Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der eben erwähnte Knabe, der Enkel des Hausherrn, spielte, wie es
scheint, eine hervorragende (active oder passive?) Rolle in- diesen Scenen, die
in unverkennbarem Zusammenhang mit jenen Phänomenen stehen, die unser auf¬
geklärtes Jahrhundert unter dem Namen des Tischrückens und Geisterklopsenö
anstaunen gelernt hat. Als er einst bei seinem Großvater saß, "fing er plötz¬
lich an, sich heftig zu bewegen, worauf der Mann ihn zwischen seine Beine
nahm; aber der Stuhl tanzte auf. und nieder und hätte beinah sowol den
Mann als den Knaben ins Feuer geschleudert, und nachher ward das Kind
in solcher Manier umhergeworfen, daß man befürchten mußte, es würde ihm
das Gehirn zerschmettert werden, indem der Mann ihn umsonst festzuhalten
suchte. Der Knabe wurde nunmehr zu Bett gebracht; alsbald aber ließ sich
FM fürchterlicher Lärm vernehmen, und als man fragte, was es gebe, ant¬
wortete er, daß sein Bett auf und nieder springe. Wie sie (der Mann und
seine Frau) hinaufgingen, fanden sie zuerst alles ruhig; ehe sie aber lange dort
gewesen, sahen sie das Kopfbett zittern und das Bettzeug zur Erde fliegen;
kaum hatten sie den Knaben wieder zugedeckt, als die Laken abermals fort¬
huschten, so daß sie, um nur Ruhe zu haben, ihn endlich aus dem Bette
nahmen."

Analoge Erscheinungen wurden um dieselbe Zeit in andern Theilen Neu¬
englands bemerkt, wie in Portsmouth, Hartford und bei den Salmon Falls,
wo ein böser Geist sich der Gattin des Antonio Hortado unter der Gestalt
eines alten Weibes in einer weißen Haube und kurzem blauen Mantel zeigte.
Die Glaubwürdigkeit dieser Berichte wird uns von dem Versasser mit einem
immensen Aufwand von Gelehrsamkeit vordemonstrirt, indem er alles, was
ältere und neuere Autoren über Dämonen und Dämonologie geschrieben haben,
zur Unterstützung seiner Thesis benutzt und endlich, sich auf die heilige Schrift
berufend, durch Hinweisung aus die Here von Endor, die Zweifler glücklich zum
Schwelgen bringt.

Man'wird sich aus diesen Mittheilungen überzeugt haben, daß Malser
in vollem Maße den Aberglauben theilte, an dem seine Zeitgenossen laborirten;
für ihn war die Welt mit Heren und Zauberern, mit Agatho- und Kako-
dämonen, mit redenden Fischen und Vögeln und mit inspirirter Pferden und
Ochsen angefüllt. Aber trotz der Begierde, mit der er den Wundergeschichten
lauschte, die ihm erzählt wurden, und der naiven Einfalt, mit der er sie als
lautere Wahrheit registrirre, muß man doch anerkennen, daß es dem guten
Mann nicht ganz an Kritik fehlte; er gibt zu, daß manches, was von über¬
natürlichen Einflüssen herzurühren scheine, auf Sinnentäuschung beruhe oder
gradezu durch Taschenspielerkünste hervorgebracht sei, und verwirft die ,,eitlen
Lehren" der Kabbala und "jenes großen Schwarzkünstlers Pythagoras" über
den Gebrauch gewisser Zeichen und Formeln als Beschwörungsmittel und über


Der eben erwähnte Knabe, der Enkel des Hausherrn, spielte, wie es
scheint, eine hervorragende (active oder passive?) Rolle in- diesen Scenen, die
in unverkennbarem Zusammenhang mit jenen Phänomenen stehen, die unser auf¬
geklärtes Jahrhundert unter dem Namen des Tischrückens und Geisterklopsenö
anstaunen gelernt hat. Als er einst bei seinem Großvater saß, „fing er plötz¬
lich an, sich heftig zu bewegen, worauf der Mann ihn zwischen seine Beine
nahm; aber der Stuhl tanzte auf. und nieder und hätte beinah sowol den
Mann als den Knaben ins Feuer geschleudert, und nachher ward das Kind
in solcher Manier umhergeworfen, daß man befürchten mußte, es würde ihm
das Gehirn zerschmettert werden, indem der Mann ihn umsonst festzuhalten
suchte. Der Knabe wurde nunmehr zu Bett gebracht; alsbald aber ließ sich
FM fürchterlicher Lärm vernehmen, und als man fragte, was es gebe, ant¬
wortete er, daß sein Bett auf und nieder springe. Wie sie (der Mann und
seine Frau) hinaufgingen, fanden sie zuerst alles ruhig; ehe sie aber lange dort
gewesen, sahen sie das Kopfbett zittern und das Bettzeug zur Erde fliegen;
kaum hatten sie den Knaben wieder zugedeckt, als die Laken abermals fort¬
huschten, so daß sie, um nur Ruhe zu haben, ihn endlich aus dem Bette
nahmen."

Analoge Erscheinungen wurden um dieselbe Zeit in andern Theilen Neu¬
englands bemerkt, wie in Portsmouth, Hartford und bei den Salmon Falls,
wo ein böser Geist sich der Gattin des Antonio Hortado unter der Gestalt
eines alten Weibes in einer weißen Haube und kurzem blauen Mantel zeigte.
Die Glaubwürdigkeit dieser Berichte wird uns von dem Versasser mit einem
immensen Aufwand von Gelehrsamkeit vordemonstrirt, indem er alles, was
ältere und neuere Autoren über Dämonen und Dämonologie geschrieben haben,
zur Unterstützung seiner Thesis benutzt und endlich, sich auf die heilige Schrift
berufend, durch Hinweisung aus die Here von Endor, die Zweifler glücklich zum
Schwelgen bringt.

Man'wird sich aus diesen Mittheilungen überzeugt haben, daß Malser
in vollem Maße den Aberglauben theilte, an dem seine Zeitgenossen laborirten;
für ihn war die Welt mit Heren und Zauberern, mit Agatho- und Kako-
dämonen, mit redenden Fischen und Vögeln und mit inspirirter Pferden und
Ochsen angefüllt. Aber trotz der Begierde, mit der er den Wundergeschichten
lauschte, die ihm erzählt wurden, und der naiven Einfalt, mit der er sie als
lautere Wahrheit registrirre, muß man doch anerkennen, daß es dem guten
Mann nicht ganz an Kritik fehlte; er gibt zu, daß manches, was von über¬
natürlichen Einflüssen herzurühren scheine, auf Sinnentäuschung beruhe oder
gradezu durch Taschenspielerkünste hervorgebracht sei, und verwirft die ,,eitlen
Lehren" der Kabbala und „jenes großen Schwarzkünstlers Pythagoras" über
den Gebrauch gewisser Zeichen und Formeln als Beschwörungsmittel und über


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101705"/>
          <p xml:id="ID_425"> Der eben erwähnte Knabe, der Enkel des Hausherrn, spielte, wie es<lb/>
scheint, eine hervorragende (active oder passive?) Rolle in- diesen Scenen, die<lb/>
in unverkennbarem Zusammenhang mit jenen Phänomenen stehen, die unser auf¬<lb/>
geklärtes Jahrhundert unter dem Namen des Tischrückens und Geisterklopsenö<lb/>
anstaunen gelernt hat. Als er einst bei seinem Großvater saß, &#x201E;fing er plötz¬<lb/>
lich an, sich heftig zu bewegen, worauf der Mann ihn zwischen seine Beine<lb/>
nahm; aber der Stuhl tanzte auf. und nieder und hätte beinah sowol den<lb/>
Mann als den Knaben ins Feuer geschleudert, und nachher ward das Kind<lb/>
in solcher Manier umhergeworfen, daß man befürchten mußte, es würde ihm<lb/>
das Gehirn zerschmettert werden, indem der Mann ihn umsonst festzuhalten<lb/>
suchte. Der Knabe wurde nunmehr zu Bett gebracht; alsbald aber ließ sich<lb/>
FM fürchterlicher Lärm vernehmen, und als man fragte, was es gebe, ant¬<lb/>
wortete er, daß sein Bett auf und nieder springe. Wie sie (der Mann und<lb/>
seine Frau) hinaufgingen, fanden sie zuerst alles ruhig; ehe sie aber lange dort<lb/>
gewesen, sahen sie das Kopfbett zittern und das Bettzeug zur Erde fliegen;<lb/>
kaum hatten sie den Knaben wieder zugedeckt, als die Laken abermals fort¬<lb/>
huschten, so daß sie, um nur Ruhe zu haben, ihn endlich aus dem Bette<lb/>
nahmen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_426"> Analoge Erscheinungen wurden um dieselbe Zeit in andern Theilen Neu¬<lb/>
englands bemerkt, wie in Portsmouth, Hartford und bei den Salmon Falls,<lb/>
wo ein böser Geist sich der Gattin des Antonio Hortado unter der Gestalt<lb/>
eines alten Weibes in einer weißen Haube und kurzem blauen Mantel zeigte.<lb/>
Die Glaubwürdigkeit dieser Berichte wird uns von dem Versasser mit einem<lb/>
immensen Aufwand von Gelehrsamkeit vordemonstrirt, indem er alles, was<lb/>
ältere und neuere Autoren über Dämonen und Dämonologie geschrieben haben,<lb/>
zur Unterstützung seiner Thesis benutzt und endlich, sich auf die heilige Schrift<lb/>
berufend, durch Hinweisung aus die Here von Endor, die Zweifler glücklich zum<lb/>
Schwelgen bringt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_427" next="#ID_428"> Man'wird sich aus diesen Mittheilungen überzeugt haben, daß Malser<lb/>
in vollem Maße den Aberglauben theilte, an dem seine Zeitgenossen laborirten;<lb/>
für ihn war die Welt mit Heren und Zauberern, mit Agatho- und Kako-<lb/>
dämonen, mit redenden Fischen und Vögeln und mit inspirirter Pferden und<lb/>
Ochsen angefüllt. Aber trotz der Begierde, mit der er den Wundergeschichten<lb/>
lauschte, die ihm erzählt wurden, und der naiven Einfalt, mit der er sie als<lb/>
lautere Wahrheit registrirre, muß man doch anerkennen, daß es dem guten<lb/>
Mann nicht ganz an Kritik fehlte; er gibt zu, daß manches, was von über¬<lb/>
natürlichen Einflüssen herzurühren scheine, auf Sinnentäuschung beruhe oder<lb/>
gradezu durch Taschenspielerkünste hervorgebracht sei, und verwirft die ,,eitlen<lb/>
Lehren" der Kabbala und &#x201E;jenes großen Schwarzkünstlers Pythagoras" über<lb/>
den Gebrauch gewisser Zeichen und Formeln als Beschwörungsmittel und über</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] Der eben erwähnte Knabe, der Enkel des Hausherrn, spielte, wie es scheint, eine hervorragende (active oder passive?) Rolle in- diesen Scenen, die in unverkennbarem Zusammenhang mit jenen Phänomenen stehen, die unser auf¬ geklärtes Jahrhundert unter dem Namen des Tischrückens und Geisterklopsenö anstaunen gelernt hat. Als er einst bei seinem Großvater saß, „fing er plötz¬ lich an, sich heftig zu bewegen, worauf der Mann ihn zwischen seine Beine nahm; aber der Stuhl tanzte auf. und nieder und hätte beinah sowol den Mann als den Knaben ins Feuer geschleudert, und nachher ward das Kind in solcher Manier umhergeworfen, daß man befürchten mußte, es würde ihm das Gehirn zerschmettert werden, indem der Mann ihn umsonst festzuhalten suchte. Der Knabe wurde nunmehr zu Bett gebracht; alsbald aber ließ sich FM fürchterlicher Lärm vernehmen, und als man fragte, was es gebe, ant¬ wortete er, daß sein Bett auf und nieder springe. Wie sie (der Mann und seine Frau) hinaufgingen, fanden sie zuerst alles ruhig; ehe sie aber lange dort gewesen, sahen sie das Kopfbett zittern und das Bettzeug zur Erde fliegen; kaum hatten sie den Knaben wieder zugedeckt, als die Laken abermals fort¬ huschten, so daß sie, um nur Ruhe zu haben, ihn endlich aus dem Bette nahmen." Analoge Erscheinungen wurden um dieselbe Zeit in andern Theilen Neu¬ englands bemerkt, wie in Portsmouth, Hartford und bei den Salmon Falls, wo ein böser Geist sich der Gattin des Antonio Hortado unter der Gestalt eines alten Weibes in einer weißen Haube und kurzem blauen Mantel zeigte. Die Glaubwürdigkeit dieser Berichte wird uns von dem Versasser mit einem immensen Aufwand von Gelehrsamkeit vordemonstrirt, indem er alles, was ältere und neuere Autoren über Dämonen und Dämonologie geschrieben haben, zur Unterstützung seiner Thesis benutzt und endlich, sich auf die heilige Schrift berufend, durch Hinweisung aus die Here von Endor, die Zweifler glücklich zum Schwelgen bringt. Man'wird sich aus diesen Mittheilungen überzeugt haben, daß Malser in vollem Maße den Aberglauben theilte, an dem seine Zeitgenossen laborirten; für ihn war die Welt mit Heren und Zauberern, mit Agatho- und Kako- dämonen, mit redenden Fischen und Vögeln und mit inspirirter Pferden und Ochsen angefüllt. Aber trotz der Begierde, mit der er den Wundergeschichten lauschte, die ihm erzählt wurden, und der naiven Einfalt, mit der er sie als lautere Wahrheit registrirre, muß man doch anerkennen, daß es dem guten Mann nicht ganz an Kritik fehlte; er gibt zu, daß manches, was von über¬ natürlichen Einflüssen herzurühren scheine, auf Sinnentäuschung beruhe oder gradezu durch Taschenspielerkünste hervorgebracht sei, und verwirft die ,,eitlen Lehren" der Kabbala und „jenes großen Schwarzkünstlers Pythagoras" über den Gebrauch gewisser Zeichen und Formeln als Beschwörungsmittel und über

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/178>, abgerufen am 05.07.2024.