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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Bei einer Verfassung darf man doch nicht blos daran denken, was heute
oder morgen, was dieses oder das nächste Jahr geschieht. Für die gegenwär¬
tige Zeit mag es unwahrscheinlich sein, daß eine Aenderung in den Grund¬
sätzen der Verwaltung eintritt und wenn man diesen Zustand verewigen könnte,
so wäre die Abhängigkeit der Beamten allerdings ein konservatives Moment.
Aber es wird doch niemand die Möglichkeit leugnen, daß einmal eine Um¬
wandlung in den Ansichten des Königs eintreten kann, daß er sich veranlaßt
sieht, sein Ministerium zu entlassen und ein neues zu bilden. Alsdann steht
eine furchtbare Umgestaltung im ganzen Staatsleben bevor. Die Beamten sind
bis dahin vielleicht zehn, vielleicht zwanzig Jahre lang genöthigt gewesen, sich
ganz und unbedingt in die Ansichten des bisherigen Ministeriums einzuleben,
sie sind, da sie nicht blos dem Ministerium Gehorsam geleistet, sondern in
den Kammern ihre Stimme für dasselbe abgegeben haben, mit
ihrer Ehre verpflichtet, an dem alten System festzuhalten; wenn
also das neue Ministerium wirklich sich geltend machen will, so muß es damit
anfangen, sämmtliche Beamte zu entlassen. Damit wäre das conservativste
Moment des preußischen Staatslebens vernichtet. Wozu die unbedingte Ab¬
hängigkeit der Beamten führt, haben wir in Frankreich gesehen. -- Der Stolz
des preußischen Beamt-'nstandes lag bis jetzt darin, daß er sich einer gewissen
Selbstständigkeit erfreute und noch haben wir nicht hinreichende Elemente, um
diese festeste Stütze des Throns zu ersetzen. -- Einer von der Rechten machte
gegen den Abgeordneten Mathis, der die Frage in seiner Rede am gründ¬
lichsten behandelte und seinen sittlichen Unwillen am lautesten aussprach,
die Bemerkung, der Abgeordnete Mathis würde wahrscheinlich noch viel rück¬
sichtsloser Verfahren, wenn er am Ministertisch säße. -- Das ist leicht mög¬
lich, ja das wird nothwendig, wenn man sämmtliche Beamte als einer be¬
stimmten Partei angehörig betrachtet. -- Abgesehen von allen andern Uebel¬
ständen , kommt dadurch in den Kampf der Parteien eine Animosität, die
auf den ruhigen Fortgang des Staats nur nachtheilig einwirken kann. So
lange der Beamte als Anhänger dieses oder jenes höher gestellten Staats¬
mannes bezeichnet wird, bleibt er immer innerhalb des Staatsverbandes. Man
lese doch nur die Briefe und andre Actenstücke aus den Zeiten des Staatskakizlers,
wie sich Stein, Niebuhr u. a. über diesen Mann aussprachen und doch zweifelte
keiner an der königlichen Gesinnung der Opposition. Sobald man aber von
der Ansicht ausgeht, der Gegner dieses oder jenes Ministers ist ebendeshalb
auch der Feind des Königs, so ist es nicht mehr ein Streit unter Mitbürgern,
die nur den Patriotismus aus verschiedene Weise auffassen, sondern ein Kampf
auf Leben und Tod, wie zwischen Landcsfeinden. Wie der Regierungscom-
missär selbst dies sehr richtig bemerkte, ist das Königthum in Preußen so fest
gewurzelt, daß mit wenigen Ausnahmen auch die Demokratie nicht daran zu


Bei einer Verfassung darf man doch nicht blos daran denken, was heute
oder morgen, was dieses oder das nächste Jahr geschieht. Für die gegenwär¬
tige Zeit mag es unwahrscheinlich sein, daß eine Aenderung in den Grund¬
sätzen der Verwaltung eintritt und wenn man diesen Zustand verewigen könnte,
so wäre die Abhängigkeit der Beamten allerdings ein konservatives Moment.
Aber es wird doch niemand die Möglichkeit leugnen, daß einmal eine Um¬
wandlung in den Ansichten des Königs eintreten kann, daß er sich veranlaßt
sieht, sein Ministerium zu entlassen und ein neues zu bilden. Alsdann steht
eine furchtbare Umgestaltung im ganzen Staatsleben bevor. Die Beamten sind
bis dahin vielleicht zehn, vielleicht zwanzig Jahre lang genöthigt gewesen, sich
ganz und unbedingt in die Ansichten des bisherigen Ministeriums einzuleben,
sie sind, da sie nicht blos dem Ministerium Gehorsam geleistet, sondern in
den Kammern ihre Stimme für dasselbe abgegeben haben, mit
ihrer Ehre verpflichtet, an dem alten System festzuhalten; wenn
also das neue Ministerium wirklich sich geltend machen will, so muß es damit
anfangen, sämmtliche Beamte zu entlassen. Damit wäre das conservativste
Moment des preußischen Staatslebens vernichtet. Wozu die unbedingte Ab¬
hängigkeit der Beamten führt, haben wir in Frankreich gesehen. — Der Stolz
des preußischen Beamt-'nstandes lag bis jetzt darin, daß er sich einer gewissen
Selbstständigkeit erfreute und noch haben wir nicht hinreichende Elemente, um
diese festeste Stütze des Throns zu ersetzen. — Einer von der Rechten machte
gegen den Abgeordneten Mathis, der die Frage in seiner Rede am gründ¬
lichsten behandelte und seinen sittlichen Unwillen am lautesten aussprach,
die Bemerkung, der Abgeordnete Mathis würde wahrscheinlich noch viel rück¬
sichtsloser Verfahren, wenn er am Ministertisch säße. — Das ist leicht mög¬
lich, ja das wird nothwendig, wenn man sämmtliche Beamte als einer be¬
stimmten Partei angehörig betrachtet. — Abgesehen von allen andern Uebel¬
ständen , kommt dadurch in den Kampf der Parteien eine Animosität, die
auf den ruhigen Fortgang des Staats nur nachtheilig einwirken kann. So
lange der Beamte als Anhänger dieses oder jenes höher gestellten Staats¬
mannes bezeichnet wird, bleibt er immer innerhalb des Staatsverbandes. Man
lese doch nur die Briefe und andre Actenstücke aus den Zeiten des Staatskakizlers,
wie sich Stein, Niebuhr u. a. über diesen Mann aussprachen und doch zweifelte
keiner an der königlichen Gesinnung der Opposition. Sobald man aber von
der Ansicht ausgeht, der Gegner dieses oder jenes Ministers ist ebendeshalb
auch der Feind des Königs, so ist es nicht mehr ein Streit unter Mitbürgern,
die nur den Patriotismus aus verschiedene Weise auffassen, sondern ein Kampf
auf Leben und Tod, wie zwischen Landcsfeinden. Wie der Regierungscom-
missär selbst dies sehr richtig bemerkte, ist das Königthum in Preußen so fest
gewurzelt, daß mit wenigen Ausnahmen auch die Demokratie nicht daran zu


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[0374] Bei einer Verfassung darf man doch nicht blos daran denken, was heute oder morgen, was dieses oder das nächste Jahr geschieht. Für die gegenwär¬ tige Zeit mag es unwahrscheinlich sein, daß eine Aenderung in den Grund¬ sätzen der Verwaltung eintritt und wenn man diesen Zustand verewigen könnte, so wäre die Abhängigkeit der Beamten allerdings ein konservatives Moment. Aber es wird doch niemand die Möglichkeit leugnen, daß einmal eine Um¬ wandlung in den Ansichten des Königs eintreten kann, daß er sich veranlaßt sieht, sein Ministerium zu entlassen und ein neues zu bilden. Alsdann steht eine furchtbare Umgestaltung im ganzen Staatsleben bevor. Die Beamten sind bis dahin vielleicht zehn, vielleicht zwanzig Jahre lang genöthigt gewesen, sich ganz und unbedingt in die Ansichten des bisherigen Ministeriums einzuleben, sie sind, da sie nicht blos dem Ministerium Gehorsam geleistet, sondern in den Kammern ihre Stimme für dasselbe abgegeben haben, mit ihrer Ehre verpflichtet, an dem alten System festzuhalten; wenn also das neue Ministerium wirklich sich geltend machen will, so muß es damit anfangen, sämmtliche Beamte zu entlassen. Damit wäre das conservativste Moment des preußischen Staatslebens vernichtet. Wozu die unbedingte Ab¬ hängigkeit der Beamten führt, haben wir in Frankreich gesehen. — Der Stolz des preußischen Beamt-'nstandes lag bis jetzt darin, daß er sich einer gewissen Selbstständigkeit erfreute und noch haben wir nicht hinreichende Elemente, um diese festeste Stütze des Throns zu ersetzen. — Einer von der Rechten machte gegen den Abgeordneten Mathis, der die Frage in seiner Rede am gründ¬ lichsten behandelte und seinen sittlichen Unwillen am lautesten aussprach, die Bemerkung, der Abgeordnete Mathis würde wahrscheinlich noch viel rück¬ sichtsloser Verfahren, wenn er am Ministertisch säße. — Das ist leicht mög¬ lich, ja das wird nothwendig, wenn man sämmtliche Beamte als einer be¬ stimmten Partei angehörig betrachtet. — Abgesehen von allen andern Uebel¬ ständen , kommt dadurch in den Kampf der Parteien eine Animosität, die auf den ruhigen Fortgang des Staats nur nachtheilig einwirken kann. So lange der Beamte als Anhänger dieses oder jenes höher gestellten Staats¬ mannes bezeichnet wird, bleibt er immer innerhalb des Staatsverbandes. Man lese doch nur die Briefe und andre Actenstücke aus den Zeiten des Staatskakizlers, wie sich Stein, Niebuhr u. a. über diesen Mann aussprachen und doch zweifelte keiner an der königlichen Gesinnung der Opposition. Sobald man aber von der Ansicht ausgeht, der Gegner dieses oder jenes Ministers ist ebendeshalb auch der Feind des Königs, so ist es nicht mehr ein Streit unter Mitbürgern, die nur den Patriotismus aus verschiedene Weise auffassen, sondern ein Kampf auf Leben und Tod, wie zwischen Landcsfeinden. Wie der Regierungscom- missär selbst dies sehr richtig bemerkte, ist das Königthum in Preußen so fest gewurzelt, daß mit wenigen Ausnahmen auch die Demokratie nicht daran zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/374>, abgerufen am 23.07.2024.