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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Weg dagegen, den unsre Regierung eingeschlagen hat, um eine böswillige ge¬
schlossene Opposition zu unterdrücken, führt nicht zum Ziel. Eine Ueberlistung
kann in politischen Dingen einmal wirken, aber ein fortgesetztes System der
Ueberlistung bezwingt nicht, es erbittert nur. Mochte doch die Rechte stets
an ihren Wahlspruch denken: Nicht Majorität, sondern Autorität! Es könnte
leicht geschehen, daß sie auf diesem Wege an Autorität einbüßt, was sie an
Majorität gewinnt.

Wo eine große geschlossene Opposition vorhanden ist, wirken kleine Mittel
nicht viel. Das hat sich bei der sogenannten katholischen Fraction gezeigt,
die aus diesem Wahlkricg trotz aller Bemühungen der Verwaltung siegreich
hervorgegangen ist. Es hat unter den Mitgliedern dieser Fraction eine große
Erbitterung erregt, daß der Regierungscommissär ihnen direct entgegentrat
und einen Tadel aussprach, der fast wie eine Drohung klang: so lange die
Katholiken als eine geschlossene Partei der Negierung entgegenstanden, würde
sie dieselben auch als eine politische Partei behandeln.

Ich finde in der That das ganz zufällige Bündniß des Liberalismus mit
dem Katholicismus höchst beklagenswert!) und stimme darin ganz mit den
Rednern der katholischen Fraction überein, die sich principiell auf das äußerste
dagegen verwahrten. Aber der Regierungscommissär hatte vergessen, daß er
selbst im Namen des Ministeriums kurz vorher erklärt hatte, bei den Wahlen
habe man alle Parteinuancen fallen lassen und ohne Unterschied jeden konser¬
vativen Kandidaten unterstützt. Ein solches Verfahren rechtfertigt doch wol
die Opposition, wenn sie das Gleiche thut? Ist die katholische Fraction da¬
durch compromittirt, wenn auch die Demokratie sür ihre Ecmdidaten stimmt,
um einen Gegner des Ministeriums in die Kammer -zu bringen? So lange
sich in der Kammer zwei Parteien so schroff und unvermittelt gegenüberstehen
wie die Rechte und Linke, wird bei den Wahlen eine äußerliche Zusammen¬
legung der Fractionen nicht zu vermeiden sein. Dadurch verpfändet sich weder
der Liberale dem Katholiken, noch der Katholik dem Liberalen; sie machen nur
gemeinsam Front gegen die Regierung, über die sie sich beide, wenn auch aus
verschiedenen Gründen, zu beklagen haben.

Freilich ergeben sich daraus sehr unerquickliche Erscheinungen. In der
katholischen Fraction sitzen- mehre Liberale, mehre Conservative. Wenn sie
trotzdem in bei? meisten Fällen zusammen stimmen, so machen sie eS damit im
Grunde wie die Polen, die ihr Urtheil nicht aus der vorliegenden Sache her¬
ausschöpfen, sondern aus der Beziehung derselben zu einer bestimmten abstrak¬
ten Idee. Wenn Peter Reichensperger, vielleicht der geiht- und talentvollste
unter den Rednern der Opposition, sich zu der Erklärung gedrängt sah, die
Katholiken stimmten nur deshalb mit der Linken, weil die Rechte sie verschmäht
hätte, so mußte das einen ganz wunderlichen Eindruck machen. -- Ich habe


Weg dagegen, den unsre Regierung eingeschlagen hat, um eine böswillige ge¬
schlossene Opposition zu unterdrücken, führt nicht zum Ziel. Eine Ueberlistung
kann in politischen Dingen einmal wirken, aber ein fortgesetztes System der
Ueberlistung bezwingt nicht, es erbittert nur. Mochte doch die Rechte stets
an ihren Wahlspruch denken: Nicht Majorität, sondern Autorität! Es könnte
leicht geschehen, daß sie auf diesem Wege an Autorität einbüßt, was sie an
Majorität gewinnt.

Wo eine große geschlossene Opposition vorhanden ist, wirken kleine Mittel
nicht viel. Das hat sich bei der sogenannten katholischen Fraction gezeigt,
die aus diesem Wahlkricg trotz aller Bemühungen der Verwaltung siegreich
hervorgegangen ist. Es hat unter den Mitgliedern dieser Fraction eine große
Erbitterung erregt, daß der Regierungscommissär ihnen direct entgegentrat
und einen Tadel aussprach, der fast wie eine Drohung klang: so lange die
Katholiken als eine geschlossene Partei der Negierung entgegenstanden, würde
sie dieselben auch als eine politische Partei behandeln.

Ich finde in der That das ganz zufällige Bündniß des Liberalismus mit
dem Katholicismus höchst beklagenswert!) und stimme darin ganz mit den
Rednern der katholischen Fraction überein, die sich principiell auf das äußerste
dagegen verwahrten. Aber der Regierungscommissär hatte vergessen, daß er
selbst im Namen des Ministeriums kurz vorher erklärt hatte, bei den Wahlen
habe man alle Parteinuancen fallen lassen und ohne Unterschied jeden konser¬
vativen Kandidaten unterstützt. Ein solches Verfahren rechtfertigt doch wol
die Opposition, wenn sie das Gleiche thut? Ist die katholische Fraction da¬
durch compromittirt, wenn auch die Demokratie sür ihre Ecmdidaten stimmt,
um einen Gegner des Ministeriums in die Kammer -zu bringen? So lange
sich in der Kammer zwei Parteien so schroff und unvermittelt gegenüberstehen
wie die Rechte und Linke, wird bei den Wahlen eine äußerliche Zusammen¬
legung der Fractionen nicht zu vermeiden sein. Dadurch verpfändet sich weder
der Liberale dem Katholiken, noch der Katholik dem Liberalen; sie machen nur
gemeinsam Front gegen die Regierung, über die sie sich beide, wenn auch aus
verschiedenen Gründen, zu beklagen haben.

Freilich ergeben sich daraus sehr unerquickliche Erscheinungen. In der
katholischen Fraction sitzen- mehre Liberale, mehre Conservative. Wenn sie
trotzdem in bei? meisten Fällen zusammen stimmen, so machen sie eS damit im
Grunde wie die Polen, die ihr Urtheil nicht aus der vorliegenden Sache her¬
ausschöpfen, sondern aus der Beziehung derselben zu einer bestimmten abstrak¬
ten Idee. Wenn Peter Reichensperger, vielleicht der geiht- und talentvollste
unter den Rednern der Opposition, sich zu der Erklärung gedrängt sah, die
Katholiken stimmten nur deshalb mit der Linken, weil die Rechte sie verschmäht
hätte, so mußte das einen ganz wunderlichen Eindruck machen. — Ich habe


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[0378] Weg dagegen, den unsre Regierung eingeschlagen hat, um eine böswillige ge¬ schlossene Opposition zu unterdrücken, führt nicht zum Ziel. Eine Ueberlistung kann in politischen Dingen einmal wirken, aber ein fortgesetztes System der Ueberlistung bezwingt nicht, es erbittert nur. Mochte doch die Rechte stets an ihren Wahlspruch denken: Nicht Majorität, sondern Autorität! Es könnte leicht geschehen, daß sie auf diesem Wege an Autorität einbüßt, was sie an Majorität gewinnt. Wo eine große geschlossene Opposition vorhanden ist, wirken kleine Mittel nicht viel. Das hat sich bei der sogenannten katholischen Fraction gezeigt, die aus diesem Wahlkricg trotz aller Bemühungen der Verwaltung siegreich hervorgegangen ist. Es hat unter den Mitgliedern dieser Fraction eine große Erbitterung erregt, daß der Regierungscommissär ihnen direct entgegentrat und einen Tadel aussprach, der fast wie eine Drohung klang: so lange die Katholiken als eine geschlossene Partei der Negierung entgegenstanden, würde sie dieselben auch als eine politische Partei behandeln. Ich finde in der That das ganz zufällige Bündniß des Liberalismus mit dem Katholicismus höchst beklagenswert!) und stimme darin ganz mit den Rednern der katholischen Fraction überein, die sich principiell auf das äußerste dagegen verwahrten. Aber der Regierungscommissär hatte vergessen, daß er selbst im Namen des Ministeriums kurz vorher erklärt hatte, bei den Wahlen habe man alle Parteinuancen fallen lassen und ohne Unterschied jeden konser¬ vativen Kandidaten unterstützt. Ein solches Verfahren rechtfertigt doch wol die Opposition, wenn sie das Gleiche thut? Ist die katholische Fraction da¬ durch compromittirt, wenn auch die Demokratie sür ihre Ecmdidaten stimmt, um einen Gegner des Ministeriums in die Kammer -zu bringen? So lange sich in der Kammer zwei Parteien so schroff und unvermittelt gegenüberstehen wie die Rechte und Linke, wird bei den Wahlen eine äußerliche Zusammen¬ legung der Fractionen nicht zu vermeiden sein. Dadurch verpfändet sich weder der Liberale dem Katholiken, noch der Katholik dem Liberalen; sie machen nur gemeinsam Front gegen die Regierung, über die sie sich beide, wenn auch aus verschiedenen Gründen, zu beklagen haben. Freilich ergeben sich daraus sehr unerquickliche Erscheinungen. In der katholischen Fraction sitzen- mehre Liberale, mehre Conservative. Wenn sie trotzdem in bei? meisten Fällen zusammen stimmen, so machen sie eS damit im Grunde wie die Polen, die ihr Urtheil nicht aus der vorliegenden Sache her¬ ausschöpfen, sondern aus der Beziehung derselben zu einer bestimmten abstrak¬ ten Idee. Wenn Peter Reichensperger, vielleicht der geiht- und talentvollste unter den Rednern der Opposition, sich zu der Erklärung gedrängt sah, die Katholiken stimmten nur deshalb mit der Linken, weil die Rechte sie verschmäht hätte, so mußte das einen ganz wunderlichen Eindruck machen. — Ich habe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/378>, abgerufen am 23.07.2024.