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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Die beiden der Sonne nächsten Planeten, Venus und Merkur, werden
ebenfalls mit wenigen Federstrichen entvölkert. Es wird zugegeben, daß das
Licht und die Hitze auf der Venus nur das doppelte des Sonnenlichtes und
der Sonnenwärme auf der Erde sind. Die Venus mag eine Oberfläche wie
der Mond besitzen oder sich langsamer und ruhiger abgekühlt haben wie im
Feuer geschmolzenes Glas. Der Verfasser weiß nicht recht zu sagen, von
welcher Art er sich ihre Bewohner denken soll, "es müßten denn mikroskopische
Geschöpfe mit kieselhaltigen Hüllen sein, die sich neueren Forschern zufolge durch
Hitze kaum todten lassen." Von Merkur, sagt er, wissen wir noch weniger,
Und er hat, so weit wir urtheilen können, nicht eine einzige der Bedingun¬
gen, welche dazu gehören, wenn wir uns animalisches Leben auf ihm denken
wollen.

Um nun die Ansichten, die er von den einzelnen Planeten gewonnen
hat, unter ein allgemeines Princip zusammenzufassen, bekennt sich der Verfasser
zu der bekannten Dunst- oder Nebelhypothese und errichtet auf ihr als Basis
eine Theorie des Sonnensystems, die ihm eine gewisse religiöse Würde zu
haben scheint, obwol er fürchtet, "daß sie anfänglich manchem zu hastig,
zu phantastisch und sogar gegen die Ehrfurcht vor Gott verstoßend er¬
scheinen werde."

Mit jener Nebelhypothese verhält eS sich folgendermaßen. Kopernikus,
Galilei, Tycho, Kepler und Newton, die keinen andern Führer als die Bibel
hatten, glaubten, daß Gott durch sein allmächtiges Wort die Welten erschaffen
habe und alle Dinge durch dasselbe erhalte. Nachdem er durch sein Werde die
riesige Sonne entstehen und zum Mittelpunkte eines Systems hatte werden
lassen, schuf er die Planeten und ihre Monde, wies ihnen ihre Stelle im
Raume an und bestimmte ihre Schnelligkeit bei ihren täglichen und jährlichen
Bewegungen. Damit begnügte man sich. Später kam eine andere Schule
von Naturforschern auf, die mit dieser Erklärung nicht befriedigt waren. Buffon
war der erste seit Entdeckung des wahren Systems der Welt, der den Versuch
machte, die Entstehung der Planeten und ihrer Satelliten näher zu untersuchen.
Er stellte die Vermuthung auf, daß ein auf die Sonne fallender Komet einen
Strom von Materie von ihr abgerissen habe. Dieser habe sich in der Ent¬
fernung getheilt und in verschiedene Kugeln von größerem oder geringerem
Durchmesser geballt, die dann in größeren oder geringeren Abständen von dem
Mutterkörper ihren Kreislauf begonnen hätten, und diese Kugeln seien die
Planeten und ihre Monde.

Unzufrieden mit dieser eben nicht sehr glücklichen Erklärung stellte Laplace
eine andere auf. Er nahm als Urgeschaffenes unsres Systems eine Centralsonne
an, deren ungeheure Atmosphäre sich durch starke Hitze über die Bahnen der
letzten aller jetzt sichtbaren Planeten ausgedehnt habe. Neptun, der ent-


Die beiden der Sonne nächsten Planeten, Venus und Merkur, werden
ebenfalls mit wenigen Federstrichen entvölkert. Es wird zugegeben, daß das
Licht und die Hitze auf der Venus nur das doppelte des Sonnenlichtes und
der Sonnenwärme auf der Erde sind. Die Venus mag eine Oberfläche wie
der Mond besitzen oder sich langsamer und ruhiger abgekühlt haben wie im
Feuer geschmolzenes Glas. Der Verfasser weiß nicht recht zu sagen, von
welcher Art er sich ihre Bewohner denken soll, „es müßten denn mikroskopische
Geschöpfe mit kieselhaltigen Hüllen sein, die sich neueren Forschern zufolge durch
Hitze kaum todten lassen." Von Merkur, sagt er, wissen wir noch weniger,
Und er hat, so weit wir urtheilen können, nicht eine einzige der Bedingun¬
gen, welche dazu gehören, wenn wir uns animalisches Leben auf ihm denken
wollen.

Um nun die Ansichten, die er von den einzelnen Planeten gewonnen
hat, unter ein allgemeines Princip zusammenzufassen, bekennt sich der Verfasser
zu der bekannten Dunst- oder Nebelhypothese und errichtet auf ihr als Basis
eine Theorie des Sonnensystems, die ihm eine gewisse religiöse Würde zu
haben scheint, obwol er fürchtet, „daß sie anfänglich manchem zu hastig,
zu phantastisch und sogar gegen die Ehrfurcht vor Gott verstoßend er¬
scheinen werde."

Mit jener Nebelhypothese verhält eS sich folgendermaßen. Kopernikus,
Galilei, Tycho, Kepler und Newton, die keinen andern Führer als die Bibel
hatten, glaubten, daß Gott durch sein allmächtiges Wort die Welten erschaffen
habe und alle Dinge durch dasselbe erhalte. Nachdem er durch sein Werde die
riesige Sonne entstehen und zum Mittelpunkte eines Systems hatte werden
lassen, schuf er die Planeten und ihre Monde, wies ihnen ihre Stelle im
Raume an und bestimmte ihre Schnelligkeit bei ihren täglichen und jährlichen
Bewegungen. Damit begnügte man sich. Später kam eine andere Schule
von Naturforschern auf, die mit dieser Erklärung nicht befriedigt waren. Buffon
war der erste seit Entdeckung des wahren Systems der Welt, der den Versuch
machte, die Entstehung der Planeten und ihrer Satelliten näher zu untersuchen.
Er stellte die Vermuthung auf, daß ein auf die Sonne fallender Komet einen
Strom von Materie von ihr abgerissen habe. Dieser habe sich in der Ent¬
fernung getheilt und in verschiedene Kugeln von größerem oder geringerem
Durchmesser geballt, die dann in größeren oder geringeren Abständen von dem
Mutterkörper ihren Kreislauf begonnen hätten, und diese Kugeln seien die
Planeten und ihre Monde.

Unzufrieden mit dieser eben nicht sehr glücklichen Erklärung stellte Laplace
eine andere auf. Er nahm als Urgeschaffenes unsres Systems eine Centralsonne
an, deren ungeheure Atmosphäre sich durch starke Hitze über die Bahnen der
letzten aller jetzt sichtbaren Planeten ausgedehnt habe. Neptun, der ent-


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[0357] Die beiden der Sonne nächsten Planeten, Venus und Merkur, werden ebenfalls mit wenigen Federstrichen entvölkert. Es wird zugegeben, daß das Licht und die Hitze auf der Venus nur das doppelte des Sonnenlichtes und der Sonnenwärme auf der Erde sind. Die Venus mag eine Oberfläche wie der Mond besitzen oder sich langsamer und ruhiger abgekühlt haben wie im Feuer geschmolzenes Glas. Der Verfasser weiß nicht recht zu sagen, von welcher Art er sich ihre Bewohner denken soll, „es müßten denn mikroskopische Geschöpfe mit kieselhaltigen Hüllen sein, die sich neueren Forschern zufolge durch Hitze kaum todten lassen." Von Merkur, sagt er, wissen wir noch weniger, Und er hat, so weit wir urtheilen können, nicht eine einzige der Bedingun¬ gen, welche dazu gehören, wenn wir uns animalisches Leben auf ihm denken wollen. Um nun die Ansichten, die er von den einzelnen Planeten gewonnen hat, unter ein allgemeines Princip zusammenzufassen, bekennt sich der Verfasser zu der bekannten Dunst- oder Nebelhypothese und errichtet auf ihr als Basis eine Theorie des Sonnensystems, die ihm eine gewisse religiöse Würde zu haben scheint, obwol er fürchtet, „daß sie anfänglich manchem zu hastig, zu phantastisch und sogar gegen die Ehrfurcht vor Gott verstoßend er¬ scheinen werde." Mit jener Nebelhypothese verhält eS sich folgendermaßen. Kopernikus, Galilei, Tycho, Kepler und Newton, die keinen andern Führer als die Bibel hatten, glaubten, daß Gott durch sein allmächtiges Wort die Welten erschaffen habe und alle Dinge durch dasselbe erhalte. Nachdem er durch sein Werde die riesige Sonne entstehen und zum Mittelpunkte eines Systems hatte werden lassen, schuf er die Planeten und ihre Monde, wies ihnen ihre Stelle im Raume an und bestimmte ihre Schnelligkeit bei ihren täglichen und jährlichen Bewegungen. Damit begnügte man sich. Später kam eine andere Schule von Naturforschern auf, die mit dieser Erklärung nicht befriedigt waren. Buffon war der erste seit Entdeckung des wahren Systems der Welt, der den Versuch machte, die Entstehung der Planeten und ihrer Satelliten näher zu untersuchen. Er stellte die Vermuthung auf, daß ein auf die Sonne fallender Komet einen Strom von Materie von ihr abgerissen habe. Dieser habe sich in der Ent¬ fernung getheilt und in verschiedene Kugeln von größerem oder geringerem Durchmesser geballt, die dann in größeren oder geringeren Abständen von dem Mutterkörper ihren Kreislauf begonnen hätten, und diese Kugeln seien die Planeten und ihre Monde. Unzufrieden mit dieser eben nicht sehr glücklichen Erklärung stellte Laplace eine andere auf. Er nahm als Urgeschaffenes unsres Systems eine Centralsonne an, deren ungeheure Atmosphäre sich durch starke Hitze über die Bahnen der letzten aller jetzt sichtbaren Planeten ausgedehnt habe. Neptun, der ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/357>, abgerufen am 23.07.2024.