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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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würde, die doch niemals zu einem verständigen Resultat führt, wir wünschen
daher die Befestigung des jetzigen Regiments; aber wir wünschen sie nur unter
der Bedingung, daß sie die allmälige Entwicklung freier Staatsformen nicht
ausschließt; und daß das nicht nothwendig der Fall ist, dafür gibt uns die
vorliegende Schrift eine erfreuliche Bürgschaft.

Das Buch ist, abgesehen von seiner positiven Richtung, eine durchgehende
Satire gegen den Bonapartismus. Mit jenem Raffinement, wie es nur fran¬
zösischen Aristokraten eigen ist, weiß Montalembert in die scheinbar unschuldig¬
sten Bemerkungen einen Stachel zu legen, der um so schmerzhafter trifft, je
gelassener sich der Schriftsteller dabei geberdet. Schon die Bezeichnung, die
sich Montalembert auf dem Titel gibt, ist charakteristisch, denn jene Vierzig
sind in der That, seitdem die politischen Notabilitäten schweigen müssen, das
Centrum der stillen, aber consequenten Opposition. Es ist die Bildung Frank¬
reichs, die sich gegen das anscheinende Recht der Thatsachen empört. Wir
halten es nicht für unmöglich, daß dem Kaiser endlich gelingen wird, mit der
Zeit diese Opposition zu versöhnen, gegen welche die gewöhnlichen Mittel der
Gewalt nicht viel ausrichten können: aber diese Versöhnung setzt Concessionen
voraus, welche der Entwicklung Frankreichs nur günstig sein können. Noch
klebt an der neuen Monarchie der Makel ihres Ursprungs. Sie wurde durch
unen Handstreich gebildet, und die Werkzeuge dieses Handstreichs wollten be¬
lohnt sein. Sie haben zum Theil noch immer die Gewalt in Händen. Aber
das Kaiserthum ist jetzt für den Augenblick gesichert genug, um ihrer entbehren
SU können; sein Ansehen ist in Frankreich wie in Europa gestiegen, und es
hängt nur von ihm ab, sich den Kreisen der überlieferten Bildung wieder zu
nähern und so sein Reich an die Traditionen des alten Frankreich wiederan¬
zuknüpfen. Warum sollten die Legitimisten und Orleanisten auf Thronpräten¬
denten ihre Hoffnungen richten, die ihnen zum Theil ganz fremd geworden
sind, und deren Wiederherstellung durch höchst bedenkliche Stürme zu erkaufen
sein würde? Die Opposition gegen das Kaiserthum wird nur fortdauern, so
lange sich dieses in starren Formen firirt; wenn es sich bildungsfähig zeigt,
werden sich die widerstrebenden Elemente mehr und mehr ihm a-nschmiegen.

Was Montalembert zu Gunsten der großbritannischen Einrichtungen sagt,
zunächst seine Beziehungen aus Frankreich. Er zeigt, daß freie Forme"
unvergänglich sind, und daß sie das beste Mittel gewähren, die Widersprüche,
d>e in ihnen selbst liegen, in einem natürlichen Proceß auszugleichen; aber
d>e Darstellung ist keineswegs blos tendenziös, sie geht aus gründlicher, geist¬
voller Sachkenntniß hervor. Seine Gesichtspunkte sind nicht durchweg neu,
"ber sie sind in scharfer Logik geordnet, prägnant ausgedrückt und durch leb¬
hafte Anschauungen vermittelt. Man freut sich über die'Festigkeit eines hellen,
klaren Verstandes, der sich durch keine Sophismen, durch keine mikroskopischen


würde, die doch niemals zu einem verständigen Resultat führt, wir wünschen
daher die Befestigung des jetzigen Regiments; aber wir wünschen sie nur unter
der Bedingung, daß sie die allmälige Entwicklung freier Staatsformen nicht
ausschließt; und daß das nicht nothwendig der Fall ist, dafür gibt uns die
vorliegende Schrift eine erfreuliche Bürgschaft.

Das Buch ist, abgesehen von seiner positiven Richtung, eine durchgehende
Satire gegen den Bonapartismus. Mit jenem Raffinement, wie es nur fran¬
zösischen Aristokraten eigen ist, weiß Montalembert in die scheinbar unschuldig¬
sten Bemerkungen einen Stachel zu legen, der um so schmerzhafter trifft, je
gelassener sich der Schriftsteller dabei geberdet. Schon die Bezeichnung, die
sich Montalembert auf dem Titel gibt, ist charakteristisch, denn jene Vierzig
sind in der That, seitdem die politischen Notabilitäten schweigen müssen, das
Centrum der stillen, aber consequenten Opposition. Es ist die Bildung Frank¬
reichs, die sich gegen das anscheinende Recht der Thatsachen empört. Wir
halten es nicht für unmöglich, daß dem Kaiser endlich gelingen wird, mit der
Zeit diese Opposition zu versöhnen, gegen welche die gewöhnlichen Mittel der
Gewalt nicht viel ausrichten können: aber diese Versöhnung setzt Concessionen
voraus, welche der Entwicklung Frankreichs nur günstig sein können. Noch
klebt an der neuen Monarchie der Makel ihres Ursprungs. Sie wurde durch
unen Handstreich gebildet, und die Werkzeuge dieses Handstreichs wollten be¬
lohnt sein. Sie haben zum Theil noch immer die Gewalt in Händen. Aber
das Kaiserthum ist jetzt für den Augenblick gesichert genug, um ihrer entbehren
SU können; sein Ansehen ist in Frankreich wie in Europa gestiegen, und es
hängt nur von ihm ab, sich den Kreisen der überlieferten Bildung wieder zu
nähern und so sein Reich an die Traditionen des alten Frankreich wiederan¬
zuknüpfen. Warum sollten die Legitimisten und Orleanisten auf Thronpräten¬
denten ihre Hoffnungen richten, die ihnen zum Theil ganz fremd geworden
sind, und deren Wiederherstellung durch höchst bedenkliche Stürme zu erkaufen
sein würde? Die Opposition gegen das Kaiserthum wird nur fortdauern, so
lange sich dieses in starren Formen firirt; wenn es sich bildungsfähig zeigt,
werden sich die widerstrebenden Elemente mehr und mehr ihm a-nschmiegen.

Was Montalembert zu Gunsten der großbritannischen Einrichtungen sagt,
zunächst seine Beziehungen aus Frankreich. Er zeigt, daß freie Forme»
unvergänglich sind, und daß sie das beste Mittel gewähren, die Widersprüche,
d>e in ihnen selbst liegen, in einem natürlichen Proceß auszugleichen; aber
d>e Darstellung ist keineswegs blos tendenziös, sie geht aus gründlicher, geist¬
voller Sachkenntniß hervor. Seine Gesichtspunkte sind nicht durchweg neu,
"ber sie sind in scharfer Logik geordnet, prägnant ausgedrückt und durch leb¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/157>, abgerufen am 27.06.2024.