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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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mit größter Sorgfalt als das für Oestreichs absolute Monarchie allein geeig¬
nete aufrecht erhalten. Erst im Jahr 1848 fand sich auch der Episcopat ver¬
anlaßt, da nun alle Wünsche laut wurden, für die Freiheit der Kirche ein¬
zutreten. Der hohe Klerus wünschte eine gänzliche Vernichtung der schon
seit Maria Theresia und theilweise früher geltenden Gesetzgebung in Kirchen¬
sachen und zwar einerseits Aufhebung des Placets, freieste Disciplinargerichts-
barkeit des Episcvpats, selbstständige und freie Verwaltung des Kirchenvermö¬
gens, freies Associationsrecht auch zum Behufe der Wiederherstellung aller
Mönchsorden und Brüderschaften, andererseits größere Macht des Episcvpats
und der Pfarrer über.das Volk und Beschränkung der Preßfreiheit zum Schutze
der Kirche.

Alle diese Wünsche des Klerus sind zuerst stückweise, dann durch das Con-
cordat vollständig und im ausgedehntesten Maße bewilligt worden. Wie diese
Selbstbeschränkung des Staats, die gegen alle Analogien streitet, zu erklären
sei, bleibt vorläufig für uns ein Räthsel. Wir wollen nur auf einen bestimm¬
ten Punkt aufmerksam machen.

Die Bestrebungen des Ultramontanismus sind nie vereinzelt. Die Kirche
geht planmäßiger zu Werke, als irgend eine andre Macht und ihr Auge umfaßt
die Beziehungen der gesammten Welt. In Süddeutschland spielen die Conflicte
schon eine geraume Zeit und sind fast durchweg zum Nachtheil der Staatsgewalt
entschieden worden. In Preußen hat der Klerus das konstitutionelle System
benutzt, eine ausschließlich katholische Partei zu begründen, die mit ihren
Forderungen immer lauter und dringender hervortritt und sich nicht abgeneigt
zeigt, jeder politischen Partei Concessionen zu machen, wenn diese sich ver¬
pflichtet, ihre Forderungen zu unterstützen. -- Nun wird Oestreich voraussicht¬
lich durch seinen engen Bund mit der Kirche in Italien nicht viel gewinnen,
da hier der französische Kaiser eine Macht ist. die man mehr fürchten, der man
also auch mehr zugestehen muß. Es liegt also nahe, daß dieser Einfluß auf
Deutschland gewandt wird und daß allmälig alle Katholiken Deutschlands sich
daran gewöhnen, Oestreich als ihre natürliche Schutzmacht zu betrachten. Der
preußische Liberalismus wird also in seinen Beziehungen zu der katholischen
Fraction, die doch nur vorübergehend sein können, sehr behutsam sein müssen,
um nicht zur Abwehr eines kleinern Uebels ein größeres heraufzubeschwören.

Nach dem neuerdings publicirten Erlaß des Cultusministeriums sieht es
nun freilich so aus, als ob der östreichische Staat mit der einen Hand wieder
zurücknehmen wollte, was er mit der andern gegeben, denn fast Paragraph für
Paragraph wird in den Zusätzen <Zs octo das Gegentheil von dem gesagt,
waS im Tert <Zs Mre behauptet ist. Aber man vergesse nicht, daß dieser Erlaß
nur'ein provisorischer ist, daß es von der freiwilligen Einstimmung der dem¬
nächst zu berufenden Bischöfe abhängen wird, ob er gelten soll; und cmzuneh-


mit größter Sorgfalt als das für Oestreichs absolute Monarchie allein geeig¬
nete aufrecht erhalten. Erst im Jahr 1848 fand sich auch der Episcopat ver¬
anlaßt, da nun alle Wünsche laut wurden, für die Freiheit der Kirche ein¬
zutreten. Der hohe Klerus wünschte eine gänzliche Vernichtung der schon
seit Maria Theresia und theilweise früher geltenden Gesetzgebung in Kirchen¬
sachen und zwar einerseits Aufhebung des Placets, freieste Disciplinargerichts-
barkeit des Episcvpats, selbstständige und freie Verwaltung des Kirchenvermö¬
gens, freies Associationsrecht auch zum Behufe der Wiederherstellung aller
Mönchsorden und Brüderschaften, andererseits größere Macht des Episcvpats
und der Pfarrer über.das Volk und Beschränkung der Preßfreiheit zum Schutze
der Kirche.

Alle diese Wünsche des Klerus sind zuerst stückweise, dann durch das Con-
cordat vollständig und im ausgedehntesten Maße bewilligt worden. Wie diese
Selbstbeschränkung des Staats, die gegen alle Analogien streitet, zu erklären
sei, bleibt vorläufig für uns ein Räthsel. Wir wollen nur auf einen bestimm¬
ten Punkt aufmerksam machen.

Die Bestrebungen des Ultramontanismus sind nie vereinzelt. Die Kirche
geht planmäßiger zu Werke, als irgend eine andre Macht und ihr Auge umfaßt
die Beziehungen der gesammten Welt. In Süddeutschland spielen die Conflicte
schon eine geraume Zeit und sind fast durchweg zum Nachtheil der Staatsgewalt
entschieden worden. In Preußen hat der Klerus das konstitutionelle System
benutzt, eine ausschließlich katholische Partei zu begründen, die mit ihren
Forderungen immer lauter und dringender hervortritt und sich nicht abgeneigt
zeigt, jeder politischen Partei Concessionen zu machen, wenn diese sich ver¬
pflichtet, ihre Forderungen zu unterstützen. — Nun wird Oestreich voraussicht¬
lich durch seinen engen Bund mit der Kirche in Italien nicht viel gewinnen,
da hier der französische Kaiser eine Macht ist. die man mehr fürchten, der man
also auch mehr zugestehen muß. Es liegt also nahe, daß dieser Einfluß auf
Deutschland gewandt wird und daß allmälig alle Katholiken Deutschlands sich
daran gewöhnen, Oestreich als ihre natürliche Schutzmacht zu betrachten. Der
preußische Liberalismus wird also in seinen Beziehungen zu der katholischen
Fraction, die doch nur vorübergehend sein können, sehr behutsam sein müssen,
um nicht zur Abwehr eines kleinern Uebels ein größeres heraufzubeschwören.

Nach dem neuerdings publicirten Erlaß des Cultusministeriums sieht es
nun freilich so aus, als ob der östreichische Staat mit der einen Hand wieder
zurücknehmen wollte, was er mit der andern gegeben, denn fast Paragraph für
Paragraph wird in den Zusätzen <Zs octo das Gegentheil von dem gesagt,
waS im Tert <Zs Mre behauptet ist. Aber man vergesse nicht, daß dieser Erlaß
nur'ein provisorischer ist, daß es von der freiwilligen Einstimmung der dem¬
nächst zu berufenden Bischöfe abhängen wird, ob er gelten soll; und cmzuneh-


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[0509] mit größter Sorgfalt als das für Oestreichs absolute Monarchie allein geeig¬ nete aufrecht erhalten. Erst im Jahr 1848 fand sich auch der Episcopat ver¬ anlaßt, da nun alle Wünsche laut wurden, für die Freiheit der Kirche ein¬ zutreten. Der hohe Klerus wünschte eine gänzliche Vernichtung der schon seit Maria Theresia und theilweise früher geltenden Gesetzgebung in Kirchen¬ sachen und zwar einerseits Aufhebung des Placets, freieste Disciplinargerichts- barkeit des Episcvpats, selbstständige und freie Verwaltung des Kirchenvermö¬ gens, freies Associationsrecht auch zum Behufe der Wiederherstellung aller Mönchsorden und Brüderschaften, andererseits größere Macht des Episcvpats und der Pfarrer über.das Volk und Beschränkung der Preßfreiheit zum Schutze der Kirche. Alle diese Wünsche des Klerus sind zuerst stückweise, dann durch das Con- cordat vollständig und im ausgedehntesten Maße bewilligt worden. Wie diese Selbstbeschränkung des Staats, die gegen alle Analogien streitet, zu erklären sei, bleibt vorläufig für uns ein Räthsel. Wir wollen nur auf einen bestimm¬ ten Punkt aufmerksam machen. Die Bestrebungen des Ultramontanismus sind nie vereinzelt. Die Kirche geht planmäßiger zu Werke, als irgend eine andre Macht und ihr Auge umfaßt die Beziehungen der gesammten Welt. In Süddeutschland spielen die Conflicte schon eine geraume Zeit und sind fast durchweg zum Nachtheil der Staatsgewalt entschieden worden. In Preußen hat der Klerus das konstitutionelle System benutzt, eine ausschließlich katholische Partei zu begründen, die mit ihren Forderungen immer lauter und dringender hervortritt und sich nicht abgeneigt zeigt, jeder politischen Partei Concessionen zu machen, wenn diese sich ver¬ pflichtet, ihre Forderungen zu unterstützen. — Nun wird Oestreich voraussicht¬ lich durch seinen engen Bund mit der Kirche in Italien nicht viel gewinnen, da hier der französische Kaiser eine Macht ist. die man mehr fürchten, der man also auch mehr zugestehen muß. Es liegt also nahe, daß dieser Einfluß auf Deutschland gewandt wird und daß allmälig alle Katholiken Deutschlands sich daran gewöhnen, Oestreich als ihre natürliche Schutzmacht zu betrachten. Der preußische Liberalismus wird also in seinen Beziehungen zu der katholischen Fraction, die doch nur vorübergehend sein können, sehr behutsam sein müssen, um nicht zur Abwehr eines kleinern Uebels ein größeres heraufzubeschwören. Nach dem neuerdings publicirten Erlaß des Cultusministeriums sieht es nun freilich so aus, als ob der östreichische Staat mit der einen Hand wieder zurücknehmen wollte, was er mit der andern gegeben, denn fast Paragraph für Paragraph wird in den Zusätzen <Zs octo das Gegentheil von dem gesagt, waS im Tert <Zs Mre behauptet ist. Aber man vergesse nicht, daß dieser Erlaß nur'ein provisorischer ist, daß es von der freiwilligen Einstimmung der dem¬ nächst zu berufenden Bischöfe abhängen wird, ob er gelten soll; und cmzuneh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/509>, abgerufen am 25.08.2024.