eines<lb/>
Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er aus<lb/>
dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und all seine Zeitgenossen in schwindelnder<lb/>
Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla I^eUx, als<lb/>
förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benen¬<lb/>
nungen beilegte.....Eine halb ironische Leichtfertigkeit geht durch sein<lb/>
ganzes politisches Thun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm<lb/>
gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selbst<lb/>
nichts werth; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und<lb/>
Vergänglichkeit des eignen Werkes und behandle die Reorganisation des Staates<lb/>
nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde in Ordnung<lb/>
bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, dem am Ende auch die<lb/>
leidliche Uebertünchung der Schäden genügt. Wenn Mangel an politischem<lb/>
Egoismus ein Lob ist, so verdient es Sulla, neben Washington genannt zu<lb/>
werden; aber eS ist doch ein Unterschied, ob man aus Bürgersinn nicht herr¬<lb/>
schen mag oder aus Blastrtheit das Scepter wegwirft."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_33" next="#ID_34"> Die sogenannte sultanische Verfassung trug den Stempel ihres Ursprungs<lb/>
an sich. Unter dem Anschein der historisch aristokratischen Formen war sie nur<lb/>
ein organisirtes Raub- und Plünderungssystem und verhielt sich zu der alten<lb/>
Verfassung ungefähr wie der neue Augurendienst zur alten Religion. Sie<lb/>
half keinem der organischen Schäden des Staats ab, sie gab nach außen keine<lb/>
5/"?' , römische Publicum, der ewigen Unruhen müde, ließ sich auch die<lb/>
Proskription gefallen, um nur eine einigermaßen haltbare Autorität über sich<lb/>
zu empfinden. Diese Autorität ruhte aber lediglich in Sullas Persönlichkeit;<lb/>
nach seinem Tod fiel alles auseinander, die herrschende Classe war unfähiger<lb/>
als je, die alten sullanischen Klopffechter trieben mit ihren Scharen offenen<lb/>
Unfug in der Hauptstadt, die Piraten verwüsteten ungestraft alle Küsten, die<lb/>
auswärtigen Feinde machten immer weitere Fortschritte. Es war eine demo¬<lb/>
kratische Bewegung, die wiederum einen glücklichen General, Pompejus, gegen<lb/>
die Bestimmungen der sullanischen Verfassung mit einer unerhörten Machtvoll¬<lb/>
kommenheit bekleidete, und als er nach einer Reihe stegreicher Feldzüge zurück¬<lb/>
kehrte, trat er nicht, wie man vermuthete, als Führer der konservativen Partei<lb/>
auf, ebensowenig wagte er mit Hilfe der Armee die Alleinherrschaft an sich zu<lb/>
reißen; er verband sich vielmehr mit den Führern der Volkspartei, und so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Trau¬ men und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht, aus seine Thaten stolz zu sein; er war es nicht, wol aber stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wol zu sagen, daß jedes improvistrte Beginnen ihm besser angeschlagen sei, als das planmäßig angelegte und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als Null anzugeben, ist doch auch nichts, als die Kinderei eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er aus dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und all seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla I^eUx, als förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benen¬ nungen beilegte.....Eine halb ironische Leichtfertigkeit geht durch sein ganzes politisches Thun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selbst nichts werth; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eignen Werkes und behandle die Reorganisation des Staates nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, dem am Ende auch die leidliche Uebertünchung der Schäden genügt. Wenn Mangel an politischem Egoismus ein Lob ist, so verdient es Sulla, neben Washington genannt zu werden; aber eS ist doch ein Unterschied, ob man aus Bürgersinn nicht herr¬ schen mag oder aus Blastrtheit das Scepter wegwirft." Die sogenannte sultanische Verfassung trug den Stempel ihres Ursprungs an sich. Unter dem Anschein der historisch aristokratischen Formen war sie nur ein organisirtes Raub- und Plünderungssystem und verhielt sich zu der alten Verfassung ungefähr wie der neue Augurendienst zur alten Religion. Sie half keinem der organischen Schäden des Staats ab, sie gab nach außen keine 5/"?' , römische Publicum, der ewigen Unruhen müde, ließ sich auch die Proskription gefallen, um nur eine einigermaßen haltbare Autorität über sich zu empfinden. Diese Autorität ruhte aber lediglich in Sullas Persönlichkeit; nach seinem Tod fiel alles auseinander, die herrschende Classe war unfähiger als je, die alten sullanischen Klopffechter trieben mit ihren Scharen offenen Unfug in der Hauptstadt, die Piraten verwüsteten ungestraft alle Küsten, die auswärtigen Feinde machten immer weitere Fortschritte. Es war eine demo¬ kratische Bewegung, die wiederum einen glücklichen General, Pompejus, gegen die Bestimmungen der sullanischen Verfassung mit einer unerhörten Machtvoll¬ kommenheit bekleidete, und als er nach einer Reihe stegreicher Feldzüge zurück¬ kehrte, trat er nicht, wie man vermuthete, als Führer der konservativen Partei auf, ebensowenig wagte er mit Hilfe der Armee die Alleinherrschaft an sich zu reißen; er verband sich vielmehr mit den Führern der Volkspartei, und so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/21>, abgerufen am 21.06.2024.