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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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der civilisirten Welt herbeilocken, einen Bericht von seinen Wanderungen. Er
war augenscheinlich ein Mann von einem scharfen, einem beobachtenden und
einem gebildeten Geiste, und würde ohne Zweifel, wenn er in unsrer Zeit ge¬
lebt hätte, mit einer Mischung von Schauer und Entzücken auf die Gebirge
von Jnverneßshire geblickt haben. Da er aber in der Stimmung schrieb, welche
in seiner eignen Zeit allgemein war, so erklärte er jene Gebirge sür monströse
Auswüchse. Ihre Ungestalt, sagte er, wäre so, daß die unfruchtbarsten Ebenen
im Vergleich mit ihnen lieblich schienen. Schönes Wetter, klagte er, macht das
Uebel nur schlimmer; denn je Heller der Tag, desto unangenehmer berührten jene
ungeschlachten Massen von düsterem Braun und schmuzigen Purpur das Auge:
Welcher Contrast, rief er aus. zwischen diesen schrecklichen Aussichten und den
Schönheiten des Nichmondhügels! Einige mögen denken, daß Burt ein Mann
von gemeinem und prosaischen Geiste geweselwsei; aber sie werden kaum wagen,
ein ähnliches Urtheil über Oliver Goldsmith zu fällen. Goldsmith war einer
der sehr wenigen Sachsen, die vor mehr als einem Jahrhundert die Hochlande
zu erforschen wagten. Er sah mit Widerwillen die häßliche Wildniß und
erklärte, daß er die reizende Landschaft um Leyden, die weite Fläche grü-
nender Wiesen, und die Villas mit ihren Statuen und Grotten, zierlichen
Blumenbeeten und geradlinigen Alleen bei weitem vorzöge. Gleichwol
ist es schwer, zu glauben, daß der Verfasser des Wanderers und des ver¬
lassenen Dorfes von Natur an Geschmack uHv Empfänglichkeit den Tausenden
von Commis und Putzmacherinnen nachstand, welche jetzt durch den An¬
blick des Katrinesees und des Lomondsees in Entzücken versetzt werden.
Seine Empfindungen sind leicht zu erklären. Nicht bevor Straßen durch die
Felsen gehauen, bevor Brücken über den Lauf der Bäche geworfen,' bevor Gast¬
höfe den Räuberhöhlen gefolgt waren, bevor ebensowenig Gefahr war, in dem
wildesten Engpaß von Badenoch oder Lochaber erschlagen oder geplündert zu
werden, als,in Cornhill,. konnten Fremde von den blauen Tiefen der Seen
und von den Regenbogen, die über den Wasserfällen hingen, bezaubert werden
und konnten sie selbst aus den Wolken und Stürmen, die auf den Bergspitzen
lauerten, ein feierliches Vergnügen schöpfen.

Die Umwandlung in der Empfindung, mit welcher die Niederlandsbewoh¬
ner die hochländische Scenerie betrachteten, hing eng zusammen mit einer nicht
weniger merkwürdigen Umwandlung in dem Gefühle, mit dem sie die hoch¬
ländische Race betrachteten. Es ist nicht befremdend, wenn die wilden Schotten,
wie sie zuweilen genannt wurden, im -17. Jahrhundert von Sachsen für bloße
Wilde angesehen wurden. Aber es ist sicher befremdend, daß sie, als Wilde
betrachtet, nicht Gegenstände des Interesses und der Wißbegier wurden. Die
Engländer forschten damals mit überreichlicher Emsigkeit nach den Sitten roher,
von unsrer Insel durch große Continente und Oceane getrennter Völkerschaften^


der civilisirten Welt herbeilocken, einen Bericht von seinen Wanderungen. Er
war augenscheinlich ein Mann von einem scharfen, einem beobachtenden und
einem gebildeten Geiste, und würde ohne Zweifel, wenn er in unsrer Zeit ge¬
lebt hätte, mit einer Mischung von Schauer und Entzücken auf die Gebirge
von Jnverneßshire geblickt haben. Da er aber in der Stimmung schrieb, welche
in seiner eignen Zeit allgemein war, so erklärte er jene Gebirge sür monströse
Auswüchse. Ihre Ungestalt, sagte er, wäre so, daß die unfruchtbarsten Ebenen
im Vergleich mit ihnen lieblich schienen. Schönes Wetter, klagte er, macht das
Uebel nur schlimmer; denn je Heller der Tag, desto unangenehmer berührten jene
ungeschlachten Massen von düsterem Braun und schmuzigen Purpur das Auge:
Welcher Contrast, rief er aus. zwischen diesen schrecklichen Aussichten und den
Schönheiten des Nichmondhügels! Einige mögen denken, daß Burt ein Mann
von gemeinem und prosaischen Geiste geweselwsei; aber sie werden kaum wagen,
ein ähnliches Urtheil über Oliver Goldsmith zu fällen. Goldsmith war einer
der sehr wenigen Sachsen, die vor mehr als einem Jahrhundert die Hochlande
zu erforschen wagten. Er sah mit Widerwillen die häßliche Wildniß und
erklärte, daß er die reizende Landschaft um Leyden, die weite Fläche grü-
nender Wiesen, und die Villas mit ihren Statuen und Grotten, zierlichen
Blumenbeeten und geradlinigen Alleen bei weitem vorzöge. Gleichwol
ist es schwer, zu glauben, daß der Verfasser des Wanderers und des ver¬
lassenen Dorfes von Natur an Geschmack uHv Empfänglichkeit den Tausenden
von Commis und Putzmacherinnen nachstand, welche jetzt durch den An¬
blick des Katrinesees und des Lomondsees in Entzücken versetzt werden.
Seine Empfindungen sind leicht zu erklären. Nicht bevor Straßen durch die
Felsen gehauen, bevor Brücken über den Lauf der Bäche geworfen,' bevor Gast¬
höfe den Räuberhöhlen gefolgt waren, bevor ebensowenig Gefahr war, in dem
wildesten Engpaß von Badenoch oder Lochaber erschlagen oder geplündert zu
werden, als,in Cornhill,. konnten Fremde von den blauen Tiefen der Seen
und von den Regenbogen, die über den Wasserfällen hingen, bezaubert werden
und konnten sie selbst aus den Wolken und Stürmen, die auf den Bergspitzen
lauerten, ein feierliches Vergnügen schöpfen.

Die Umwandlung in der Empfindung, mit welcher die Niederlandsbewoh¬
ner die hochländische Scenerie betrachteten, hing eng zusammen mit einer nicht
weniger merkwürdigen Umwandlung in dem Gefühle, mit dem sie die hoch¬
ländische Race betrachteten. Es ist nicht befremdend, wenn die wilden Schotten,
wie sie zuweilen genannt wurden, im -17. Jahrhundert von Sachsen für bloße
Wilde angesehen wurden. Aber es ist sicher befremdend, daß sie, als Wilde
betrachtet, nicht Gegenstände des Interesses und der Wißbegier wurden. Die
Engländer forschten damals mit überreichlicher Emsigkeit nach den Sitten roher,
von unsrer Insel durch große Continente und Oceane getrennter Völkerschaften^


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[0392] der civilisirten Welt herbeilocken, einen Bericht von seinen Wanderungen. Er war augenscheinlich ein Mann von einem scharfen, einem beobachtenden und einem gebildeten Geiste, und würde ohne Zweifel, wenn er in unsrer Zeit ge¬ lebt hätte, mit einer Mischung von Schauer und Entzücken auf die Gebirge von Jnverneßshire geblickt haben. Da er aber in der Stimmung schrieb, welche in seiner eignen Zeit allgemein war, so erklärte er jene Gebirge sür monströse Auswüchse. Ihre Ungestalt, sagte er, wäre so, daß die unfruchtbarsten Ebenen im Vergleich mit ihnen lieblich schienen. Schönes Wetter, klagte er, macht das Uebel nur schlimmer; denn je Heller der Tag, desto unangenehmer berührten jene ungeschlachten Massen von düsterem Braun und schmuzigen Purpur das Auge: Welcher Contrast, rief er aus. zwischen diesen schrecklichen Aussichten und den Schönheiten des Nichmondhügels! Einige mögen denken, daß Burt ein Mann von gemeinem und prosaischen Geiste geweselwsei; aber sie werden kaum wagen, ein ähnliches Urtheil über Oliver Goldsmith zu fällen. Goldsmith war einer der sehr wenigen Sachsen, die vor mehr als einem Jahrhundert die Hochlande zu erforschen wagten. Er sah mit Widerwillen die häßliche Wildniß und erklärte, daß er die reizende Landschaft um Leyden, die weite Fläche grü- nender Wiesen, und die Villas mit ihren Statuen und Grotten, zierlichen Blumenbeeten und geradlinigen Alleen bei weitem vorzöge. Gleichwol ist es schwer, zu glauben, daß der Verfasser des Wanderers und des ver¬ lassenen Dorfes von Natur an Geschmack uHv Empfänglichkeit den Tausenden von Commis und Putzmacherinnen nachstand, welche jetzt durch den An¬ blick des Katrinesees und des Lomondsees in Entzücken versetzt werden. Seine Empfindungen sind leicht zu erklären. Nicht bevor Straßen durch die Felsen gehauen, bevor Brücken über den Lauf der Bäche geworfen,' bevor Gast¬ höfe den Räuberhöhlen gefolgt waren, bevor ebensowenig Gefahr war, in dem wildesten Engpaß von Badenoch oder Lochaber erschlagen oder geplündert zu werden, als,in Cornhill,. konnten Fremde von den blauen Tiefen der Seen und von den Regenbogen, die über den Wasserfällen hingen, bezaubert werden und konnten sie selbst aus den Wolken und Stürmen, die auf den Bergspitzen lauerten, ein feierliches Vergnügen schöpfen. Die Umwandlung in der Empfindung, mit welcher die Niederlandsbewoh¬ ner die hochländische Scenerie betrachteten, hing eng zusammen mit einer nicht weniger merkwürdigen Umwandlung in dem Gefühle, mit dem sie die hoch¬ ländische Race betrachteten. Es ist nicht befremdend, wenn die wilden Schotten, wie sie zuweilen genannt wurden, im -17. Jahrhundert von Sachsen für bloße Wilde angesehen wurden. Aber es ist sicher befremdend, daß sie, als Wilde betrachtet, nicht Gegenstände des Interesses und der Wißbegier wurden. Die Engländer forschten damals mit überreichlicher Emsigkeit nach den Sitten roher, von unsrer Insel durch große Continente und Oceane getrennter Völkerschaften^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/392>, abgerufen am 23.07.2024.