Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Macaulay, die aus W. Scott bekannten Persönlichkeiten hinter fremden Na¬
men zu verstecken, waS in England, wo die Namen aller Augenblicke wechseln,
sehr leicht möglich ist. Wir wollen ihm diese kleine Schwäche gern nachsehen,
denn in der wirklichen Schilderung hat er W. Scott häusig nicht nur erreicht,
sondern übertroffen, weil er mit der Sicherheit des Blicks und der Hand eine
Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung verbindet, die W. Scott abging.

Vom ersten Augenblick seines politischen Lebens an ist Macaulay ein
'entschiedener Whig gewesen; aber in seiner politisch-historischen Gesinnung
finden wir dennoch eine sehr lehrreiche Entwicklung. In seinen ersten kleinen
Schriften kann man ihn fast als einen Radicalen bezeichnen. Die Idee
der Freiheit erscheint als Haß gegen die Feinde der Freiheit, und dieser
Haß ist so lebhaft, daß er jeder Empörung Recht gibt und den gewalt¬
samen Bruch mit einer schuldvollen Vergangenheit als das wünschens-
wertheste Ereigniß darstellt. Dieser revolutionären Stimmung entsprich! auch
seine Stellung zur Kirche. Er versäumt keine Gelegenheit, sie mit bitterm
Spott zu überhäufen, und die Kühnheit seiner religiösen Ansichten ist für
einen Engländer zuweilen ganz überraschend. In der Geschichte liebt er die ge¬
waltigen, eisernen, von jener Idee und jenem Haß ganz durchdrungenen Charak¬
tere, und die Männer von 5 6i>8 sind seine Lieblinge. Gegen alle Vermittler
hat er eine unüberwindliche Abneigung, und selbst seine Bercdisamkeit hat et¬
was Revolutionäres. Durch vieljährige gewissenhafte Studien ist diese Stim¬
mung wesentlich verändert worden. Die Liebe zur Freiheit ist noch ebenso
mächtig in ihm, als früher, aber der Haß ist milder geworden, er ist weniger
persönlich, er unterscheidet schärfer, was in den Zuständen und was in den
Menschen lag. Gegen die Schlechtigkeit ist er noch ebenso unbarmherzig, wie
sonst, und von jener weichmüthigen Objektivität, auch in Menschen wie Ja¬
kob II. den guten Seiten nachzuspüren, hat er noch immer keinen Begriff,
aber gegen gemischte Charaktere ist er gerechter geworden, und für jene be¬
sonnenen Männer, die immer vorsichtig abwägen und bedenken, ehe sie zu
einem energischen Entschluß kommen, Männer, die ihm früher verhaßt waren,
hat er jetzt sogar eine gewisse Vorliebe. Schon daß Wilhelm von Oranien
jetzt sein Lieblingsheld ist, wie es früher Cromwell war, deutet auf diesen
Wechsel hin. Am augenscheinlichsten aber wird er bei' der Zeichnung von
Männern wie Halifax. Er weiß jetzt fehr wohl die politische Idee von der
Partei zu unterscheiden, in der sie sich krystallisirt. In seinen Grundsätzen ist
er noch immer ein strenger Whig, aber in seinem Urtheil über die historischen
Whigs ist er ebenso unbefangen, als ober außerhalb der Parteien stände, und
das ist auch die einzige Unparteilichkeit, die eines Geschichtschreibers würdig ist;
denn wer um der Objectivität willen seine Grundsätze und Ideen- verleugnet,
verdient nicht, die Vergangenheit seines Volks der Nachwelt zu überliefern. "


Macaulay, die aus W. Scott bekannten Persönlichkeiten hinter fremden Na¬
men zu verstecken, waS in England, wo die Namen aller Augenblicke wechseln,
sehr leicht möglich ist. Wir wollen ihm diese kleine Schwäche gern nachsehen,
denn in der wirklichen Schilderung hat er W. Scott häusig nicht nur erreicht,
sondern übertroffen, weil er mit der Sicherheit des Blicks und der Hand eine
Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung verbindet, die W. Scott abging.

Vom ersten Augenblick seines politischen Lebens an ist Macaulay ein
'entschiedener Whig gewesen; aber in seiner politisch-historischen Gesinnung
finden wir dennoch eine sehr lehrreiche Entwicklung. In seinen ersten kleinen
Schriften kann man ihn fast als einen Radicalen bezeichnen. Die Idee
der Freiheit erscheint als Haß gegen die Feinde der Freiheit, und dieser
Haß ist so lebhaft, daß er jeder Empörung Recht gibt und den gewalt¬
samen Bruch mit einer schuldvollen Vergangenheit als das wünschens-
wertheste Ereigniß darstellt. Dieser revolutionären Stimmung entsprich! auch
seine Stellung zur Kirche. Er versäumt keine Gelegenheit, sie mit bitterm
Spott zu überhäufen, und die Kühnheit seiner religiösen Ansichten ist für
einen Engländer zuweilen ganz überraschend. In der Geschichte liebt er die ge¬
waltigen, eisernen, von jener Idee und jenem Haß ganz durchdrungenen Charak¬
tere, und die Männer von 5 6i>8 sind seine Lieblinge. Gegen alle Vermittler
hat er eine unüberwindliche Abneigung, und selbst seine Bercdisamkeit hat et¬
was Revolutionäres. Durch vieljährige gewissenhafte Studien ist diese Stim¬
mung wesentlich verändert worden. Die Liebe zur Freiheit ist noch ebenso
mächtig in ihm, als früher, aber der Haß ist milder geworden, er ist weniger
persönlich, er unterscheidet schärfer, was in den Zuständen und was in den
Menschen lag. Gegen die Schlechtigkeit ist er noch ebenso unbarmherzig, wie
sonst, und von jener weichmüthigen Objektivität, auch in Menschen wie Ja¬
kob II. den guten Seiten nachzuspüren, hat er noch immer keinen Begriff,
aber gegen gemischte Charaktere ist er gerechter geworden, und für jene be¬
sonnenen Männer, die immer vorsichtig abwägen und bedenken, ehe sie zu
einem energischen Entschluß kommen, Männer, die ihm früher verhaßt waren,
hat er jetzt sogar eine gewisse Vorliebe. Schon daß Wilhelm von Oranien
jetzt sein Lieblingsheld ist, wie es früher Cromwell war, deutet auf diesen
Wechsel hin. Am augenscheinlichsten aber wird er bei' der Zeichnung von
Männern wie Halifax. Er weiß jetzt fehr wohl die politische Idee von der
Partei zu unterscheiden, in der sie sich krystallisirt. In seinen Grundsätzen ist
er noch immer ein strenger Whig, aber in seinem Urtheil über die historischen
Whigs ist er ebenso unbefangen, als ober außerhalb der Parteien stände, und
das ist auch die einzige Unparteilichkeit, die eines Geschichtschreibers würdig ist;
denn wer um der Objectivität willen seine Grundsätze und Ideen- verleugnet,
verdient nicht, die Vergangenheit seines Volks der Nachwelt zu überliefern. "


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101379"/>
          <p xml:id="ID_1169" prev="#ID_1168"> Macaulay, die aus W. Scott bekannten Persönlichkeiten hinter fremden Na¬<lb/>
men zu verstecken, waS in England, wo die Namen aller Augenblicke wechseln,<lb/>
sehr leicht möglich ist. Wir wollen ihm diese kleine Schwäche gern nachsehen,<lb/>
denn in der wirklichen Schilderung hat er W. Scott häusig nicht nur erreicht,<lb/>
sondern übertroffen, weil er mit der Sicherheit des Blicks und der Hand eine<lb/>
Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung verbindet, die W. Scott abging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170"> Vom ersten Augenblick seines politischen Lebens an ist Macaulay ein<lb/>
'entschiedener Whig gewesen; aber in seiner politisch-historischen Gesinnung<lb/>
finden wir dennoch eine sehr lehrreiche Entwicklung. In seinen ersten kleinen<lb/>
Schriften kann man ihn fast als einen Radicalen bezeichnen. Die Idee<lb/>
der Freiheit erscheint als Haß gegen die Feinde der Freiheit, und dieser<lb/>
Haß ist so lebhaft, daß er jeder Empörung Recht gibt und den gewalt¬<lb/>
samen Bruch mit einer schuldvollen Vergangenheit als das wünschens-<lb/>
wertheste Ereigniß darstellt. Dieser revolutionären Stimmung entsprich! auch<lb/>
seine Stellung zur Kirche. Er versäumt keine Gelegenheit, sie mit bitterm<lb/>
Spott zu überhäufen, und die Kühnheit seiner religiösen Ansichten ist für<lb/>
einen Engländer zuweilen ganz überraschend. In der Geschichte liebt er die ge¬<lb/>
waltigen, eisernen, von jener Idee und jenem Haß ganz durchdrungenen Charak¬<lb/>
tere, und die Männer von 5 6i&gt;8 sind seine Lieblinge. Gegen alle Vermittler<lb/>
hat er eine unüberwindliche Abneigung, und selbst seine Bercdisamkeit hat et¬<lb/>
was Revolutionäres. Durch vieljährige gewissenhafte Studien ist diese Stim¬<lb/>
mung wesentlich verändert worden. Die Liebe zur Freiheit ist noch ebenso<lb/>
mächtig in ihm, als früher, aber der Haß ist milder geworden, er ist weniger<lb/>
persönlich, er unterscheidet schärfer, was in den Zuständen und was in den<lb/>
Menschen lag. Gegen die Schlechtigkeit ist er noch ebenso unbarmherzig, wie<lb/>
sonst, und von jener weichmüthigen Objektivität, auch in Menschen wie Ja¬<lb/>
kob II. den guten Seiten nachzuspüren, hat er noch immer keinen Begriff,<lb/>
aber gegen gemischte Charaktere ist er gerechter geworden, und für jene be¬<lb/>
sonnenen Männer, die immer vorsichtig abwägen und bedenken, ehe sie zu<lb/>
einem energischen Entschluß kommen, Männer, die ihm früher verhaßt waren,<lb/>
hat er jetzt sogar eine gewisse Vorliebe. Schon daß Wilhelm von Oranien<lb/>
jetzt sein Lieblingsheld ist, wie es früher Cromwell war, deutet auf diesen<lb/>
Wechsel hin. Am augenscheinlichsten aber wird er bei' der Zeichnung von<lb/>
Männern wie Halifax. Er weiß jetzt fehr wohl die politische Idee von der<lb/>
Partei zu unterscheiden, in der sie sich krystallisirt. In seinen Grundsätzen ist<lb/>
er noch immer ein strenger Whig, aber in seinem Urtheil über die historischen<lb/>
Whigs ist er ebenso unbefangen, als ober außerhalb der Parteien stände, und<lb/>
das ist auch die einzige Unparteilichkeit, die eines Geschichtschreibers würdig ist;<lb/>
denn wer um der Objectivität willen seine Grundsätze und Ideen- verleugnet,<lb/>
verdient nicht, die Vergangenheit seines Volks der Nachwelt zu überliefern. "</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0386] Macaulay, die aus W. Scott bekannten Persönlichkeiten hinter fremden Na¬ men zu verstecken, waS in England, wo die Namen aller Augenblicke wechseln, sehr leicht möglich ist. Wir wollen ihm diese kleine Schwäche gern nachsehen, denn in der wirklichen Schilderung hat er W. Scott häusig nicht nur erreicht, sondern übertroffen, weil er mit der Sicherheit des Blicks und der Hand eine Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung verbindet, die W. Scott abging. Vom ersten Augenblick seines politischen Lebens an ist Macaulay ein 'entschiedener Whig gewesen; aber in seiner politisch-historischen Gesinnung finden wir dennoch eine sehr lehrreiche Entwicklung. In seinen ersten kleinen Schriften kann man ihn fast als einen Radicalen bezeichnen. Die Idee der Freiheit erscheint als Haß gegen die Feinde der Freiheit, und dieser Haß ist so lebhaft, daß er jeder Empörung Recht gibt und den gewalt¬ samen Bruch mit einer schuldvollen Vergangenheit als das wünschens- wertheste Ereigniß darstellt. Dieser revolutionären Stimmung entsprich! auch seine Stellung zur Kirche. Er versäumt keine Gelegenheit, sie mit bitterm Spott zu überhäufen, und die Kühnheit seiner religiösen Ansichten ist für einen Engländer zuweilen ganz überraschend. In der Geschichte liebt er die ge¬ waltigen, eisernen, von jener Idee und jenem Haß ganz durchdrungenen Charak¬ tere, und die Männer von 5 6i>8 sind seine Lieblinge. Gegen alle Vermittler hat er eine unüberwindliche Abneigung, und selbst seine Bercdisamkeit hat et¬ was Revolutionäres. Durch vieljährige gewissenhafte Studien ist diese Stim¬ mung wesentlich verändert worden. Die Liebe zur Freiheit ist noch ebenso mächtig in ihm, als früher, aber der Haß ist milder geworden, er ist weniger persönlich, er unterscheidet schärfer, was in den Zuständen und was in den Menschen lag. Gegen die Schlechtigkeit ist er noch ebenso unbarmherzig, wie sonst, und von jener weichmüthigen Objektivität, auch in Menschen wie Ja¬ kob II. den guten Seiten nachzuspüren, hat er noch immer keinen Begriff, aber gegen gemischte Charaktere ist er gerechter geworden, und für jene be¬ sonnenen Männer, die immer vorsichtig abwägen und bedenken, ehe sie zu einem energischen Entschluß kommen, Männer, die ihm früher verhaßt waren, hat er jetzt sogar eine gewisse Vorliebe. Schon daß Wilhelm von Oranien jetzt sein Lieblingsheld ist, wie es früher Cromwell war, deutet auf diesen Wechsel hin. Am augenscheinlichsten aber wird er bei' der Zeichnung von Männern wie Halifax. Er weiß jetzt fehr wohl die politische Idee von der Partei zu unterscheiden, in der sie sich krystallisirt. In seinen Grundsätzen ist er noch immer ein strenger Whig, aber in seinem Urtheil über die historischen Whigs ist er ebenso unbefangen, als ober außerhalb der Parteien stände, und das ist auch die einzige Unparteilichkeit, die eines Geschichtschreibers würdig ist; denn wer um der Objectivität willen seine Grundsätze und Ideen- verleugnet, verdient nicht, die Vergangenheit seines Volks der Nachwelt zu überliefern. "

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/386
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/386>, abgerufen am 23.07.2024.