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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Sie mußten ihn überzeugen, daß seine Rathgeber sein Vertrauen nicht ver¬
dienten und so ihren Sturz herbeizuführen suchen.

Seit Einführung der Verfassung ist dieser gesetzliche Weg, der uns früher
fehlte, gesunden; die Kammern sind theils Träger bestimmter Rechte der Krone
gegenüber, theils Rathgeber der Krone und Theilhaber an der Gewalt der
Gesetzgebung. Nach der Verfassung haben die Kammern auch das Recht der
Initiative in der Gesetzgebung, wobei freilich der Krone vorbehalten bleibt, ob
sie dem Gesetz ihre Zustimmung geben will. Also nicht allein das Land, son¬
dern auch die Krone hat das Anrecht auf den verfassungsmäßigen Beirath der
Kammern. Als Beamter hat der Staatsbürger die Pflicht, die.Verordnung
seiner Vorgesetzten zu vollziehen; als Abgeordneter hat er die Pflicht, diese
Verordnungen an dem Maßstab seiner patriotischen Ueberzeugungen zu messen.
Beide Pflichten stehen miteinander nicht in Widerspruch. Hat doch selbst in
dieser Kammer ein großer Theil der Mitglieder der Rechten gegen einzelne
Vorschläge der Minister gestimmt. Hätte im Jahre 1806 eine Verfassung be¬
standen und wären auch damals alle Beamten verpflichtet worden, aus An¬
hänglichkeit a" das Königshaus Anhänger und Gesinnungsgenossen von Haug-
witz und Lombard zu sein, so würde dadurch auf die Ehre des preußischen
Bcamtenstandes ein Fleck gekommen sein, von dem er glücklicherweise frei ge¬
blieben ist. -- Ja es kann Fälle geben, wo die Treue gegen das Königshaus
es mit sich bringt, von den Ansichten des augenblicklichen Trägers der Krone
abzuweichen. Die Krone stirbt nicht und die Loyalität verlangt zwar Gehor¬
sam , sie ist aber nicht abhängig von der Uebereinstimmung mit den Ansichten
des augenblicklich regierenden Königs. Hat man denn das Jahr 1797 aus
der preußischen Geschichte ganz vergessen?

Indeß die Mitglieder der Rechten, die sonst so eifrig gegen den französi¬
schen Constitutionalismus predigen, rufen in diesem Fall die französische Theorie
zu Hilfe. Im constitutionellen Staate muß der Beamte unbedingt abhängig
sein, sonst kann man mit ihm nicht regieren.

Wenn das wirklich der Fall sein sollte, so hat man die Wahl nur zwischen
zwei Entschlüssen.

Entweder müssen alle Beamte vom activen und passiven Wahlrecht aus¬
geschlossen werden; oder sie müssen das vollkommen freie Wahlrecht haben, wie
jeder Staatsbürger. -- Man wird entgegnen, daß im ersten Fall das con-
servative Element nicht genügend vertreten wäre. Das ist gewiß richtig und
ebendarum wird der zweite En'tschluß zweckmäßiger sein. Glaubt man aber
auch so mit den Kammern nicht regieren zu können, so fasse man einen kühnen
Entschluß und hebe die Verfassung auf. Jeder Mittelweg führt zu einer fal¬
schen Vorstellung von den im Land herrschenden Ueberzeugungen, führt zu
einem System gegenseitiger Uebervortheilung und Täuschung.


Sie mußten ihn überzeugen, daß seine Rathgeber sein Vertrauen nicht ver¬
dienten und so ihren Sturz herbeizuführen suchen.

Seit Einführung der Verfassung ist dieser gesetzliche Weg, der uns früher
fehlte, gesunden; die Kammern sind theils Träger bestimmter Rechte der Krone
gegenüber, theils Rathgeber der Krone und Theilhaber an der Gewalt der
Gesetzgebung. Nach der Verfassung haben die Kammern auch das Recht der
Initiative in der Gesetzgebung, wobei freilich der Krone vorbehalten bleibt, ob
sie dem Gesetz ihre Zustimmung geben will. Also nicht allein das Land, son¬
dern auch die Krone hat das Anrecht auf den verfassungsmäßigen Beirath der
Kammern. Als Beamter hat der Staatsbürger die Pflicht, die.Verordnung
seiner Vorgesetzten zu vollziehen; als Abgeordneter hat er die Pflicht, diese
Verordnungen an dem Maßstab seiner patriotischen Ueberzeugungen zu messen.
Beide Pflichten stehen miteinander nicht in Widerspruch. Hat doch selbst in
dieser Kammer ein großer Theil der Mitglieder der Rechten gegen einzelne
Vorschläge der Minister gestimmt. Hätte im Jahre 1806 eine Verfassung be¬
standen und wären auch damals alle Beamten verpflichtet worden, aus An¬
hänglichkeit a» das Königshaus Anhänger und Gesinnungsgenossen von Haug-
witz und Lombard zu sein, so würde dadurch auf die Ehre des preußischen
Bcamtenstandes ein Fleck gekommen sein, von dem er glücklicherweise frei ge¬
blieben ist. — Ja es kann Fälle geben, wo die Treue gegen das Königshaus
es mit sich bringt, von den Ansichten des augenblicklichen Trägers der Krone
abzuweichen. Die Krone stirbt nicht und die Loyalität verlangt zwar Gehor¬
sam , sie ist aber nicht abhängig von der Uebereinstimmung mit den Ansichten
des augenblicklich regierenden Königs. Hat man denn das Jahr 1797 aus
der preußischen Geschichte ganz vergessen?

Indeß die Mitglieder der Rechten, die sonst so eifrig gegen den französi¬
schen Constitutionalismus predigen, rufen in diesem Fall die französische Theorie
zu Hilfe. Im constitutionellen Staate muß der Beamte unbedingt abhängig
sein, sonst kann man mit ihm nicht regieren.

Wenn das wirklich der Fall sein sollte, so hat man die Wahl nur zwischen
zwei Entschlüssen.

Entweder müssen alle Beamte vom activen und passiven Wahlrecht aus¬
geschlossen werden; oder sie müssen das vollkommen freie Wahlrecht haben, wie
jeder Staatsbürger. — Man wird entgegnen, daß im ersten Fall das con-
servative Element nicht genügend vertreten wäre. Das ist gewiß richtig und
ebendarum wird der zweite En'tschluß zweckmäßiger sein. Glaubt man aber
auch so mit den Kammern nicht regieren zu können, so fasse man einen kühnen
Entschluß und hebe die Verfassung auf. Jeder Mittelweg führt zu einer fal¬
schen Vorstellung von den im Land herrschenden Ueberzeugungen, führt zu
einem System gegenseitiger Uebervortheilung und Täuschung.


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[0373] Sie mußten ihn überzeugen, daß seine Rathgeber sein Vertrauen nicht ver¬ dienten und so ihren Sturz herbeizuführen suchen. Seit Einführung der Verfassung ist dieser gesetzliche Weg, der uns früher fehlte, gesunden; die Kammern sind theils Träger bestimmter Rechte der Krone gegenüber, theils Rathgeber der Krone und Theilhaber an der Gewalt der Gesetzgebung. Nach der Verfassung haben die Kammern auch das Recht der Initiative in der Gesetzgebung, wobei freilich der Krone vorbehalten bleibt, ob sie dem Gesetz ihre Zustimmung geben will. Also nicht allein das Land, son¬ dern auch die Krone hat das Anrecht auf den verfassungsmäßigen Beirath der Kammern. Als Beamter hat der Staatsbürger die Pflicht, die.Verordnung seiner Vorgesetzten zu vollziehen; als Abgeordneter hat er die Pflicht, diese Verordnungen an dem Maßstab seiner patriotischen Ueberzeugungen zu messen. Beide Pflichten stehen miteinander nicht in Widerspruch. Hat doch selbst in dieser Kammer ein großer Theil der Mitglieder der Rechten gegen einzelne Vorschläge der Minister gestimmt. Hätte im Jahre 1806 eine Verfassung be¬ standen und wären auch damals alle Beamten verpflichtet worden, aus An¬ hänglichkeit a» das Königshaus Anhänger und Gesinnungsgenossen von Haug- witz und Lombard zu sein, so würde dadurch auf die Ehre des preußischen Bcamtenstandes ein Fleck gekommen sein, von dem er glücklicherweise frei ge¬ blieben ist. — Ja es kann Fälle geben, wo die Treue gegen das Königshaus es mit sich bringt, von den Ansichten des augenblicklichen Trägers der Krone abzuweichen. Die Krone stirbt nicht und die Loyalität verlangt zwar Gehor¬ sam , sie ist aber nicht abhängig von der Uebereinstimmung mit den Ansichten des augenblicklich regierenden Königs. Hat man denn das Jahr 1797 aus der preußischen Geschichte ganz vergessen? Indeß die Mitglieder der Rechten, die sonst so eifrig gegen den französi¬ schen Constitutionalismus predigen, rufen in diesem Fall die französische Theorie zu Hilfe. Im constitutionellen Staate muß der Beamte unbedingt abhängig sein, sonst kann man mit ihm nicht regieren. Wenn das wirklich der Fall sein sollte, so hat man die Wahl nur zwischen zwei Entschlüssen. Entweder müssen alle Beamte vom activen und passiven Wahlrecht aus¬ geschlossen werden; oder sie müssen das vollkommen freie Wahlrecht haben, wie jeder Staatsbürger. — Man wird entgegnen, daß im ersten Fall das con- servative Element nicht genügend vertreten wäre. Das ist gewiß richtig und ebendarum wird der zweite En'tschluß zweckmäßiger sein. Glaubt man aber auch so mit den Kammern nicht regieren zu können, so fasse man einen kühnen Entschluß und hebe die Verfassung auf. Jeder Mittelweg führt zu einer fal¬ schen Vorstellung von den im Land herrschenden Ueberzeugungen, führt zu einem System gegenseitiger Uebervortheilung und Täuschung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/373>, abgerufen am 23.07.2024.