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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Volke das allgemeine Stimmrecht! Fehlt ihm das Selbstgefühl und die Bil¬
dung, welche zu glücklicher allseitiger Verständigung erforderlich sind, so wird
es eben das allgemeine Stimmrecht wieder verlieren, trotz aller Unveräußer¬
lichkeit seiner Souveränetät; es wird sie verlieren an den ersten Besten." --
Wie in aller Welt kommt also die Demokratie dazu, für Deutschland das
allgemeine Stimmrecht zu verlangen! Freilich sagt er S. 34: "So lcknge die
rohe Gewalt nun einmal aus der Menschheit nicht ganz hinaufzubringen ist,
scheint eS mir zweckmäßiger, ein für alle Mal das natürliche Uebergewicht
der Gewalt der Mehrheit anzuerkennen, als dem steten Spiele der künst¬
lichen Gewalt energischer Minderheiten zu verfallen. Sicherlich, auch der
Druck einer Mehrheit aus eine Minderheit ist nichts Erbauliches, besonders
wenn diese letztere, wie das so oft der Fall ist, den Fortschritt, die wahren
Interessen der Zukunft vertritt. Aber das Wesen der Demokratien besteht ja
grade darin, daß diesen Minderheiten alle friedlichen Mittel unverwehrt sind." --
Aber wie stimmt das zum Vorhergehenden? Wenn es wahrscheinlich ist, daß
die Majorität eines ungebildeten Volks sich so-schnell als möglich unter den
Schutz einer Autorität flüchten wird, wozu soll man ihr erst das Heft in die
Hände geben? Geht die Demokratie aufrichtig von dem Rechte des Stärkern
aus, so wird ihr. gegenüber die Reaction von dem Rechte der bewaffneten
Minorität Gebrauch machen können. Die Leute zu zählen, um auszumitteln,
wer der Stärkere sei, ist auf keine Weise natürlicher, als die Säbel und Bajonette
abzuwägen. -- Dann sieht es auch mitunter wieder so aus, als ob die Herr¬
schaft der Majorität ein Dogma wäre. "Die Demokratie erkennt, gleich der
absoluten Monarchie, nur einen Willen an. Hier ists der Wille des Königs,
dort ists der Wille des Volks, welcher allein entscheidet, des gesammten Volkes
nach den Beschlüssen der Mehrheit. Wo es aber nur einen Willen gibt, soll
es auch nur. eine vollziehende Gewalt geben." (Bd. 2, S. -I0-I). Das geht
doch wirklich nicht über das erste ABC der politischen Bildung hinaus. Nach
dieser 'Theorie wäre Napoleon III. der reinste Demokrat, denn wenn er auch
die öffentliche Meinung ein wenig redigirt hat, so hat er doch die acht Millio¬
nen Stimmen wirklich in seiner Tasche. Bei dieser Verwirrung der politischen
Begriffe macht sich der vornehme Ton gegen die Bourgeoisie äußerst lächerlich.
Man höre Bd. 1, S. -183: "Das lasse sie sich ein für alle Mal gesagt sein:
Zu ihrer konstitutionellen Vorbehaltsehe kommts in Deutschland nun und
nimmermehr. Dieses halbe Verhältniß ist in England und Frankreich doch
nur durch ganzes Handeln der Bourgeoisie im entscheidenden Moment möglich
geworden. Die deutsche Bourgeoisie hat diesen Moment unwiederbringlich ver¬
säumt. Ihr bleibt nur noch die Wahl zwischen dem ScheinconstitutionaiismuS
mit monarchischen Uebergewicht, fast ohne eigne Bedeutung, -- und der De¬
mokratie mit allgemeiner Freiheit und derjenigen Bedeutung, welche auch inner-


Volke das allgemeine Stimmrecht! Fehlt ihm das Selbstgefühl und die Bil¬
dung, welche zu glücklicher allseitiger Verständigung erforderlich sind, so wird
es eben das allgemeine Stimmrecht wieder verlieren, trotz aller Unveräußer¬
lichkeit seiner Souveränetät; es wird sie verlieren an den ersten Besten." —
Wie in aller Welt kommt also die Demokratie dazu, für Deutschland das
allgemeine Stimmrecht zu verlangen! Freilich sagt er S. 34: „So lcknge die
rohe Gewalt nun einmal aus der Menschheit nicht ganz hinaufzubringen ist,
scheint eS mir zweckmäßiger, ein für alle Mal das natürliche Uebergewicht
der Gewalt der Mehrheit anzuerkennen, als dem steten Spiele der künst¬
lichen Gewalt energischer Minderheiten zu verfallen. Sicherlich, auch der
Druck einer Mehrheit aus eine Minderheit ist nichts Erbauliches, besonders
wenn diese letztere, wie das so oft der Fall ist, den Fortschritt, die wahren
Interessen der Zukunft vertritt. Aber das Wesen der Demokratien besteht ja
grade darin, daß diesen Minderheiten alle friedlichen Mittel unverwehrt sind." —
Aber wie stimmt das zum Vorhergehenden? Wenn es wahrscheinlich ist, daß
die Majorität eines ungebildeten Volks sich so-schnell als möglich unter den
Schutz einer Autorität flüchten wird, wozu soll man ihr erst das Heft in die
Hände geben? Geht die Demokratie aufrichtig von dem Rechte des Stärkern
aus, so wird ihr. gegenüber die Reaction von dem Rechte der bewaffneten
Minorität Gebrauch machen können. Die Leute zu zählen, um auszumitteln,
wer der Stärkere sei, ist auf keine Weise natürlicher, als die Säbel und Bajonette
abzuwägen. — Dann sieht es auch mitunter wieder so aus, als ob die Herr¬
schaft der Majorität ein Dogma wäre. „Die Demokratie erkennt, gleich der
absoluten Monarchie, nur einen Willen an. Hier ists der Wille des Königs,
dort ists der Wille des Volks, welcher allein entscheidet, des gesammten Volkes
nach den Beschlüssen der Mehrheit. Wo es aber nur einen Willen gibt, soll
es auch nur. eine vollziehende Gewalt geben." (Bd. 2, S. -I0-I). Das geht
doch wirklich nicht über das erste ABC der politischen Bildung hinaus. Nach
dieser 'Theorie wäre Napoleon III. der reinste Demokrat, denn wenn er auch
die öffentliche Meinung ein wenig redigirt hat, so hat er doch die acht Millio¬
nen Stimmen wirklich in seiner Tasche. Bei dieser Verwirrung der politischen
Begriffe macht sich der vornehme Ton gegen die Bourgeoisie äußerst lächerlich.
Man höre Bd. 1, S. -183: „Das lasse sie sich ein für alle Mal gesagt sein:
Zu ihrer konstitutionellen Vorbehaltsehe kommts in Deutschland nun und
nimmermehr. Dieses halbe Verhältniß ist in England und Frankreich doch
nur durch ganzes Handeln der Bourgeoisie im entscheidenden Moment möglich
geworden. Die deutsche Bourgeoisie hat diesen Moment unwiederbringlich ver¬
säumt. Ihr bleibt nur noch die Wahl zwischen dem ScheinconstitutionaiismuS
mit monarchischen Uebergewicht, fast ohne eigne Bedeutung, — und der De¬
mokratie mit allgemeiner Freiheit und derjenigen Bedeutung, welche auch inner-


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[0495] Volke das allgemeine Stimmrecht! Fehlt ihm das Selbstgefühl und die Bil¬ dung, welche zu glücklicher allseitiger Verständigung erforderlich sind, so wird es eben das allgemeine Stimmrecht wieder verlieren, trotz aller Unveräußer¬ lichkeit seiner Souveränetät; es wird sie verlieren an den ersten Besten." — Wie in aller Welt kommt also die Demokratie dazu, für Deutschland das allgemeine Stimmrecht zu verlangen! Freilich sagt er S. 34: „So lcknge die rohe Gewalt nun einmal aus der Menschheit nicht ganz hinaufzubringen ist, scheint eS mir zweckmäßiger, ein für alle Mal das natürliche Uebergewicht der Gewalt der Mehrheit anzuerkennen, als dem steten Spiele der künst¬ lichen Gewalt energischer Minderheiten zu verfallen. Sicherlich, auch der Druck einer Mehrheit aus eine Minderheit ist nichts Erbauliches, besonders wenn diese letztere, wie das so oft der Fall ist, den Fortschritt, die wahren Interessen der Zukunft vertritt. Aber das Wesen der Demokratien besteht ja grade darin, daß diesen Minderheiten alle friedlichen Mittel unverwehrt sind." — Aber wie stimmt das zum Vorhergehenden? Wenn es wahrscheinlich ist, daß die Majorität eines ungebildeten Volks sich so-schnell als möglich unter den Schutz einer Autorität flüchten wird, wozu soll man ihr erst das Heft in die Hände geben? Geht die Demokratie aufrichtig von dem Rechte des Stärkern aus, so wird ihr. gegenüber die Reaction von dem Rechte der bewaffneten Minorität Gebrauch machen können. Die Leute zu zählen, um auszumitteln, wer der Stärkere sei, ist auf keine Weise natürlicher, als die Säbel und Bajonette abzuwägen. — Dann sieht es auch mitunter wieder so aus, als ob die Herr¬ schaft der Majorität ein Dogma wäre. „Die Demokratie erkennt, gleich der absoluten Monarchie, nur einen Willen an. Hier ists der Wille des Königs, dort ists der Wille des Volks, welcher allein entscheidet, des gesammten Volkes nach den Beschlüssen der Mehrheit. Wo es aber nur einen Willen gibt, soll es auch nur. eine vollziehende Gewalt geben." (Bd. 2, S. -I0-I). Das geht doch wirklich nicht über das erste ABC der politischen Bildung hinaus. Nach dieser 'Theorie wäre Napoleon III. der reinste Demokrat, denn wenn er auch die öffentliche Meinung ein wenig redigirt hat, so hat er doch die acht Millio¬ nen Stimmen wirklich in seiner Tasche. Bei dieser Verwirrung der politischen Begriffe macht sich der vornehme Ton gegen die Bourgeoisie äußerst lächerlich. Man höre Bd. 1, S. -183: „Das lasse sie sich ein für alle Mal gesagt sein: Zu ihrer konstitutionellen Vorbehaltsehe kommts in Deutschland nun und nimmermehr. Dieses halbe Verhältniß ist in England und Frankreich doch nur durch ganzes Handeln der Bourgeoisie im entscheidenden Moment möglich geworden. Die deutsche Bourgeoisie hat diesen Moment unwiederbringlich ver¬ säumt. Ihr bleibt nur noch die Wahl zwischen dem ScheinconstitutionaiismuS mit monarchischen Uebergewicht, fast ohne eigne Bedeutung, — und der De¬ mokratie mit allgemeiner Freiheit und derjenigen Bedeutung, welche auch inner-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/495>, abgerufen am 23.07.2024.