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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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der Interpretation fähig seien, so habe sein Versprechen die fünf Punkte aufrecht
zu erhalten keinen Werth. Die Empfehlung dieser fünf Punkte sei nicht im
Interesse Europas, sondern im Interesse Rußlands grade in einem Augenblick
geschehen, wo der Krieg gegen Nußland Erfolge versprochen habe. Lasse man
Preußen an den Konferenzen Theil nehmen, so werde es stets nur den russischen
Auffassungen zustimmen und dadurch den Gang der Conferenzen verzögern,
dieselben vielleicht scheitern machen. Es stehe selbst zu befürchten, daß, sollten
die> Conferenzen fruchtlos enden, es Nußland gelungen sein werde, Preußen
auch formell ganz auf seine Seite hinüberzuziehen. Wenn Preußen jeder
einzelnen einseitig russischen Auslegung werde zugestimmt haben, so werde es
sich schließlich dadurch als Alliirten Rußlands hingestellt haben. Es sei im
Interesse Preußens selbst, es davor zu bewahren.

Diese Argumentation ist fast noch kränkender als die Ausschließung selbst.
Sie geht darauf hinaus, daß man Preußen nicht als Großmacht behandeln
könne, weil es nicht als Großmacht gehandelt habe und daß man Preußen
von den Conferenzen ausschließen müsse, weil das preußische Ministerium deS
Auswärtigen so ungeschickt sein werde, die Interessen Preußens auf denselben
nur zu verderben. Das Letztere ist ein Argument, an dessen Aufrichtigkeit
man wenigstens bei Oestreich und Frankreich zweifeln darf, welches übrigens
auch, so weit wir wissen, nur von England vorgebracht worden ist.

So beklagenswert!) die Stellung ist, welche Preußen demnach einnimmt,
so befürchten wir, daß die Mittel, welche Preußen in neuester Zeit angewandt
hat, um sie zu verändern, nicht zum Ziele führen, ja vielmehr die Lage ver¬
schlimmern werden.

Wollte Preußen als Einzelmacht den Eintritt in den Conferenzsaal er¬
reichen, so war allerdings vor allem nothwendig, daß eS sich bei seinen frühe¬
ren Verbündeten wieder Vertrauen erwerbe, und da man nicht bloßen Worten,
sondern nur Personen Vertrauen schenkt, daß Personenänderungcn eintraten.
Begreiflicherweise wollte man in Berlin von solchen Aenderungen nichts wissen.

Preußen hat es daher versucht, als Bundesmacht Zutritt zu den FriedenS-
conferenzen zu erlangen. Es ist von Interesse, den Gang der Verhandlungen
in dieser Hinsicht zu verfolgen.

Unterm 2S. Januar theilte Oestreich, ohne vorher eine Vereinigung mit
Preußen versucht zu haben, nach Berlin die Vorlage, welche es an den Bun¬
destag bringen wollte, mit. Dieselbe trägt darauf an, daß der Bund erkläre,
im Verein mit Oestreich die fünf Punkte aufrecht erhalten zu wollen.

Es versteht sich von selbst, daß Preußen Bedenken trägt, nur noch durch
die Vermittlung Oestreichs mit dem übrigen Europa in Verbindung zu treten.
Für Baiern und Sachsen ist diese Stellung ganz in der Ordnung, einer Gro߬
macht ist sie unwürdig.


der Interpretation fähig seien, so habe sein Versprechen die fünf Punkte aufrecht
zu erhalten keinen Werth. Die Empfehlung dieser fünf Punkte sei nicht im
Interesse Europas, sondern im Interesse Rußlands grade in einem Augenblick
geschehen, wo der Krieg gegen Nußland Erfolge versprochen habe. Lasse man
Preußen an den Konferenzen Theil nehmen, so werde es stets nur den russischen
Auffassungen zustimmen und dadurch den Gang der Conferenzen verzögern,
dieselben vielleicht scheitern machen. Es stehe selbst zu befürchten, daß, sollten
die> Conferenzen fruchtlos enden, es Nußland gelungen sein werde, Preußen
auch formell ganz auf seine Seite hinüberzuziehen. Wenn Preußen jeder
einzelnen einseitig russischen Auslegung werde zugestimmt haben, so werde es
sich schließlich dadurch als Alliirten Rußlands hingestellt haben. Es sei im
Interesse Preußens selbst, es davor zu bewahren.

Diese Argumentation ist fast noch kränkender als die Ausschließung selbst.
Sie geht darauf hinaus, daß man Preußen nicht als Großmacht behandeln
könne, weil es nicht als Großmacht gehandelt habe und daß man Preußen
von den Conferenzen ausschließen müsse, weil das preußische Ministerium deS
Auswärtigen so ungeschickt sein werde, die Interessen Preußens auf denselben
nur zu verderben. Das Letztere ist ein Argument, an dessen Aufrichtigkeit
man wenigstens bei Oestreich und Frankreich zweifeln darf, welches übrigens
auch, so weit wir wissen, nur von England vorgebracht worden ist.

So beklagenswert!) die Stellung ist, welche Preußen demnach einnimmt,
so befürchten wir, daß die Mittel, welche Preußen in neuester Zeit angewandt
hat, um sie zu verändern, nicht zum Ziele führen, ja vielmehr die Lage ver¬
schlimmern werden.

Wollte Preußen als Einzelmacht den Eintritt in den Conferenzsaal er¬
reichen, so war allerdings vor allem nothwendig, daß eS sich bei seinen frühe¬
ren Verbündeten wieder Vertrauen erwerbe, und da man nicht bloßen Worten,
sondern nur Personen Vertrauen schenkt, daß Personenänderungcn eintraten.
Begreiflicherweise wollte man in Berlin von solchen Aenderungen nichts wissen.

Preußen hat es daher versucht, als Bundesmacht Zutritt zu den FriedenS-
conferenzen zu erlangen. Es ist von Interesse, den Gang der Verhandlungen
in dieser Hinsicht zu verfolgen.

Unterm 2S. Januar theilte Oestreich, ohne vorher eine Vereinigung mit
Preußen versucht zu haben, nach Berlin die Vorlage, welche es an den Bun¬
destag bringen wollte, mit. Dieselbe trägt darauf an, daß der Bund erkläre,
im Verein mit Oestreich die fünf Punkte aufrecht erhalten zu wollen.

Es versteht sich von selbst, daß Preußen Bedenken trägt, nur noch durch
die Vermittlung Oestreichs mit dem übrigen Europa in Verbindung zu treten.
Für Baiern und Sachsen ist diese Stellung ganz in der Ordnung, einer Gro߬
macht ist sie unwürdig.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/325>, abgerufen am 23.07.2024.