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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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men, daß die römische Geistlichkeit von freien Stücken etwas herausgibt, was
man ihr eben erst zugestanden hat, daS wäre doch gegen alle z Analogie
der Geschichte. Freilich wird die Staatsregierung noch öfters in die Lage
kommen, den Inhalt des Concordats nachträglich einer sorgfältigen Prüfung
zu unterwerfen, aber es wird ihr nicht leicht werden, dieser Prüfung irgend
eine reale Folge zu geben.




Stahl wider Bunsen. -

Bei dem ungeheuern Aufsehen, welches die "Zeichen der Zeit" im ganzen
deutschen Publicum gemacht haben, durste man voraussetzen, d.aß die Vertreter
der Kirche nicht schweigen würden. Stahl hatte um so dringendere Veranlas¬
sung, sein Votum abzugeben, da er persönlich angegriffen war. Dieser Angriff
scheint ihn doch sehr gereizt zu haben, denn es ist in seiner Schrift ein bittrer
und verstimmter Ton, den er sonst zu vermeiden weiß. Freilich hat dieser Ton
noch einen andern Grund, auf den wir später eingehen.

Stahl hat ein doppeltes Publicum vor Augen. Das erste deutet er
S. 116 an, wo er von den Rücksichten spricht, die Bunsen auf seine künftige
Stellung in Preußen nehme. Mit dieser Stellung meint er doch wol die
Stellung eines Cultusministers, zu welchem Posten man Bunsen in einem
Theil des Publicums zu designiren pflegt. Stahl sucht nun die Männer, die
in dieser Beziehung maßgebend sein können, auf das Unchristliche und Revo¬
lutionäre bei Bunsen aufmerksam zu machen und thut das sehr geschickt, wobei
er nach seiner Art die politischen und religiösen Ansichten fortwährend durch¬
einanderwirft, als ob das Eine nothwendig mit dem Andern zusammenhinge.
Schon in der Vorrede. "Der Reiz des Buches liegt hauptsächlich darin, daß
von einem Manne, der bis jetzt im Rufe deS Christenthums stand und in einer
Darstellung, die jenem Ruf zu entsprechen scheint, eben das vertreten wird,
wofür sonst nur die Vorkämpfer des Nationalismus und der Demokratie ein¬
stehen. Truge es auf seinem Titel einen Namen wie Uhlich, Bruno Bauer,
David Strauß, wie jetzt den Namen Bunsen, so würde es trotz der hinreißen¬
den Sprache der Zerstörungsbegeisterung kaum viele Leser finden." Wäre
Stahl nicht eben in einer gereizten Stimmung gewesen, so hätte er wol
zwischen den Begriffen Nationalismus und Demokratie einen schärfern Unter¬
schied gemacht und es vermieden, die theologischen Controversen durch politische
Verdächtigungen zu würzen. Indeß diese Seite der Betrachtung lassen wir
dahingestellt sein, weil ste uns weniger angeht.

Das zweite Publicum, welches Stahl im Auge hat, sind wir. "Gewiß


men, daß die römische Geistlichkeit von freien Stücken etwas herausgibt, was
man ihr eben erst zugestanden hat, daS wäre doch gegen alle z Analogie
der Geschichte. Freilich wird die Staatsregierung noch öfters in die Lage
kommen, den Inhalt des Concordats nachträglich einer sorgfältigen Prüfung
zu unterwerfen, aber es wird ihr nicht leicht werden, dieser Prüfung irgend
eine reale Folge zu geben.




Stahl wider Bunsen. -

Bei dem ungeheuern Aufsehen, welches die „Zeichen der Zeit" im ganzen
deutschen Publicum gemacht haben, durste man voraussetzen, d.aß die Vertreter
der Kirche nicht schweigen würden. Stahl hatte um so dringendere Veranlas¬
sung, sein Votum abzugeben, da er persönlich angegriffen war. Dieser Angriff
scheint ihn doch sehr gereizt zu haben, denn es ist in seiner Schrift ein bittrer
und verstimmter Ton, den er sonst zu vermeiden weiß. Freilich hat dieser Ton
noch einen andern Grund, auf den wir später eingehen.

Stahl hat ein doppeltes Publicum vor Augen. Das erste deutet er
S. 116 an, wo er von den Rücksichten spricht, die Bunsen auf seine künftige
Stellung in Preußen nehme. Mit dieser Stellung meint er doch wol die
Stellung eines Cultusministers, zu welchem Posten man Bunsen in einem
Theil des Publicums zu designiren pflegt. Stahl sucht nun die Männer, die
in dieser Beziehung maßgebend sein können, auf das Unchristliche und Revo¬
lutionäre bei Bunsen aufmerksam zu machen und thut das sehr geschickt, wobei
er nach seiner Art die politischen und religiösen Ansichten fortwährend durch¬
einanderwirft, als ob das Eine nothwendig mit dem Andern zusammenhinge.
Schon in der Vorrede. „Der Reiz des Buches liegt hauptsächlich darin, daß
von einem Manne, der bis jetzt im Rufe deS Christenthums stand und in einer
Darstellung, die jenem Ruf zu entsprechen scheint, eben das vertreten wird,
wofür sonst nur die Vorkämpfer des Nationalismus und der Demokratie ein¬
stehen. Truge es auf seinem Titel einen Namen wie Uhlich, Bruno Bauer,
David Strauß, wie jetzt den Namen Bunsen, so würde es trotz der hinreißen¬
den Sprache der Zerstörungsbegeisterung kaum viele Leser finden." Wäre
Stahl nicht eben in einer gereizten Stimmung gewesen, so hätte er wol
zwischen den Begriffen Nationalismus und Demokratie einen schärfern Unter¬
schied gemacht und es vermieden, die theologischen Controversen durch politische
Verdächtigungen zu würzen. Indeß diese Seite der Betrachtung lassen wir
dahingestellt sein, weil ste uns weniger angeht.

Das zweite Publicum, welches Stahl im Auge hat, sind wir. „Gewiß


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[0510] men, daß die römische Geistlichkeit von freien Stücken etwas herausgibt, was man ihr eben erst zugestanden hat, daS wäre doch gegen alle z Analogie der Geschichte. Freilich wird die Staatsregierung noch öfters in die Lage kommen, den Inhalt des Concordats nachträglich einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen, aber es wird ihr nicht leicht werden, dieser Prüfung irgend eine reale Folge zu geben. Stahl wider Bunsen. - Bei dem ungeheuern Aufsehen, welches die „Zeichen der Zeit" im ganzen deutschen Publicum gemacht haben, durste man voraussetzen, d.aß die Vertreter der Kirche nicht schweigen würden. Stahl hatte um so dringendere Veranlas¬ sung, sein Votum abzugeben, da er persönlich angegriffen war. Dieser Angriff scheint ihn doch sehr gereizt zu haben, denn es ist in seiner Schrift ein bittrer und verstimmter Ton, den er sonst zu vermeiden weiß. Freilich hat dieser Ton noch einen andern Grund, auf den wir später eingehen. Stahl hat ein doppeltes Publicum vor Augen. Das erste deutet er S. 116 an, wo er von den Rücksichten spricht, die Bunsen auf seine künftige Stellung in Preußen nehme. Mit dieser Stellung meint er doch wol die Stellung eines Cultusministers, zu welchem Posten man Bunsen in einem Theil des Publicums zu designiren pflegt. Stahl sucht nun die Männer, die in dieser Beziehung maßgebend sein können, auf das Unchristliche und Revo¬ lutionäre bei Bunsen aufmerksam zu machen und thut das sehr geschickt, wobei er nach seiner Art die politischen und religiösen Ansichten fortwährend durch¬ einanderwirft, als ob das Eine nothwendig mit dem Andern zusammenhinge. Schon in der Vorrede. „Der Reiz des Buches liegt hauptsächlich darin, daß von einem Manne, der bis jetzt im Rufe deS Christenthums stand und in einer Darstellung, die jenem Ruf zu entsprechen scheint, eben das vertreten wird, wofür sonst nur die Vorkämpfer des Nationalismus und der Demokratie ein¬ stehen. Truge es auf seinem Titel einen Namen wie Uhlich, Bruno Bauer, David Strauß, wie jetzt den Namen Bunsen, so würde es trotz der hinreißen¬ den Sprache der Zerstörungsbegeisterung kaum viele Leser finden." Wäre Stahl nicht eben in einer gereizten Stimmung gewesen, so hätte er wol zwischen den Begriffen Nationalismus und Demokratie einen schärfern Unter¬ schied gemacht und es vermieden, die theologischen Controversen durch politische Verdächtigungen zu würzen. Indeß diese Seite der Betrachtung lassen wir dahingestellt sein, weil ste uns weniger angeht. Das zweite Publicum, welches Stahl im Auge hat, sind wir. „Gewiß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/510>, abgerufen am 23.07.2024.