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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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im hat, gleichfalls veräußert werden können. Der Zeitpacht ist in Angeln
seltener als in Schwansen und andern einst in vollem Besitze des Adels be¬
findlich gewesenen Strichen der Herzogtümer, und was bis zu Anfang dieses
Jahrhunderts von der Leibeigenschaft übrig geblieben war, wurde von Fried¬
rich VI. im Jahre 180i aufgehoben.

Diese Veränderungen haben, da sie hier in größerm Umfange stattfanden,
als anderwärts, auf das Wesen und die Physiognomie des Bauern¬
standes auch stärker ge.wirkt. Nirgend sieht man so deutlich die wohlthäti¬
gen Folgen der Befreiung von naturwidriger Banden, nirgend wird die
Landwirthschaft sorgsamer betrieben, nirgend ist mit der Hebung des Selbst¬
gefühls der Trieb nach Bildung so lebendig geworden, nirgend zeigen sich so
schöne Talente zur Selbstregierung in communalen Angelegenheiten, als in
Angeln.

Das, was das heutige Angeln vor andern Kegenden auszeichnet, hat
aber noch einen andern Erklärungsgrund. Der Angle ist ein Grenzbewohner
in noch eigentlichcrem Sinne als die südlich der Schlei wohnenden Stämme.
Er ist der letzte Schleswiger nach Norden, der die deutsche Sprache spricht, und
er ist, da er früher einen andern Dialekt redete, wiederholt Gegenstand der Be¬
strebungen gewesen, welche alle einst mehr oder minder dänischen Bezirke der
dänischen Sprache zurückerobern wollten. Er hat den neuen Besitz aber lieb
gewonnen und mag nicht von ihm lassen, und so sind die Angriffe auf densel¬
ben Ursache gewesen zur Aufbietung aller in dem begabten Volke liegenden Geistes¬
kräfte, zur Hinlenkung der Gemüther auf die vom Süden kommenden geistigen
Güter überhaupt und zur Erweckung des Bewußtseins über die politische
Lage. Die Erhebung und der Krieg gegen Dänemark haben hier Un¬
sägliches genützt, und vielleicht noch mehr haben die letzten fünf Jahre und
ihr stiller, leider für Deutschland nur zu stiller Kampf zur Entwicklung der
Verstandes- und Willenskräfte dieser wackern Grenzleute beigetragen. In dieser
Hinsicht sind die Leiden, die sie erduldet, ein Segen für sie geworden, und wenn
ihre Gegenwart düster ist, so wird die Zukunft, auf die sie hoffen, um so Heller
strahlen.

Eine Andeutung in Betreff des Charakters der Angeln habe ich Ihnen
früher gegeben. Wenn ich dieselbe hier weiter ausführe, so versteht es sich von
selbst, daß ich nur von der Regel spreche und Ausnahmen zugebe. Nur die
Baschkiren und Kalmücken sind alle nach einem Muster geschnitzt, civilisirte
Stämme aber erzeugen um so mehr Abweichungen von dem Gesammtcharakter,
je entwickelter in ihnen das geistige Leben ist, welches auf die Bildung wirk¬
licher Individuen hinstrebt.

Es gibt Merkmale, die im Allgemeinen als Stammeseigenthümlichkeilen
betrachtet werden können. Der Angle hat statt des Phlegma, welches in Hol-


im hat, gleichfalls veräußert werden können. Der Zeitpacht ist in Angeln
seltener als in Schwansen und andern einst in vollem Besitze des Adels be¬
findlich gewesenen Strichen der Herzogtümer, und was bis zu Anfang dieses
Jahrhunderts von der Leibeigenschaft übrig geblieben war, wurde von Fried¬
rich VI. im Jahre 180i aufgehoben.

Diese Veränderungen haben, da sie hier in größerm Umfange stattfanden,
als anderwärts, auf das Wesen und die Physiognomie des Bauern¬
standes auch stärker ge.wirkt. Nirgend sieht man so deutlich die wohlthäti¬
gen Folgen der Befreiung von naturwidriger Banden, nirgend wird die
Landwirthschaft sorgsamer betrieben, nirgend ist mit der Hebung des Selbst¬
gefühls der Trieb nach Bildung so lebendig geworden, nirgend zeigen sich so
schöne Talente zur Selbstregierung in communalen Angelegenheiten, als in
Angeln.

Das, was das heutige Angeln vor andern Kegenden auszeichnet, hat
aber noch einen andern Erklärungsgrund. Der Angle ist ein Grenzbewohner
in noch eigentlichcrem Sinne als die südlich der Schlei wohnenden Stämme.
Er ist der letzte Schleswiger nach Norden, der die deutsche Sprache spricht, und
er ist, da er früher einen andern Dialekt redete, wiederholt Gegenstand der Be¬
strebungen gewesen, welche alle einst mehr oder minder dänischen Bezirke der
dänischen Sprache zurückerobern wollten. Er hat den neuen Besitz aber lieb
gewonnen und mag nicht von ihm lassen, und so sind die Angriffe auf densel¬
ben Ursache gewesen zur Aufbietung aller in dem begabten Volke liegenden Geistes¬
kräfte, zur Hinlenkung der Gemüther auf die vom Süden kommenden geistigen
Güter überhaupt und zur Erweckung des Bewußtseins über die politische
Lage. Die Erhebung und der Krieg gegen Dänemark haben hier Un¬
sägliches genützt, und vielleicht noch mehr haben die letzten fünf Jahre und
ihr stiller, leider für Deutschland nur zu stiller Kampf zur Entwicklung der
Verstandes- und Willenskräfte dieser wackern Grenzleute beigetragen. In dieser
Hinsicht sind die Leiden, die sie erduldet, ein Segen für sie geworden, und wenn
ihre Gegenwart düster ist, so wird die Zukunft, auf die sie hoffen, um so Heller
strahlen.

Eine Andeutung in Betreff des Charakters der Angeln habe ich Ihnen
früher gegeben. Wenn ich dieselbe hier weiter ausführe, so versteht es sich von
selbst, daß ich nur von der Regel spreche und Ausnahmen zugebe. Nur die
Baschkiren und Kalmücken sind alle nach einem Muster geschnitzt, civilisirte
Stämme aber erzeugen um so mehr Abweichungen von dem Gesammtcharakter,
je entwickelter in ihnen das geistige Leben ist, welches auf die Bildung wirk¬
licher Individuen hinstrebt.

Es gibt Merkmale, die im Allgemeinen als Stammeseigenthümlichkeilen
betrachtet werden können. Der Angle hat statt des Phlegma, welches in Hol-


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[0037] im hat, gleichfalls veräußert werden können. Der Zeitpacht ist in Angeln seltener als in Schwansen und andern einst in vollem Besitze des Adels be¬ findlich gewesenen Strichen der Herzogtümer, und was bis zu Anfang dieses Jahrhunderts von der Leibeigenschaft übrig geblieben war, wurde von Fried¬ rich VI. im Jahre 180i aufgehoben. Diese Veränderungen haben, da sie hier in größerm Umfange stattfanden, als anderwärts, auf das Wesen und die Physiognomie des Bauern¬ standes auch stärker ge.wirkt. Nirgend sieht man so deutlich die wohlthäti¬ gen Folgen der Befreiung von naturwidriger Banden, nirgend wird die Landwirthschaft sorgsamer betrieben, nirgend ist mit der Hebung des Selbst¬ gefühls der Trieb nach Bildung so lebendig geworden, nirgend zeigen sich so schöne Talente zur Selbstregierung in communalen Angelegenheiten, als in Angeln. Das, was das heutige Angeln vor andern Kegenden auszeichnet, hat aber noch einen andern Erklärungsgrund. Der Angle ist ein Grenzbewohner in noch eigentlichcrem Sinne als die südlich der Schlei wohnenden Stämme. Er ist der letzte Schleswiger nach Norden, der die deutsche Sprache spricht, und er ist, da er früher einen andern Dialekt redete, wiederholt Gegenstand der Be¬ strebungen gewesen, welche alle einst mehr oder minder dänischen Bezirke der dänischen Sprache zurückerobern wollten. Er hat den neuen Besitz aber lieb gewonnen und mag nicht von ihm lassen, und so sind die Angriffe auf densel¬ ben Ursache gewesen zur Aufbietung aller in dem begabten Volke liegenden Geistes¬ kräfte, zur Hinlenkung der Gemüther auf die vom Süden kommenden geistigen Güter überhaupt und zur Erweckung des Bewußtseins über die politische Lage. Die Erhebung und der Krieg gegen Dänemark haben hier Un¬ sägliches genützt, und vielleicht noch mehr haben die letzten fünf Jahre und ihr stiller, leider für Deutschland nur zu stiller Kampf zur Entwicklung der Verstandes- und Willenskräfte dieser wackern Grenzleute beigetragen. In dieser Hinsicht sind die Leiden, die sie erduldet, ein Segen für sie geworden, und wenn ihre Gegenwart düster ist, so wird die Zukunft, auf die sie hoffen, um so Heller strahlen. Eine Andeutung in Betreff des Charakters der Angeln habe ich Ihnen früher gegeben. Wenn ich dieselbe hier weiter ausführe, so versteht es sich von selbst, daß ich nur von der Regel spreche und Ausnahmen zugebe. Nur die Baschkiren und Kalmücken sind alle nach einem Muster geschnitzt, civilisirte Stämme aber erzeugen um so mehr Abweichungen von dem Gesammtcharakter, je entwickelter in ihnen das geistige Leben ist, welches auf die Bildung wirk¬ licher Individuen hinstrebt. Es gibt Merkmale, die im Allgemeinen als Stammeseigenthümlichkeilen betrachtet werden können. Der Angle hat statt des Phlegma, welches in Hol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/37>, abgerufen am 25.08.2024.