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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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stammen umringt, welche die Niederlassungen der "bleichen Gesichter" mit Feuer
und Schwert verheerten, und von klimatischen Krankheiten decimirt, welche
ihnen verderblicher wurden, als die Tomahawks der Moheganer und Pequots.
mußte die von Natur ernste und melancholische Gemüthsart der Pilgerväter
einen noch tieferen Schatten annehmen. Die geheimnißvollen Töne, die aus
dem Dunkel des schaurigen Urwaldes zu ihnen drangen, klangen in ihr Ohr
wie Geisterstimmen ans einer überirdischen Welt, und die Phänomene einer
fremden Natur, für die ihnen jede wissenschaftliche Erklärung fehlte, erschienen
ihnen wie ein seltsamer Spuk, hervorgebracht durch die Machinationen jenes
alten Widersachers, der es von jeher geliebt hatte, die Kinder Gottes zu ver¬
suchen und zu ängstigen. Wie der EroduS Moses und seiner Hebräer nach
dem gelobten Lande mußte ja auch die Ansiedlung des neuen Israel in dem
neuen Kanaan von Zeichen und Wundern begleitet sein, die sich jedoch nicht
auf eine Neproducirung biblischer Vorgänge beschränkten, sondern eine barocke
Mischung mittelalterlicher Traditionen mit Erinnerungen aus der Heidenzeit
und dem classischen Alterthum enthielten. Die Wildnisse Neuenglands bevölker¬
ten sich für die gläubigen Puritaner mit Scharen von Dämonen, Kobolden,
Hexen und andern übernatürlichen Wesen, von denen die guten Leute viel aus¬
zustehen hatten und über deren Treiben ein in der socialen und literarischen
Geschichte Amerikas berühmter Mann, der Geistliche Malser zu Boston, in
einem merkwürdigen Werke Rechenschaft gibt, das längst zu den bibliographi¬
schen Seltenheiten gehört und uns jetzt in einem für die von John Russell
Smith herausgegebene Library ok 01Ä ^utlaors veranstalteten Abdruck vor¬
liegt.") -

Jncrcase Malser, oder CrescentiuS Matheris, wie er sich zu unterschreiben
pflegte, wurde im Jahr 1639 zu Dvrchester in Massachusetts geboren und er¬
hielt seinen Namen von dem großen Zuwachs der Colonie, der mit seiner Ge¬
burt zusammentraf. Von seinem Vater, einem geachteten Prediger der Puri¬
taner, den die Unduldsamkeit Lands über das Weltmeer getrieben hatte, für
den geistlichen Stand bestimmt, wurde er, da es in Neuengland zur Zeit noch
an gelehrten Anstalten fehlte, schon in früher Jugend der Obhut eines Land¬
manns anvertraut, der ihn nach Dublin führte, wo er sich mit Eifer dem
Studium der alten Sprachen, der Philosophie, Theologie und rabbinischen Ge¬
lehrsamkeit widmete und in seinem neunzehnten Jahr promovirte. Der An¬
schluß an die herrschende Kirche hätte ihm eine glänzende Laufbahn eröffnet;
er zog eS vor, nach seinem Geburtslande zurückzukehren und ein Pfarramt in
Boston anzunehmen, welches er einundsechzig Jahr lang bis zu seinem Tode



*) LsmiU'KlMs 1'roviäsnees, illustrativ" ok tds variier vavs ok ^.rQerwsn Loloni-iation-
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ILöü. Berlin, A. Ascher ^ Comp.

stammen umringt, welche die Niederlassungen der „bleichen Gesichter" mit Feuer
und Schwert verheerten, und von klimatischen Krankheiten decimirt, welche
ihnen verderblicher wurden, als die Tomahawks der Moheganer und Pequots.
mußte die von Natur ernste und melancholische Gemüthsart der Pilgerväter
einen noch tieferen Schatten annehmen. Die geheimnißvollen Töne, die aus
dem Dunkel des schaurigen Urwaldes zu ihnen drangen, klangen in ihr Ohr
wie Geisterstimmen ans einer überirdischen Welt, und die Phänomene einer
fremden Natur, für die ihnen jede wissenschaftliche Erklärung fehlte, erschienen
ihnen wie ein seltsamer Spuk, hervorgebracht durch die Machinationen jenes
alten Widersachers, der es von jeher geliebt hatte, die Kinder Gottes zu ver¬
suchen und zu ängstigen. Wie der EroduS Moses und seiner Hebräer nach
dem gelobten Lande mußte ja auch die Ansiedlung des neuen Israel in dem
neuen Kanaan von Zeichen und Wundern begleitet sein, die sich jedoch nicht
auf eine Neproducirung biblischer Vorgänge beschränkten, sondern eine barocke
Mischung mittelalterlicher Traditionen mit Erinnerungen aus der Heidenzeit
und dem classischen Alterthum enthielten. Die Wildnisse Neuenglands bevölker¬
ten sich für die gläubigen Puritaner mit Scharen von Dämonen, Kobolden,
Hexen und andern übernatürlichen Wesen, von denen die guten Leute viel aus¬
zustehen hatten und über deren Treiben ein in der socialen und literarischen
Geschichte Amerikas berühmter Mann, der Geistliche Malser zu Boston, in
einem merkwürdigen Werke Rechenschaft gibt, das längst zu den bibliographi¬
schen Seltenheiten gehört und uns jetzt in einem für die von John Russell
Smith herausgegebene Library ok 01Ä ^utlaors veranstalteten Abdruck vor¬
liegt.") -

Jncrcase Malser, oder CrescentiuS Matheris, wie er sich zu unterschreiben
pflegte, wurde im Jahr 1639 zu Dvrchester in Massachusetts geboren und er¬
hielt seinen Namen von dem großen Zuwachs der Colonie, der mit seiner Ge¬
burt zusammentraf. Von seinem Vater, einem geachteten Prediger der Puri¬
taner, den die Unduldsamkeit Lands über das Weltmeer getrieben hatte, für
den geistlichen Stand bestimmt, wurde er, da es in Neuengland zur Zeit noch
an gelehrten Anstalten fehlte, schon in früher Jugend der Obhut eines Land¬
manns anvertraut, der ihn nach Dublin führte, wo er sich mit Eifer dem
Studium der alten Sprachen, der Philosophie, Theologie und rabbinischen Ge¬
lehrsamkeit widmete und in seinem neunzehnten Jahr promovirte. Der An¬
schluß an die herrschende Kirche hätte ihm eine glänzende Laufbahn eröffnet;
er zog eS vor, nach seinem Geburtslande zurückzukehren und ein Pfarramt in
Boston anzunehmen, welches er einundsechzig Jahr lang bis zu seinem Tode



*) LsmiU'KlMs 1'roviäsnees, illustrativ« ok tds variier vavs ok ^.rQerwsn Loloni-iation-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/170>, abgerufen am 27.06.2024.