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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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wir von den Regeln der Natur wissen, nicht zu widerlaufen, wenn nur wenige,
oder wenn auch nur eine (unsre Erde nämlich) bis jetzt diese Beschaffenheit
erreicht haben sollte. Alle übrigen, mit Ausnahme der einen, können noch in
der Bildung begriffene Systeme oder Trümmer oder Funken sein, die bei der
Bildung jener einen abfielen. Wir sehen endlich nicht selten Sterne ver-
schwinden und an andern Stellen neue erscheinen. Infolge der Zeit, welche
das Licht eines Sternes braucht, um bis zu unsern Augen zu gelangen, ist
der Umstand, daß wir einen Stern sehen, kein Beweis, daß derselbe jetzt noch
eristirt, sondern nur, daß er vor so und so vielen Jahren oder Jahrtausenden
eristirt hat. Man kann sagen, daß ein Stern, welcher, als das Licht, bei dem
wir ihn erkennen, von ihm aufging, ein bloßes Chaos war, in den Jahr¬
tausenden, die dieses Licht bedürfte, um bis zu uns zu gelangen, zu einer ge¬
ordneten Welt erwachsen sein mag. Das ist nichts als eine Möglichkeit, der
wir eine andere, mindestens ebenso mögliche Vermuthung entgegenstellen können,
die nämlich, daß die entfernten Fixsterne bloße Funken oder Bruchstücke sind,
abgesprengt bei der 'Formation des Sonnensystems, längst erloschen und
nur dem Anscheine nach noch leuchtend mit dem Lichte, welches sie zuerst aus¬
strahlten.

Wie es bei solchen Ansichten mit den Bewohnern der Fixsterne, der
Doppelsterne und Nebelflecke steht, brauchen wir nicht weiter zu verfolgen.
Poeten, welche sie brauchen, verlieren dabei einen nützlichen Stoff, aber es
sind unsres Wissens nicht die besten, die auf diese Weise gekürzt und beein¬
trächtigt werden, und wären sie es, so hat die freudloseste Wahrheit den Vor-
rang vor dem schönsten Scheine -- nat MstMa, et pöreat munäus.

Wenn nun Whewell, nachdem er die Dichtheit und damit die Bewohn¬
barkeit der Sterne für unwahrscheinlich oder doch nicht erwiesen erklärt hat, zu
den Planeten kommt, so glaubt er mit größerer Bestimmtheit sprechen zu kön¬
nen. Die außerhalb der Erdbahn um die Sonne sich drehenden sind ihm un¬
geheure Wolkenbälle mit grünt- und inhaltlosen Wasser in ihrem Centrum,
während die innerhalb der Erdbahn laufenden Kohlen oder Massen von Schlacke
wie der Mond seien. Die Satelliten des Jupiter und Saturn aber werden
als Dunst bezeichnet, der sich von ihrer Atmosphäre getrennt und Kugelgestalt an¬
genommen hat.

Whewell weiß nichts von jener stärkern Centralhitze in Neptun, Uranus
und Saturn und nichts von der anders eingerichteten Atmosphäre derselben,
mit welcher Brewster dort seine Planetenmenschen vor der Kälte schützt. Er
weiß nur, daß sie. beträchtlich weniger dicht als die Erde, und daß sie viel
weiter von der Sonne entfernt sind, als diese. So ist ihm Neptun bis aus
weiteres nur eine ungeheure Masse von Dunst und Wolken, Wasser und Luft,
eine dunkle kalte Welt, wo das Licht der Sonne nicht im Stande ist, die


wir von den Regeln der Natur wissen, nicht zu widerlaufen, wenn nur wenige,
oder wenn auch nur eine (unsre Erde nämlich) bis jetzt diese Beschaffenheit
erreicht haben sollte. Alle übrigen, mit Ausnahme der einen, können noch in
der Bildung begriffene Systeme oder Trümmer oder Funken sein, die bei der
Bildung jener einen abfielen. Wir sehen endlich nicht selten Sterne ver-
schwinden und an andern Stellen neue erscheinen. Infolge der Zeit, welche
das Licht eines Sternes braucht, um bis zu unsern Augen zu gelangen, ist
der Umstand, daß wir einen Stern sehen, kein Beweis, daß derselbe jetzt noch
eristirt, sondern nur, daß er vor so und so vielen Jahren oder Jahrtausenden
eristirt hat. Man kann sagen, daß ein Stern, welcher, als das Licht, bei dem
wir ihn erkennen, von ihm aufging, ein bloßes Chaos war, in den Jahr¬
tausenden, die dieses Licht bedürfte, um bis zu uns zu gelangen, zu einer ge¬
ordneten Welt erwachsen sein mag. Das ist nichts als eine Möglichkeit, der
wir eine andere, mindestens ebenso mögliche Vermuthung entgegenstellen können,
die nämlich, daß die entfernten Fixsterne bloße Funken oder Bruchstücke sind,
abgesprengt bei der 'Formation des Sonnensystems, längst erloschen und
nur dem Anscheine nach noch leuchtend mit dem Lichte, welches sie zuerst aus¬
strahlten.

Wie es bei solchen Ansichten mit den Bewohnern der Fixsterne, der
Doppelsterne und Nebelflecke steht, brauchen wir nicht weiter zu verfolgen.
Poeten, welche sie brauchen, verlieren dabei einen nützlichen Stoff, aber es
sind unsres Wissens nicht die besten, die auf diese Weise gekürzt und beein¬
trächtigt werden, und wären sie es, so hat die freudloseste Wahrheit den Vor-
rang vor dem schönsten Scheine — nat MstMa, et pöreat munäus.

Wenn nun Whewell, nachdem er die Dichtheit und damit die Bewohn¬
barkeit der Sterne für unwahrscheinlich oder doch nicht erwiesen erklärt hat, zu
den Planeten kommt, so glaubt er mit größerer Bestimmtheit sprechen zu kön¬
nen. Die außerhalb der Erdbahn um die Sonne sich drehenden sind ihm un¬
geheure Wolkenbälle mit grünt- und inhaltlosen Wasser in ihrem Centrum,
während die innerhalb der Erdbahn laufenden Kohlen oder Massen von Schlacke
wie der Mond seien. Die Satelliten des Jupiter und Saturn aber werden
als Dunst bezeichnet, der sich von ihrer Atmosphäre getrennt und Kugelgestalt an¬
genommen hat.

Whewell weiß nichts von jener stärkern Centralhitze in Neptun, Uranus
und Saturn und nichts von der anders eingerichteten Atmosphäre derselben,
mit welcher Brewster dort seine Planetenmenschen vor der Kälte schützt. Er
weiß nur, daß sie. beträchtlich weniger dicht als die Erde, und daß sie viel
weiter von der Sonne entfernt sind, als diese. So ist ihm Neptun bis aus
weiteres nur eine ungeheure Masse von Dunst und Wolken, Wasser und Luft,
eine dunkle kalte Welt, wo das Licht der Sonne nicht im Stande ist, die


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[0354] wir von den Regeln der Natur wissen, nicht zu widerlaufen, wenn nur wenige, oder wenn auch nur eine (unsre Erde nämlich) bis jetzt diese Beschaffenheit erreicht haben sollte. Alle übrigen, mit Ausnahme der einen, können noch in der Bildung begriffene Systeme oder Trümmer oder Funken sein, die bei der Bildung jener einen abfielen. Wir sehen endlich nicht selten Sterne ver- schwinden und an andern Stellen neue erscheinen. Infolge der Zeit, welche das Licht eines Sternes braucht, um bis zu unsern Augen zu gelangen, ist der Umstand, daß wir einen Stern sehen, kein Beweis, daß derselbe jetzt noch eristirt, sondern nur, daß er vor so und so vielen Jahren oder Jahrtausenden eristirt hat. Man kann sagen, daß ein Stern, welcher, als das Licht, bei dem wir ihn erkennen, von ihm aufging, ein bloßes Chaos war, in den Jahr¬ tausenden, die dieses Licht bedürfte, um bis zu uns zu gelangen, zu einer ge¬ ordneten Welt erwachsen sein mag. Das ist nichts als eine Möglichkeit, der wir eine andere, mindestens ebenso mögliche Vermuthung entgegenstellen können, die nämlich, daß die entfernten Fixsterne bloße Funken oder Bruchstücke sind, abgesprengt bei der 'Formation des Sonnensystems, längst erloschen und nur dem Anscheine nach noch leuchtend mit dem Lichte, welches sie zuerst aus¬ strahlten. Wie es bei solchen Ansichten mit den Bewohnern der Fixsterne, der Doppelsterne und Nebelflecke steht, brauchen wir nicht weiter zu verfolgen. Poeten, welche sie brauchen, verlieren dabei einen nützlichen Stoff, aber es sind unsres Wissens nicht die besten, die auf diese Weise gekürzt und beein¬ trächtigt werden, und wären sie es, so hat die freudloseste Wahrheit den Vor- rang vor dem schönsten Scheine — nat MstMa, et pöreat munäus. Wenn nun Whewell, nachdem er die Dichtheit und damit die Bewohn¬ barkeit der Sterne für unwahrscheinlich oder doch nicht erwiesen erklärt hat, zu den Planeten kommt, so glaubt er mit größerer Bestimmtheit sprechen zu kön¬ nen. Die außerhalb der Erdbahn um die Sonne sich drehenden sind ihm un¬ geheure Wolkenbälle mit grünt- und inhaltlosen Wasser in ihrem Centrum, während die innerhalb der Erdbahn laufenden Kohlen oder Massen von Schlacke wie der Mond seien. Die Satelliten des Jupiter und Saturn aber werden als Dunst bezeichnet, der sich von ihrer Atmosphäre getrennt und Kugelgestalt an¬ genommen hat. Whewell weiß nichts von jener stärkern Centralhitze in Neptun, Uranus und Saturn und nichts von der anders eingerichteten Atmosphäre derselben, mit welcher Brewster dort seine Planetenmenschen vor der Kälte schützt. Er weiß nur, daß sie. beträchtlich weniger dicht als die Erde, und daß sie viel weiter von der Sonne entfernt sind, als diese. So ist ihm Neptun bis aus weiteres nur eine ungeheure Masse von Dunst und Wolken, Wasser und Luft, eine dunkle kalte Welt, wo das Licht der Sonne nicht im Stande ist, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/354>, abgerufen am 23.07.2024.