Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst wurde über dergleichen Dinge gar nicht wehmüthig und ungeduldig; er
meint auch nicht, daß seiner Künstlerehre durch die Nothwendigkeit solcher Acco-
modativn Eintrag geschehe; sondern er macht sich frisch und munter ans
Werk; er arbeitet aus der Fülle seiner musikalischen Conceptionen rüstig und
unermüdlich; er sucht jedem Werke so viel Schönheit und Kunst zu verleihen,
als es ihm grade jetzt unter diesen bestimmen Verhältnissen möglich ist, und
so kommt er und mit ihm die Kunst vorwärts. Da ist nichts von idealem
Weltschmerz, nichts von der Klage zu spüren, daß dem Genius die Flügel
gebunden sind; und ebendeshalb fliegt er, zunächst zwar nicht in den drillen
Himmel einer entlegenen Zukunft, aber er hebt sich in der Atmosphäre der
Gegenwart und hebt sich dabei denn doch allmälig so hoch, daß eine Zeit,
die damals, als er schuf, eine weitentlegene Zukunft war, immer noch stau¬
nend und dankbar zu ihm aufblickt. Von der Gebundenheit an die überliefer¬
ten Formen, an denen er als Jüngling lernte, hat er sich freilich als Mann
befreit; er wäre eben nicht, waS er ist, wenn er nicht diese Fesseln abgestreift
und das musikalische Kunstwerk in eine höhere Sphäre emporgehoben Härte;
aber seine Entwicklung geht mitten durch diese Formen hindurch uno eben
weil er sie beherrschen gelernt hatte, war er später im Stande, sie zu über¬
winden.

Die Zeit, in welche dieser höhere Aufschwung fällt, ist dem zweiten Theile
vorbehalten. Daß dem Verfasser die Stimmung bleiben werde, die grade eine
solche Arbeit verlangt und die in diesem Bande den Leser so wohlthuend an¬
spricht, dafür bürgt uns das Interesse, das derselbe sür den Gegenstand hat;
und mit der Stimmung, hoffen wir, soll auch die Kraft aushalten. Der
Dank der Wissenschaft, den der Verfasser schon jetzt verdient hat, ist etwas zu
Unpersönliches; er erinnert zu sehr an die Repositorien in öffentlichen und
Privatbibliothcke", ans denen die "Wissenschaft" in Reihe und Glied steht,
als daß wir nicht Bedenken tragen sollten, den Versasser auf ihn allein anzu¬
weisen. Wir hegen die Hoffnung, daß er sich des Danks vieler gebildeten
Menschen zu erfreuen haben werde; was für diese aus dem Buche an Kennt¬
niß, Einsicht und richtigen Urtheil abfällt, möge das Capitel bilden, Vessen
sich der Verfasser als seines wohlerworbenen Eigenthums erfreuen könne.

Das Leben Mozarts möge man aus dem Werke selbst kennen lernen, doch
einige reizende Züge aus seiner frühen Kinderzeit seien hier so mitgetheilt, wie sie
bei Jahr (S. 28 ff.) in der Darstellung eines Zeitgenossen Mozarts stehen: .

"Die meisten Anekdoten aus den Kinderjahren Mozarts, welche sein
wunderbares Genie bezeugen, sin" einem Briefe SchachtnerS entnommen,
welchen ich vollständig mittheile. Andreas Schach euer war Hoftrompeter,
ein Amt, das in damaliger Zeit eine höhere musikalische Ausbildung verlangte
als heutzutage; er war aber nicht allein ein tüchtiger Musiker, sondern zeichnete


selbst wurde über dergleichen Dinge gar nicht wehmüthig und ungeduldig; er
meint auch nicht, daß seiner Künstlerehre durch die Nothwendigkeit solcher Acco-
modativn Eintrag geschehe; sondern er macht sich frisch und munter ans
Werk; er arbeitet aus der Fülle seiner musikalischen Conceptionen rüstig und
unermüdlich; er sucht jedem Werke so viel Schönheit und Kunst zu verleihen,
als es ihm grade jetzt unter diesen bestimmen Verhältnissen möglich ist, und
so kommt er und mit ihm die Kunst vorwärts. Da ist nichts von idealem
Weltschmerz, nichts von der Klage zu spüren, daß dem Genius die Flügel
gebunden sind; und ebendeshalb fliegt er, zunächst zwar nicht in den drillen
Himmel einer entlegenen Zukunft, aber er hebt sich in der Atmosphäre der
Gegenwart und hebt sich dabei denn doch allmälig so hoch, daß eine Zeit,
die damals, als er schuf, eine weitentlegene Zukunft war, immer noch stau¬
nend und dankbar zu ihm aufblickt. Von der Gebundenheit an die überliefer¬
ten Formen, an denen er als Jüngling lernte, hat er sich freilich als Mann
befreit; er wäre eben nicht, waS er ist, wenn er nicht diese Fesseln abgestreift
und das musikalische Kunstwerk in eine höhere Sphäre emporgehoben Härte;
aber seine Entwicklung geht mitten durch diese Formen hindurch uno eben
weil er sie beherrschen gelernt hatte, war er später im Stande, sie zu über¬
winden.

Die Zeit, in welche dieser höhere Aufschwung fällt, ist dem zweiten Theile
vorbehalten. Daß dem Verfasser die Stimmung bleiben werde, die grade eine
solche Arbeit verlangt und die in diesem Bande den Leser so wohlthuend an¬
spricht, dafür bürgt uns das Interesse, das derselbe sür den Gegenstand hat;
und mit der Stimmung, hoffen wir, soll auch die Kraft aushalten. Der
Dank der Wissenschaft, den der Verfasser schon jetzt verdient hat, ist etwas zu
Unpersönliches; er erinnert zu sehr an die Repositorien in öffentlichen und
Privatbibliothcke», ans denen die „Wissenschaft" in Reihe und Glied steht,
als daß wir nicht Bedenken tragen sollten, den Versasser auf ihn allein anzu¬
weisen. Wir hegen die Hoffnung, daß er sich des Danks vieler gebildeten
Menschen zu erfreuen haben werde; was für diese aus dem Buche an Kennt¬
niß, Einsicht und richtigen Urtheil abfällt, möge das Capitel bilden, Vessen
sich der Verfasser als seines wohlerworbenen Eigenthums erfreuen könne.

Das Leben Mozarts möge man aus dem Werke selbst kennen lernen, doch
einige reizende Züge aus seiner frühen Kinderzeit seien hier so mitgetheilt, wie sie
bei Jahr (S. 28 ff.) in der Darstellung eines Zeitgenossen Mozarts stehen: .

„Die meisten Anekdoten aus den Kinderjahren Mozarts, welche sein
wunderbares Genie bezeugen, sin» einem Briefe SchachtnerS entnommen,
welchen ich vollständig mittheile. Andreas Schach euer war Hoftrompeter,
ein Amt, das in damaliger Zeit eine höhere musikalische Ausbildung verlangte
als heutzutage; er war aber nicht allein ein tüchtiger Musiker, sondern zeichnete


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101047"/>
          <p xml:id="ID_147" prev="#ID_146"> selbst wurde über dergleichen Dinge gar nicht wehmüthig und ungeduldig; er<lb/>
meint auch nicht, daß seiner Künstlerehre durch die Nothwendigkeit solcher Acco-<lb/>
modativn Eintrag geschehe; sondern er macht sich frisch und munter ans<lb/>
Werk; er arbeitet aus der Fülle seiner musikalischen Conceptionen rüstig und<lb/>
unermüdlich; er sucht jedem Werke so viel Schönheit und Kunst zu verleihen,<lb/>
als es ihm grade jetzt unter diesen bestimmen Verhältnissen möglich ist, und<lb/>
so kommt er und mit ihm die Kunst vorwärts. Da ist nichts von idealem<lb/>
Weltschmerz, nichts von der Klage zu spüren, daß dem Genius die Flügel<lb/>
gebunden sind; und ebendeshalb fliegt er, zunächst zwar nicht in den drillen<lb/>
Himmel einer entlegenen Zukunft, aber er hebt sich in der Atmosphäre der<lb/>
Gegenwart und hebt sich dabei denn doch allmälig so hoch, daß eine Zeit,<lb/>
die damals, als er schuf, eine weitentlegene Zukunft war, immer noch stau¬<lb/>
nend und dankbar zu ihm aufblickt. Von der Gebundenheit an die überliefer¬<lb/>
ten Formen, an denen er als Jüngling lernte, hat er sich freilich als Mann<lb/>
befreit; er wäre eben nicht, waS er ist, wenn er nicht diese Fesseln abgestreift<lb/>
und das musikalische Kunstwerk in eine höhere Sphäre emporgehoben Härte;<lb/>
aber seine Entwicklung geht mitten durch diese Formen hindurch uno eben<lb/>
weil er sie beherrschen gelernt hatte, war er später im Stande, sie zu über¬<lb/>
winden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_148"> Die Zeit, in welche dieser höhere Aufschwung fällt, ist dem zweiten Theile<lb/>
vorbehalten. Daß dem Verfasser die Stimmung bleiben werde, die grade eine<lb/>
solche Arbeit verlangt und die in diesem Bande den Leser so wohlthuend an¬<lb/>
spricht, dafür bürgt uns das Interesse, das derselbe sür den Gegenstand hat;<lb/>
und mit der Stimmung, hoffen wir, soll auch die Kraft aushalten. Der<lb/>
Dank der Wissenschaft, den der Verfasser schon jetzt verdient hat, ist etwas zu<lb/>
Unpersönliches; er erinnert zu sehr an die Repositorien in öffentlichen und<lb/>
Privatbibliothcke», ans denen die &#x201E;Wissenschaft" in Reihe und Glied steht,<lb/>
als daß wir nicht Bedenken tragen sollten, den Versasser auf ihn allein anzu¬<lb/>
weisen. Wir hegen die Hoffnung, daß er sich des Danks vieler gebildeten<lb/>
Menschen zu erfreuen haben werde; was für diese aus dem Buche an Kennt¬<lb/>
niß, Einsicht und richtigen Urtheil abfällt, möge das Capitel bilden, Vessen<lb/>
sich der Verfasser als seines wohlerworbenen Eigenthums erfreuen könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_149"> Das Leben Mozarts möge man aus dem Werke selbst kennen lernen, doch<lb/>
einige reizende Züge aus seiner frühen Kinderzeit seien hier so mitgetheilt, wie sie<lb/>
bei Jahr (S. 28 ff.) in der Darstellung eines Zeitgenossen Mozarts stehen: .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_150" next="#ID_151"> &#x201E;Die meisten Anekdoten aus den Kinderjahren Mozarts, welche sein<lb/>
wunderbares Genie bezeugen, sin» einem Briefe SchachtnerS entnommen,<lb/>
welchen ich vollständig mittheile. Andreas Schach euer war Hoftrompeter,<lb/>
ein Amt, das in damaliger Zeit eine höhere musikalische Ausbildung verlangte<lb/>
als heutzutage; er war aber nicht allein ein tüchtiger Musiker, sondern zeichnete</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] selbst wurde über dergleichen Dinge gar nicht wehmüthig und ungeduldig; er meint auch nicht, daß seiner Künstlerehre durch die Nothwendigkeit solcher Acco- modativn Eintrag geschehe; sondern er macht sich frisch und munter ans Werk; er arbeitet aus der Fülle seiner musikalischen Conceptionen rüstig und unermüdlich; er sucht jedem Werke so viel Schönheit und Kunst zu verleihen, als es ihm grade jetzt unter diesen bestimmen Verhältnissen möglich ist, und so kommt er und mit ihm die Kunst vorwärts. Da ist nichts von idealem Weltschmerz, nichts von der Klage zu spüren, daß dem Genius die Flügel gebunden sind; und ebendeshalb fliegt er, zunächst zwar nicht in den drillen Himmel einer entlegenen Zukunft, aber er hebt sich in der Atmosphäre der Gegenwart und hebt sich dabei denn doch allmälig so hoch, daß eine Zeit, die damals, als er schuf, eine weitentlegene Zukunft war, immer noch stau¬ nend und dankbar zu ihm aufblickt. Von der Gebundenheit an die überliefer¬ ten Formen, an denen er als Jüngling lernte, hat er sich freilich als Mann befreit; er wäre eben nicht, waS er ist, wenn er nicht diese Fesseln abgestreift und das musikalische Kunstwerk in eine höhere Sphäre emporgehoben Härte; aber seine Entwicklung geht mitten durch diese Formen hindurch uno eben weil er sie beherrschen gelernt hatte, war er später im Stande, sie zu über¬ winden. Die Zeit, in welche dieser höhere Aufschwung fällt, ist dem zweiten Theile vorbehalten. Daß dem Verfasser die Stimmung bleiben werde, die grade eine solche Arbeit verlangt und die in diesem Bande den Leser so wohlthuend an¬ spricht, dafür bürgt uns das Interesse, das derselbe sür den Gegenstand hat; und mit der Stimmung, hoffen wir, soll auch die Kraft aushalten. Der Dank der Wissenschaft, den der Verfasser schon jetzt verdient hat, ist etwas zu Unpersönliches; er erinnert zu sehr an die Repositorien in öffentlichen und Privatbibliothcke», ans denen die „Wissenschaft" in Reihe und Glied steht, als daß wir nicht Bedenken tragen sollten, den Versasser auf ihn allein anzu¬ weisen. Wir hegen die Hoffnung, daß er sich des Danks vieler gebildeten Menschen zu erfreuen haben werde; was für diese aus dem Buche an Kennt¬ niß, Einsicht und richtigen Urtheil abfällt, möge das Capitel bilden, Vessen sich der Verfasser als seines wohlerworbenen Eigenthums erfreuen könne. Das Leben Mozarts möge man aus dem Werke selbst kennen lernen, doch einige reizende Züge aus seiner frühen Kinderzeit seien hier so mitgetheilt, wie sie bei Jahr (S. 28 ff.) in der Darstellung eines Zeitgenossen Mozarts stehen: . „Die meisten Anekdoten aus den Kinderjahren Mozarts, welche sein wunderbares Genie bezeugen, sin» einem Briefe SchachtnerS entnommen, welchen ich vollständig mittheile. Andreas Schach euer war Hoftrompeter, ein Amt, das in damaliger Zeit eine höhere musikalische Ausbildung verlangte als heutzutage; er war aber nicht allein ein tüchtiger Musiker, sondern zeichnete

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/54>, abgerufen am 23.07.2024.