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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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sie ans dem sogenannten constitutionellen Staatsrecht zu ergänzen. Aber eins
hat der RegierungscommissariuS übersehen. Nach seiner Theorie wäre es dem
Ministerium erlaubt, z. B. Königsberg und Köln zu einem Wahlbezirk zu
vereinigen. Das wäre aber offenbar gegen den gesunden Menschenverstand,
und dieser ist allerdings ein Factor, den man bei der Auslegung eines Vcr-
fasfungsparagraphen nicht umgehen darf. Ganz so arg ist es nun freilich in
der Wirklichkeit nicht geschehen, aber daß nicht sehr viel daran fehlt, zeigt die
Auseinandersetzung des Herrn von Morawski.

Erlauben Sie mir, aus diesen Fall etwas näher einzugehen. Herr von
Morawski brachte in seiner Rede, wie es bei einem Polen unvermeidlich ist,
die Geschichte der Theilung Polens wieder mit jenem Eifer und jener Wärme
zur Tagesordnung, welche diese reichbegabte, aber unproductive Nation so sehr
auszeichnen. Er äußerte in derselben, wenn die Polen thatsächlich vom Wahl¬
recht ausgeschlossen werden sollten, so möge man.es ihnen doch auch rechtlich
entziehen; er werde ganz damit einverstanden sein, weil alsdann die demorali-
sirenden Wahlumtriebe von seiner Provinz fern gehalten würden. Von Seiten
der Rechten, die doch sonst in dieser Beziehung zwischen Rechten und Pflichten
einen sehr erheblichen Unterschied macht, wurde ihm das als eine unpatrioti¬
sche Gleichgültigkeit gegen das Staatsleben ausgelegt, und doch hatte er Recht,
wenn auch in> einem andern Sinn, als er es meinte.

Es ist dabei ganz gleichgiltig, wie man über das historische Recht oder
Unrecht der Theilung Polens denkt. Das beklagenswerthestc Ergebniß dieser
Theilung scheint mir darin zu liegen, daß sie Preußen in das enge Vündniß
mit, Nußland und'Oestreich getrieben hat, und daß sie jede ernsthafte Lösung
von demselben unmöglich macht, so lange nicht die Verhältnisse in Posen auf
irgend eine Weise ins Klare gebracht sind. Ich verdenke es den Polen nicht,
wenn sie den Verlust ihrer Nationalität als ein Unglück empfinden; ich finde
es menschlich zu entschuldigen, wenn auch sehr thöricht, daß sie von Zeit zu
Zeit oder eigentlich fortwährend, ihrer Sehnsucht in unklaren Verschwörungen
einen Ausdruck zu geben suchen. Aber die Polen müssen auch gegen uns ge¬
recht sein. Was sollen wir denn thun? ' Sollen wir eine Republik Posen
herstellen? Oder sollen wir Polen an Rußland abtreten? So lange die in
Posen ansässigen Polen sich als principielle Feinde des preußischen Staats
darstellen, wird es dem preußischen Staat nicht zu verargen sein, wenn'er sie
als unterworfene Feinde behandelt. Ich finde es gerechtfertigt, daß der Pro¬
vinz Posen die Landrathswahl entzogen ist; ich würde es ebenso gerechtfertigt
finden, wenn man das active und passive Wahlrecht in Posen an bestimmte,
sehr strenge Bedingungen .knüpfte. Die bekannte Rede, die Kaiser Nikolaus
1832 in Warschau hielt, mußte zwar das nationale Gefühl auf das tiefste
verletzen, aber sie drückte klar und bestimmt die Lage der Dinge aus. Der


Grenzboten. I. -1866. z>7

sie ans dem sogenannten constitutionellen Staatsrecht zu ergänzen. Aber eins
hat der RegierungscommissariuS übersehen. Nach seiner Theorie wäre es dem
Ministerium erlaubt, z. B. Königsberg und Köln zu einem Wahlbezirk zu
vereinigen. Das wäre aber offenbar gegen den gesunden Menschenverstand,
und dieser ist allerdings ein Factor, den man bei der Auslegung eines Vcr-
fasfungsparagraphen nicht umgehen darf. Ganz so arg ist es nun freilich in
der Wirklichkeit nicht geschehen, aber daß nicht sehr viel daran fehlt, zeigt die
Auseinandersetzung des Herrn von Morawski.

Erlauben Sie mir, aus diesen Fall etwas näher einzugehen. Herr von
Morawski brachte in seiner Rede, wie es bei einem Polen unvermeidlich ist,
die Geschichte der Theilung Polens wieder mit jenem Eifer und jener Wärme
zur Tagesordnung, welche diese reichbegabte, aber unproductive Nation so sehr
auszeichnen. Er äußerte in derselben, wenn die Polen thatsächlich vom Wahl¬
recht ausgeschlossen werden sollten, so möge man.es ihnen doch auch rechtlich
entziehen; er werde ganz damit einverstanden sein, weil alsdann die demorali-
sirenden Wahlumtriebe von seiner Provinz fern gehalten würden. Von Seiten
der Rechten, die doch sonst in dieser Beziehung zwischen Rechten und Pflichten
einen sehr erheblichen Unterschied macht, wurde ihm das als eine unpatrioti¬
sche Gleichgültigkeit gegen das Staatsleben ausgelegt, und doch hatte er Recht,
wenn auch in> einem andern Sinn, als er es meinte.

Es ist dabei ganz gleichgiltig, wie man über das historische Recht oder
Unrecht der Theilung Polens denkt. Das beklagenswerthestc Ergebniß dieser
Theilung scheint mir darin zu liegen, daß sie Preußen in das enge Vündniß
mit, Nußland und'Oestreich getrieben hat, und daß sie jede ernsthafte Lösung
von demselben unmöglich macht, so lange nicht die Verhältnisse in Posen auf
irgend eine Weise ins Klare gebracht sind. Ich verdenke es den Polen nicht,
wenn sie den Verlust ihrer Nationalität als ein Unglück empfinden; ich finde
es menschlich zu entschuldigen, wenn auch sehr thöricht, daß sie von Zeit zu
Zeit oder eigentlich fortwährend, ihrer Sehnsucht in unklaren Verschwörungen
einen Ausdruck zu geben suchen. Aber die Polen müssen auch gegen uns ge¬
recht sein. Was sollen wir denn thun? ' Sollen wir eine Republik Posen
herstellen? Oder sollen wir Polen an Rußland abtreten? So lange die in
Posen ansässigen Polen sich als principielle Feinde des preußischen Staats
darstellen, wird es dem preußischen Staat nicht zu verargen sein, wenn'er sie
als unterworfene Feinde behandelt. Ich finde es gerechtfertigt, daß der Pro¬
vinz Posen die Landrathswahl entzogen ist; ich würde es ebenso gerechtfertigt
finden, wenn man das active und passive Wahlrecht in Posen an bestimmte,
sehr strenge Bedingungen .knüpfte. Die bekannte Rede, die Kaiser Nikolaus
1832 in Warschau hielt, mußte zwar das nationale Gefühl auf das tiefste
verletzen, aber sie drückte klar und bestimmt die Lage der Dinge aus. Der


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[0377] sie ans dem sogenannten constitutionellen Staatsrecht zu ergänzen. Aber eins hat der RegierungscommissariuS übersehen. Nach seiner Theorie wäre es dem Ministerium erlaubt, z. B. Königsberg und Köln zu einem Wahlbezirk zu vereinigen. Das wäre aber offenbar gegen den gesunden Menschenverstand, und dieser ist allerdings ein Factor, den man bei der Auslegung eines Vcr- fasfungsparagraphen nicht umgehen darf. Ganz so arg ist es nun freilich in der Wirklichkeit nicht geschehen, aber daß nicht sehr viel daran fehlt, zeigt die Auseinandersetzung des Herrn von Morawski. Erlauben Sie mir, aus diesen Fall etwas näher einzugehen. Herr von Morawski brachte in seiner Rede, wie es bei einem Polen unvermeidlich ist, die Geschichte der Theilung Polens wieder mit jenem Eifer und jener Wärme zur Tagesordnung, welche diese reichbegabte, aber unproductive Nation so sehr auszeichnen. Er äußerte in derselben, wenn die Polen thatsächlich vom Wahl¬ recht ausgeschlossen werden sollten, so möge man.es ihnen doch auch rechtlich entziehen; er werde ganz damit einverstanden sein, weil alsdann die demorali- sirenden Wahlumtriebe von seiner Provinz fern gehalten würden. Von Seiten der Rechten, die doch sonst in dieser Beziehung zwischen Rechten und Pflichten einen sehr erheblichen Unterschied macht, wurde ihm das als eine unpatrioti¬ sche Gleichgültigkeit gegen das Staatsleben ausgelegt, und doch hatte er Recht, wenn auch in> einem andern Sinn, als er es meinte. Es ist dabei ganz gleichgiltig, wie man über das historische Recht oder Unrecht der Theilung Polens denkt. Das beklagenswerthestc Ergebniß dieser Theilung scheint mir darin zu liegen, daß sie Preußen in das enge Vündniß mit, Nußland und'Oestreich getrieben hat, und daß sie jede ernsthafte Lösung von demselben unmöglich macht, so lange nicht die Verhältnisse in Posen auf irgend eine Weise ins Klare gebracht sind. Ich verdenke es den Polen nicht, wenn sie den Verlust ihrer Nationalität als ein Unglück empfinden; ich finde es menschlich zu entschuldigen, wenn auch sehr thöricht, daß sie von Zeit zu Zeit oder eigentlich fortwährend, ihrer Sehnsucht in unklaren Verschwörungen einen Ausdruck zu geben suchen. Aber die Polen müssen auch gegen uns ge¬ recht sein. Was sollen wir denn thun? ' Sollen wir eine Republik Posen herstellen? Oder sollen wir Polen an Rußland abtreten? So lange die in Posen ansässigen Polen sich als principielle Feinde des preußischen Staats darstellen, wird es dem preußischen Staat nicht zu verargen sein, wenn'er sie als unterworfene Feinde behandelt. Ich finde es gerechtfertigt, daß der Pro¬ vinz Posen die Landrathswahl entzogen ist; ich würde es ebenso gerechtfertigt finden, wenn man das active und passive Wahlrecht in Posen an bestimmte, sehr strenge Bedingungen .knüpfte. Die bekannte Rede, die Kaiser Nikolaus 1832 in Warschau hielt, mußte zwar das nationale Gefühl auf das tiefste verletzen, aber sie drückte klar und bestimmt die Lage der Dinge aus. Der Grenzboten. I. -1866. z>7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/377>, abgerufen am 23.07.2024.