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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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wo steht davon ein Wort in der Bibel? wo steht davon ein Wort im Kate¬
chismus? Diese Begriffsbestimmungen, durch welche Stahl den Rationalismus
widerlegt, hat er nicht aus der Bibel, nicht aus dem Katechismus, sondern
aus seiner eignen Religionsphilosophie genommen, und so geistvoll diese sein
mag, sie bleibt doch immer Philosophie d. h. Menschenwerk. Nebenbei ver¬
wickelt er sich dabei in Begriffe, die doch einer weitern Erklärung bedürfen,
wenn man eben nicht bloße Worte hersagen will, z. B. den Begriff Person..
Die bekannte Bibelstelle, auf welche die Trinitätslehre sich stützt, kennt diesen
Ausdruck nicht; wenn ihn die moderne Bildung anwendet, so muß sie ihn sich
auch erklären, und um das zu thun, wird sie nothwendig Philosophiren müssen.
"Nach christlichem Glauben sind die Wunder ein wesentlicher Bestandtheil des
Christenthums, denn sie sind die Zeichen, daß Gott in Person als Herr der
Natur sich kundgibt." Ist diese Motivirung der Wunder etwa aus der Bibel
genommen? "Nach christlichem Glauben ist Christus Gottes Sohn, weil er
empfangen ist vom heiligen Geist und geboren von der Jungfrau Maria....
Nach christlichem Glauben ist die Menschwerdung Gottes eine persönliche. Der
persönliche überweltliche Gott ist Mensch geworden in Christo." Das Erste ist
allerdings biblisch, das Zweite aber nicht, denn über die Begriffsbestimmung,
inwiefern der Vater, der zeugt, und der Sohn, der gezeugt wird, ein und der¬
selbe sind, macht sich die Erzählung der Bibel nichts zu thun. Sobald man
aber mit Begriffsbestimmungen anfängt, wird man dieselben auch erklären
müssen, denn sonst hat der Glaube zur Bildung keine Beziehung; sie verhalten
sich äußerlich zueinander, und man ist bald ein Gebildeter, bald ein Gläubiger:
eine Gemüthsverfassung, die kaum befriedigen kann, und die nur aus dem zu
erklären ist, was Stahl vorher sagt: -- die Zeit hat den Glauben verloren und
fühlt sich in ihrem Unglauben unselig; sie ist zu schwach, auf sich selbst zu
stehen, und sehnt sich nach einer Autorität. Nur irrt Stahl, wenn er an¬
nimmt, die Sehnsucht sei im Stande, die Autorität wirklich hervorzubringen.

Der rothe Faden, der sich durch alle diese Deductionen zieht, ist einmal
das Bestreben, Gott als eine Persönlichkeit darzustellen, die der menschlichen
analog sei, und ihn sodann der Welt entgegenzusetzen. Das Bestreben, Gott
mit der Welt zu versöhnen, bezeichnet er als vorzugsweise unchristlich. Auch
hier dürfte durch Umwandlung der Vorstellungen in Begriffe in das Christen¬
thum etwas Fremdartiges hineingetragen sein, denn was die Außerweltlichkeit
Gottes betrifft, so lehrt diese auch der Deismus; bei der Gegenweltlichkeit
des christlichen Gottes dagegen fragt es sich, ob diese als absolut oder als
zeitlich zu verstehen sei. Als das Christenthum in die Erscheinung trat, war
seine Lehre allerdings der Gegensatz zu der Lehre der Welt d. h. zum Heiden-
thum. Ob dieser Gegensatz aber fortdauern soll, das ist eine Frage, die nicht
unmittelbar, sondern durch Raisonnement entschieden werden muß. Wenn also


wo steht davon ein Wort in der Bibel? wo steht davon ein Wort im Kate¬
chismus? Diese Begriffsbestimmungen, durch welche Stahl den Rationalismus
widerlegt, hat er nicht aus der Bibel, nicht aus dem Katechismus, sondern
aus seiner eignen Religionsphilosophie genommen, und so geistvoll diese sein
mag, sie bleibt doch immer Philosophie d. h. Menschenwerk. Nebenbei ver¬
wickelt er sich dabei in Begriffe, die doch einer weitern Erklärung bedürfen,
wenn man eben nicht bloße Worte hersagen will, z. B. den Begriff Person..
Die bekannte Bibelstelle, auf welche die Trinitätslehre sich stützt, kennt diesen
Ausdruck nicht; wenn ihn die moderne Bildung anwendet, so muß sie ihn sich
auch erklären, und um das zu thun, wird sie nothwendig Philosophiren müssen.
„Nach christlichem Glauben sind die Wunder ein wesentlicher Bestandtheil des
Christenthums, denn sie sind die Zeichen, daß Gott in Person als Herr der
Natur sich kundgibt." Ist diese Motivirung der Wunder etwa aus der Bibel
genommen? „Nach christlichem Glauben ist Christus Gottes Sohn, weil er
empfangen ist vom heiligen Geist und geboren von der Jungfrau Maria....
Nach christlichem Glauben ist die Menschwerdung Gottes eine persönliche. Der
persönliche überweltliche Gott ist Mensch geworden in Christo." Das Erste ist
allerdings biblisch, das Zweite aber nicht, denn über die Begriffsbestimmung,
inwiefern der Vater, der zeugt, und der Sohn, der gezeugt wird, ein und der¬
selbe sind, macht sich die Erzählung der Bibel nichts zu thun. Sobald man
aber mit Begriffsbestimmungen anfängt, wird man dieselben auch erklären
müssen, denn sonst hat der Glaube zur Bildung keine Beziehung; sie verhalten
sich äußerlich zueinander, und man ist bald ein Gebildeter, bald ein Gläubiger:
eine Gemüthsverfassung, die kaum befriedigen kann, und die nur aus dem zu
erklären ist, was Stahl vorher sagt: — die Zeit hat den Glauben verloren und
fühlt sich in ihrem Unglauben unselig; sie ist zu schwach, auf sich selbst zu
stehen, und sehnt sich nach einer Autorität. Nur irrt Stahl, wenn er an¬
nimmt, die Sehnsucht sei im Stande, die Autorität wirklich hervorzubringen.

Der rothe Faden, der sich durch alle diese Deductionen zieht, ist einmal
das Bestreben, Gott als eine Persönlichkeit darzustellen, die der menschlichen
analog sei, und ihn sodann der Welt entgegenzusetzen. Das Bestreben, Gott
mit der Welt zu versöhnen, bezeichnet er als vorzugsweise unchristlich. Auch
hier dürfte durch Umwandlung der Vorstellungen in Begriffe in das Christen¬
thum etwas Fremdartiges hineingetragen sein, denn was die Außerweltlichkeit
Gottes betrifft, so lehrt diese auch der Deismus; bei der Gegenweltlichkeit
des christlichen Gottes dagegen fragt es sich, ob diese als absolut oder als
zeitlich zu verstehen sei. Als das Christenthum in die Erscheinung trat, war
seine Lehre allerdings der Gegensatz zu der Lehre der Welt d. h. zum Heiden-
thum. Ob dieser Gegensatz aber fortdauern soll, das ist eine Frage, die nicht
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[0514] wo steht davon ein Wort in der Bibel? wo steht davon ein Wort im Kate¬ chismus? Diese Begriffsbestimmungen, durch welche Stahl den Rationalismus widerlegt, hat er nicht aus der Bibel, nicht aus dem Katechismus, sondern aus seiner eignen Religionsphilosophie genommen, und so geistvoll diese sein mag, sie bleibt doch immer Philosophie d. h. Menschenwerk. Nebenbei ver¬ wickelt er sich dabei in Begriffe, die doch einer weitern Erklärung bedürfen, wenn man eben nicht bloße Worte hersagen will, z. B. den Begriff Person.. Die bekannte Bibelstelle, auf welche die Trinitätslehre sich stützt, kennt diesen Ausdruck nicht; wenn ihn die moderne Bildung anwendet, so muß sie ihn sich auch erklären, und um das zu thun, wird sie nothwendig Philosophiren müssen. „Nach christlichem Glauben sind die Wunder ein wesentlicher Bestandtheil des Christenthums, denn sie sind die Zeichen, daß Gott in Person als Herr der Natur sich kundgibt." Ist diese Motivirung der Wunder etwa aus der Bibel genommen? „Nach christlichem Glauben ist Christus Gottes Sohn, weil er empfangen ist vom heiligen Geist und geboren von der Jungfrau Maria.... Nach christlichem Glauben ist die Menschwerdung Gottes eine persönliche. Der persönliche überweltliche Gott ist Mensch geworden in Christo." Das Erste ist allerdings biblisch, das Zweite aber nicht, denn über die Begriffsbestimmung, inwiefern der Vater, der zeugt, und der Sohn, der gezeugt wird, ein und der¬ selbe sind, macht sich die Erzählung der Bibel nichts zu thun. Sobald man aber mit Begriffsbestimmungen anfängt, wird man dieselben auch erklären müssen, denn sonst hat der Glaube zur Bildung keine Beziehung; sie verhalten sich äußerlich zueinander, und man ist bald ein Gebildeter, bald ein Gläubiger: eine Gemüthsverfassung, die kaum befriedigen kann, und die nur aus dem zu erklären ist, was Stahl vorher sagt: — die Zeit hat den Glauben verloren und fühlt sich in ihrem Unglauben unselig; sie ist zu schwach, auf sich selbst zu stehen, und sehnt sich nach einer Autorität. Nur irrt Stahl, wenn er an¬ nimmt, die Sehnsucht sei im Stande, die Autorität wirklich hervorzubringen. Der rothe Faden, der sich durch alle diese Deductionen zieht, ist einmal das Bestreben, Gott als eine Persönlichkeit darzustellen, die der menschlichen analog sei, und ihn sodann der Welt entgegenzusetzen. Das Bestreben, Gott mit der Welt zu versöhnen, bezeichnet er als vorzugsweise unchristlich. Auch hier dürfte durch Umwandlung der Vorstellungen in Begriffe in das Christen¬ thum etwas Fremdartiges hineingetragen sein, denn was die Außerweltlichkeit Gottes betrifft, so lehrt diese auch der Deismus; bei der Gegenweltlichkeit des christlichen Gottes dagegen fragt es sich, ob diese als absolut oder als zeitlich zu verstehen sei. Als das Christenthum in die Erscheinung trat, war seine Lehre allerdings der Gegensatz zu der Lehre der Welt d. h. zum Heiden- thum. Ob dieser Gegensatz aber fortdauern soll, das ist eine Frage, die nicht unmittelbar, sondern durch Raisonnement entschieden werden muß. Wenn also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/514>, abgerufen am 23.07.2024.