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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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rührung des Königs eine Heilkraft gegen skrophulöse Leiden liege, mochte
wol durch Fälle scheinbaren Erfolgs unterstützt werden. In der That kann
die Aufregung, welche die armen Kranken in der königlichen Gegenwart em->
pfänden, zuweilen als geistiges Tonikum gewirkt haben; in einer großen Zahl
von Fällen jedoch muß man die Wirkung dem Goldstück zuschreiben, das der
König jedem Patienten schenkte. Jedenfalls blühte diese königliche Praxis bis zu
Annas Zeit, mit deren Tode sie einging; die Regenten des Hanfes Braun¬
schweig machten keinen Anspruch, diese medicinische Begabung zu besitzen^ da
sie auch nur kraft eines Parlamentsbeschlusses auf den Thron gekommen waren.
-- Gleichzeitige Anzeigen von Merkwürdigkeiten und Seltenheiten zeigen
die Neigung des Publicums zum Wunderbaren und Fremdartigen. In
einer Sammlung, die "von Personen von großer Gelehrsamkeit und hohem
Stande viel besucht und bewundert wurde" wurden als besonders interessant
hervorgehoben: eine "auserlesene" ägyptische Mumie mit Hieroglyphen, der
große Hüftknochen eines Riesen, ein Mondfisch, ein tropischer Vogel u. s. w.
In der London Gazette von 1664 findet man: "Eine wahrhafte Darstellung
des Nhonoserous (sie) und Elephanten, so kürzlich von Ostindien nach London
gebracht wurden, nach dem Leben gezeichnet, sorgfältig in mex?.o-tintv geätzt
und auf ein großes Stück Papier gedruckt."

In dem nächsten Jahr hören alle diese Anzeigen auf: eS ist das Jahr
der großen Pest. Alle, die es vermochten, flohen frühzeitig aus der angesteckten
Stadt, diejenigen, welche blieben, bis die Krankheit allgemeine Verbreitung
gewonnen hatte, durften sie nicht mehr verlassen, da ihnen der Lordmayor das
Gesundheitsattest verweigerte, um die Ansteckung nicht in die Provinzen ver¬
schleppen zu lassen. Wie im Cholerajahr 185t die Spalten der Times, waren
die der Zeitungen von 1663 mit Anzeigen von Antidoten und unfehlbaren
Mitteln angefüllt; eines davon, das man im Grünen Drachen in Cheapside
bekommen konnte, kostete nur sechs Pence die Pinke. Die Pest erlosch mit
dem großen Brande, der am 2. September 1K6S ausbrach und 13,000 Häu¬
ser in Asche legte. Sonderbar genug,' obwol diese furchtbare Calamität die
ganze Bevölkerung obdachlos machte und in den Feldern in improvisierten Woh¬
nungen zu campiren'zwang, zeigen sich nur äußerst geringe Spuren eines so
ungeheuern Ereignisses in den Blättern. Nichts beweist deutlicher, wie wenig
Gebrauch damals noch die handeltreibende Bevölkerung von der Presse machte.
Ein Brand, der auch nur zum hundertsten Theil so zerstörend wirkte, würde
heutzutage alle Spalten der Zeitungen mit den neuen Adressen der Kaufleute
füllen. -- Die übrige Zeit von Karls Regierung ist durch keine charakteristi¬
schen Anzeigen mehr bezeichnet; aber schon einige Jahre vorher finden wir die
Mode der monströsen Lockenperücken eingeführt, die sich bis zur Mitte des
folgenden Jahrhunderts erhielten. Die "Newes" von 1663 enthalten folgende


rührung des Königs eine Heilkraft gegen skrophulöse Leiden liege, mochte
wol durch Fälle scheinbaren Erfolgs unterstützt werden. In der That kann
die Aufregung, welche die armen Kranken in der königlichen Gegenwart em->
pfänden, zuweilen als geistiges Tonikum gewirkt haben; in einer großen Zahl
von Fällen jedoch muß man die Wirkung dem Goldstück zuschreiben, das der
König jedem Patienten schenkte. Jedenfalls blühte diese königliche Praxis bis zu
Annas Zeit, mit deren Tode sie einging; die Regenten des Hanfes Braun¬
schweig machten keinen Anspruch, diese medicinische Begabung zu besitzen^ da
sie auch nur kraft eines Parlamentsbeschlusses auf den Thron gekommen waren.
— Gleichzeitige Anzeigen von Merkwürdigkeiten und Seltenheiten zeigen
die Neigung des Publicums zum Wunderbaren und Fremdartigen. In
einer Sammlung, die „von Personen von großer Gelehrsamkeit und hohem
Stande viel besucht und bewundert wurde" wurden als besonders interessant
hervorgehoben: eine „auserlesene" ägyptische Mumie mit Hieroglyphen, der
große Hüftknochen eines Riesen, ein Mondfisch, ein tropischer Vogel u. s. w.
In der London Gazette von 1664 findet man: „Eine wahrhafte Darstellung
des Nhonoserous (sie) und Elephanten, so kürzlich von Ostindien nach London
gebracht wurden, nach dem Leben gezeichnet, sorgfältig in mex?.o-tintv geätzt
und auf ein großes Stück Papier gedruckt."

In dem nächsten Jahr hören alle diese Anzeigen auf: eS ist das Jahr
der großen Pest. Alle, die es vermochten, flohen frühzeitig aus der angesteckten
Stadt, diejenigen, welche blieben, bis die Krankheit allgemeine Verbreitung
gewonnen hatte, durften sie nicht mehr verlassen, da ihnen der Lordmayor das
Gesundheitsattest verweigerte, um die Ansteckung nicht in die Provinzen ver¬
schleppen zu lassen. Wie im Cholerajahr 185t die Spalten der Times, waren
die der Zeitungen von 1663 mit Anzeigen von Antidoten und unfehlbaren
Mitteln angefüllt; eines davon, das man im Grünen Drachen in Cheapside
bekommen konnte, kostete nur sechs Pence die Pinke. Die Pest erlosch mit
dem großen Brande, der am 2. September 1K6S ausbrach und 13,000 Häu¬
ser in Asche legte. Sonderbar genug,' obwol diese furchtbare Calamität die
ganze Bevölkerung obdachlos machte und in den Feldern in improvisierten Woh¬
nungen zu campiren'zwang, zeigen sich nur äußerst geringe Spuren eines so
ungeheuern Ereignisses in den Blättern. Nichts beweist deutlicher, wie wenig
Gebrauch damals noch die handeltreibende Bevölkerung von der Presse machte.
Ein Brand, der auch nur zum hundertsten Theil so zerstörend wirkte, würde
heutzutage alle Spalten der Zeitungen mit den neuen Adressen der Kaufleute
füllen. — Die übrige Zeit von Karls Regierung ist durch keine charakteristi¬
schen Anzeigen mehr bezeichnet; aber schon einige Jahre vorher finden wir die
Mode der monströsen Lockenperücken eingeführt, die sich bis zur Mitte des
folgenden Jahrhunderts erhielten. Die „Newes" von 1663 enthalten folgende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/132>, abgerufen am 20.06.2024.