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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Dieses Vertheidigungswerk entstand 1829 durch die vereinten Anstrengungen
der Stadtbewohner, wurde aber schlecht benutzt, denn bei der Demoralisation
der türkischen Armee nach den erlittenen Niederlagen zwangen die Einwohner
nach den ersten Kanonenschüssen den Seraskier, die Stadt ohne weitere Ver¬
theidigung den zum Sturme bereit stehenden Russen zu übergeben. Die hohen
Hügel in der Nähe der Stadt erleichtern einem guten europäischen Belagerungs¬
heer die Arbeit sehr, und das Erscheinen russischer Schlachthaufen und Ge¬
schütze auf diesen Höhen -- in Verbindung mit dem Umstände, daß die Nüssen
hinter den Mauern von Erzerum in den hoffnungsreichen Armeniern und den
mißvergnügten Janitscharen Bundesgenossen fanden -- war es, was die Ueber¬
gabe fast ohne Kampf herbeiführte. Heutzutage würde Rußland solche Bun¬
desgenossen nicht finden. Mit dem Verlust von Erzerum würde die Türkei
nicht blos eine gute Operationsbasis gegen Transkaukasien, sondern auch den
Mittelpunkt einer Defensivlinie einbüßen, die im Quellengebiete des Ara.res
und des Euphrat und im Knotenpunkte verschiedener Hauptstraßen unschätz¬
baren Werth hat, abgesehen davon, daß sie damit zugleich hohe Zolleinnahmen
einbüßte und durch eine solche Schlappe, welche auf den verschiedenen Kara¬
wanenstraßen bald weit verbreitet werden würde, einen moralischen Schlag er-'
hielte. Aber die Wichtigkeit des Platzes wird überschätzt, wenn man annimmt,
daß eine russische Besitznahme voll Erzerum daS türkische Reich seiner Ver¬
bindung mit den südlicher gelegenen asiatischen Provinzen berauben würde,
eine Annahme, die selbst in der Zeit unbegründet gewesen wäre, als Me-
hemed Ali von Aegypten sich im Besitz der Tauruspässe befand und der
Großherr, um mit Bagdad frei verkehren zu können, Kurdistan unterwerfen
mußte.

Die Straßen der Stadt sind schlecht und unreinlich, die Häuser meist von
Stein gebaut, mit platten, rasenbedeckten Dächern, worauf Vieh weidet. Die
Bazars, weiche mit allen Waaren des Morgenlandes gefüllt sind, haben nur
zum Theil Bogenhallen und sind meist terrassenförmig angelegt, so daß man
auf steinernen Stufen emporsteigt. Ueber die Straßen, welche dazwischen hin¬
durchgehen, sind Brücken geschlagen. Die zwanzig Moscheen bieten mit ihren
bleibedeckten Kuppeln und den unzähligen Minarets und vergoldeten Halb¬
monden in der Ferne einen prächtigen Anblick dar. Die größte Moschee ist
die in., der Festung liegende Ain-Dschami, ehemals eine griechische. Kirche
, zu Se. Stephan, ein festes Gebäude von großer Ausdehnung, mit Raum
für 8000 Menschen und mit zwei gerieften Minareten, deren rothe Back¬
steine eine blaue Einfassung haben, was dem Bau ein hübsches Aussehen
gibt. Diese Moschee wird übrigens nicht mehr zum Gottesdienst benutzt,
sondern dient, mitten unter bewohnten Gebäuden, ohne Blitzableiter zum
Pulvermagazin. Die übrigen Moscheen liegen sämmtlich in der Stadt. Die


Dieses Vertheidigungswerk entstand 1829 durch die vereinten Anstrengungen
der Stadtbewohner, wurde aber schlecht benutzt, denn bei der Demoralisation
der türkischen Armee nach den erlittenen Niederlagen zwangen die Einwohner
nach den ersten Kanonenschüssen den Seraskier, die Stadt ohne weitere Ver¬
theidigung den zum Sturme bereit stehenden Russen zu übergeben. Die hohen
Hügel in der Nähe der Stadt erleichtern einem guten europäischen Belagerungs¬
heer die Arbeit sehr, und das Erscheinen russischer Schlachthaufen und Ge¬
schütze auf diesen Höhen — in Verbindung mit dem Umstände, daß die Nüssen
hinter den Mauern von Erzerum in den hoffnungsreichen Armeniern und den
mißvergnügten Janitscharen Bundesgenossen fanden — war es, was die Ueber¬
gabe fast ohne Kampf herbeiführte. Heutzutage würde Rußland solche Bun¬
desgenossen nicht finden. Mit dem Verlust von Erzerum würde die Türkei
nicht blos eine gute Operationsbasis gegen Transkaukasien, sondern auch den
Mittelpunkt einer Defensivlinie einbüßen, die im Quellengebiete des Ara.res
und des Euphrat und im Knotenpunkte verschiedener Hauptstraßen unschätz¬
baren Werth hat, abgesehen davon, daß sie damit zugleich hohe Zolleinnahmen
einbüßte und durch eine solche Schlappe, welche auf den verschiedenen Kara¬
wanenstraßen bald weit verbreitet werden würde, einen moralischen Schlag er-'
hielte. Aber die Wichtigkeit des Platzes wird überschätzt, wenn man annimmt,
daß eine russische Besitznahme voll Erzerum daS türkische Reich seiner Ver¬
bindung mit den südlicher gelegenen asiatischen Provinzen berauben würde,
eine Annahme, die selbst in der Zeit unbegründet gewesen wäre, als Me-
hemed Ali von Aegypten sich im Besitz der Tauruspässe befand und der
Großherr, um mit Bagdad frei verkehren zu können, Kurdistan unterwerfen
mußte.

Die Straßen der Stadt sind schlecht und unreinlich, die Häuser meist von
Stein gebaut, mit platten, rasenbedeckten Dächern, worauf Vieh weidet. Die
Bazars, weiche mit allen Waaren des Morgenlandes gefüllt sind, haben nur
zum Theil Bogenhallen und sind meist terrassenförmig angelegt, so daß man
auf steinernen Stufen emporsteigt. Ueber die Straßen, welche dazwischen hin¬
durchgehen, sind Brücken geschlagen. Die zwanzig Moscheen bieten mit ihren
bleibedeckten Kuppeln und den unzähligen Minarets und vergoldeten Halb¬
monden in der Ferne einen prächtigen Anblick dar. Die größte Moschee ist
die in., der Festung liegende Ain-Dschami, ehemals eine griechische. Kirche
, zu Se. Stephan, ein festes Gebäude von großer Ausdehnung, mit Raum
für 8000 Menschen und mit zwei gerieften Minareten, deren rothe Back¬
steine eine blaue Einfassung haben, was dem Bau ein hübsches Aussehen
gibt. Diese Moschee wird übrigens nicht mehr zum Gottesdienst benutzt,
sondern dient, mitten unter bewohnten Gebäuden, ohne Blitzableiter zum
Pulvermagazin. Die übrigen Moscheen liegen sämmtlich in der Stadt. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/90>, abgerufen am 23.07.2024.