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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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So große Vorzüge rechtfertigen gewiß den Erfolg, den die ersten Bände
seiner Geschichte davongetragen; aber jeder ungewöhnliche Erfolg ruft auch
eine Reaction hervor, man schämt sich allmälig der blinden Schwärmerei, und
ist um so schärfer in der nachträglichen Kritik, je weniger man sie früher für
nöthig hielt. Sofort nach dem Erscheinen der beiden folgenden Bände wurden
in England Stimmen deS Tadels laut, die nicht nur auf die nicht abzu¬
leugnenden Schwächen hindeuteten, sondern die den jungen Ruhm des Ge¬
schichtschreibers in seinen Grundfesten zu erschüttern suchten. Diese Kritik
scheint auch vielen Anklang in Deutschland zu finden, obgleich wir überzeugt
sind, daß der gesunde Sinn der Menge sich dadurch nicht wird irren lassen.
Ganz unberechtigt ist der Neid seiner Fachgenossen, welche gegen die künstleri¬
sche Behandlung eines wissenschaftlichen Stoffs Protestiren. Mit dieser Kritik
drücken sie nichts weiter aus, als den Mangel ihres eignen Talents; denn jedes
Geschichtswerk soll nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein Kunstwerk
sein. Begründeter ist der Tadel gegen die zu große Breite der Sprache, und
man ist um so mehr im Recht, diesen Umstand hervorzuheben, da man früher
bei der gerechten Bewunderung des Ganzen auch die schwachen Seiten für
mustergiltig erklärte. Die Breite liegt nicht blos in der Ausführlichkeit der
Erzählung. Wenn für uns Deutsche, denen der Gegenstand ferner liegt, und
die wir an einer prägnanten Darstellung überhaupt mehr Geschmack finden,
mitunter zu viel Nebenumstände angeführt werden, so kann das doch auf die
Engländer keine Anwendung finden, für die das Buch zunächst bestimmt ist;
die Breite liegt vielmehr zum Theil in der eigenthümlichen Satzbildung, die
etwas Juristisches hat, die, um ja keinen Zweifel über den Sinn der Worte
zu lassen, häusig wiederholt und alle Abkürzungen durch Beziehungsbegriffc
verschmäht. Dieser Tadel trifft diejenigen Stellen nicht, wo der Redner in
Feuer geräth; aber in der ruhigen Darstellung hätte er allerdings durch ge¬
schicktere Gruppirung der Sätze häusig kürzer und gedrängter sein können. --
Diesen nicht abzuleugnenden Fehler in der Form könnte man bei so vielen
Vorzügen gern hinnehmen; dagegen ist es zu bedauern, daß Macaulay einem
dritten Tadel Raum gegeben hat. Auch bei dem gewissenhaftesten und gründlichsten
Geschichtschreiber wird es vorkommen, daß er in einzelne Irrthümer verfällt,'
denn bei der Geschichtschreibung läßt es sich nicht so machen wie beim Proceß,
daß man erst alle Actenstücke abwartet, ehe man den Spruch fällt. Die frühern
Bände haben viele Entgegnungen hervorgerufen, und einige derselben sind un¬
zweifelhaft begründet. So ist es namentlich erwiesen, daß sich Macaulay zu
einem der schlimmsten Vorwürfe, die er Peru macht, durch eine Namens-
vcrwechSlung hat verleiten lassen. So etwas kann vorkommen, aber es ist als¬
dann die Pflicht des Geschichtschreibers, seinen Irrthum zurückzunehmen. Das
hat Macaulay nicht gethan. Er kommt auch in diesen Bänden wieder aus


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So große Vorzüge rechtfertigen gewiß den Erfolg, den die ersten Bände
seiner Geschichte davongetragen; aber jeder ungewöhnliche Erfolg ruft auch
eine Reaction hervor, man schämt sich allmälig der blinden Schwärmerei, und
ist um so schärfer in der nachträglichen Kritik, je weniger man sie früher für
nöthig hielt. Sofort nach dem Erscheinen der beiden folgenden Bände wurden
in England Stimmen deS Tadels laut, die nicht nur auf die nicht abzu¬
leugnenden Schwächen hindeuteten, sondern die den jungen Ruhm des Ge¬
schichtschreibers in seinen Grundfesten zu erschüttern suchten. Diese Kritik
scheint auch vielen Anklang in Deutschland zu finden, obgleich wir überzeugt
sind, daß der gesunde Sinn der Menge sich dadurch nicht wird irren lassen.
Ganz unberechtigt ist der Neid seiner Fachgenossen, welche gegen die künstleri¬
sche Behandlung eines wissenschaftlichen Stoffs Protestiren. Mit dieser Kritik
drücken sie nichts weiter aus, als den Mangel ihres eignen Talents; denn jedes
Geschichtswerk soll nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein Kunstwerk
sein. Begründeter ist der Tadel gegen die zu große Breite der Sprache, und
man ist um so mehr im Recht, diesen Umstand hervorzuheben, da man früher
bei der gerechten Bewunderung des Ganzen auch die schwachen Seiten für
mustergiltig erklärte. Die Breite liegt nicht blos in der Ausführlichkeit der
Erzählung. Wenn für uns Deutsche, denen der Gegenstand ferner liegt, und
die wir an einer prägnanten Darstellung überhaupt mehr Geschmack finden,
mitunter zu viel Nebenumstände angeführt werden, so kann das doch auf die
Engländer keine Anwendung finden, für die das Buch zunächst bestimmt ist;
die Breite liegt vielmehr zum Theil in der eigenthümlichen Satzbildung, die
etwas Juristisches hat, die, um ja keinen Zweifel über den Sinn der Worte
zu lassen, häusig wiederholt und alle Abkürzungen durch Beziehungsbegriffc
verschmäht. Dieser Tadel trifft diejenigen Stellen nicht, wo der Redner in
Feuer geräth; aber in der ruhigen Darstellung hätte er allerdings durch ge¬
schicktere Gruppirung der Sätze häusig kürzer und gedrängter sein können. —
Diesen nicht abzuleugnenden Fehler in der Form könnte man bei so vielen
Vorzügen gern hinnehmen; dagegen ist es zu bedauern, daß Macaulay einem
dritten Tadel Raum gegeben hat. Auch bei dem gewissenhaftesten und gründlichsten
Geschichtschreiber wird es vorkommen, daß er in einzelne Irrthümer verfällt,'
denn bei der Geschichtschreibung läßt es sich nicht so machen wie beim Proceß,
daß man erst alle Actenstücke abwartet, ehe man den Spruch fällt. Die frühern
Bände haben viele Entgegnungen hervorgerufen, und einige derselben sind un¬
zweifelhaft begründet. So ist es namentlich erwiesen, daß sich Macaulay zu
einem der schlimmsten Vorwürfe, die er Peru macht, durch eine Namens-
vcrwechSlung hat verleiten lassen. So etwas kann vorkommen, aber es ist als¬
dann die Pflicht des Geschichtschreibers, seinen Irrthum zurückzunehmen. Das
hat Macaulay nicht gethan. Er kommt auch in diesen Bänden wieder aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/387>, abgerufen am 23.07.2024.