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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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des Professes erlaubte, hatte er schon die dazu erforderlichen Kenntnisse erlangt
und mußte einem gelehrten Klosterbruder übergeben werden, der ihm im Latei¬
nischen, Griechischen und in der Kirchengeschichte Unterricht ertheilte. Un¬
gewöhnlich schnell war seitdem Fra Felice von Stufe zu Stufe in seinem Orden
gestiegen, geschützt und gehoben von Wenigen, die nur seine außergewöhnliche
Begabung im Auge hatten, gehaßt und verfolgt von Vielen, ebenfalls um jener
Begabung, mehr aber noch um der ungewöhnlichen Schärfen und Härten
seines Charakters, seiner Anmaßung, Herrsch- und Streitsucht willen. Doch
seit seiner Erhebung zur CardinalSwürde schien sich sein Wesen nach und nach
vollständig umgekehrt zu haben. Der kräftige, stolzschreitende Mann wurde
zum demüthig' und gebückt dahinschreitcnden Greise, statt der tiefen und weiten
Kenntnisse zeigte er eine Unwissenheit und Beschränktheit, die ihm von Seiten
seiner Kollegen die Namen "märkischer Esel" und "römisches Vieh" zuzogen.
Diese Beleidigungen und tausend andre nahm er hin mit sanftem und unter¬
würfigem Lächeln; nur beschäftigt mit seinem Keuchhusten, seinen Gicht- und
Steinschmerzen schien er Auge und Sinn verloren zu haben für alles um ihn
her Vorgehende. Wenige seiner jetzigen College" hatten ihn als General oder
Inquisitor seines Ordens, kein einziger in seinen niedern Aemtern gekannt-
die Jahre und die Gewöhnung an seine jetzige Gestalt hatten bei den ersteren
sein früheres Leben in Vergessenheit gebracht. Nur Farnese hatte aus der
Zeit her, wo Peretti als General des Frauziskanerordens vielfache Verdrie߬
lichkeiten erregt hatte, eine üble Meinung von ihm bewahrt, und betrachtete
die Umwandlung seines Wesens mir Mißtrauen; wenngleich der Stolz deö
mächtigen Fürsten die elende Persönlichkeit des früheren Schweinehirten keiner
besondern Aufmerksamkeit würdigte. Während nach dem Tode Gregors die übrigen
Cardinäle alles aufboten, um für das bevorstehende Conclave ihre Interessen zu
wahren und zu fördern, und ihr Verdienst in den Augen der andern ins Licht zu
setzen, kroch Montalto von einem Cardinäle zum andern, jeden preisend, sich jedem
für verpflichtet erklärend, jeden versichernd, daß der Kirche schreiendes Unrecht
geschehe, wenn er -- sein Protector und Wohlthäter -- nicht den päpstlichen Stuhl
- bestiege. Im Conclave saß er größtentheils in seiner Zelle, den Rosenkranz
zwischen den Fingern oder in seinem Brevier lesend, hustend und stöhnend, als ob
er nicht vierundzwanzig Stunden mehr zu leben hätte. Selten, höchstens um
ein Scrutinium mitzumachen, verließ er die Zelle, und dann anscheinend mit
einer gewissen Zerstreutheit oder Gedankenabweseuheit, von der er nur auf
Augenblicke zurückzukommen schien, wenn er zufällig dem Farnese oder San
Sisto begegnete (zwei Parteihäupter, von denen er wußte, daß sie ihm am
meisten abgeneigt waren). Er sprach dann sein Erstaunen darüber aus daß
das Cardinalcollegium noch immer in seiner Blindheit verharre für die so
vielfachen und rechtmäßigen Ansprüche seiner Eminenz auf das Pontisicat.


des Professes erlaubte, hatte er schon die dazu erforderlichen Kenntnisse erlangt
und mußte einem gelehrten Klosterbruder übergeben werden, der ihm im Latei¬
nischen, Griechischen und in der Kirchengeschichte Unterricht ertheilte. Un¬
gewöhnlich schnell war seitdem Fra Felice von Stufe zu Stufe in seinem Orden
gestiegen, geschützt und gehoben von Wenigen, die nur seine außergewöhnliche
Begabung im Auge hatten, gehaßt und verfolgt von Vielen, ebenfalls um jener
Begabung, mehr aber noch um der ungewöhnlichen Schärfen und Härten
seines Charakters, seiner Anmaßung, Herrsch- und Streitsucht willen. Doch
seit seiner Erhebung zur CardinalSwürde schien sich sein Wesen nach und nach
vollständig umgekehrt zu haben. Der kräftige, stolzschreitende Mann wurde
zum demüthig' und gebückt dahinschreitcnden Greise, statt der tiefen und weiten
Kenntnisse zeigte er eine Unwissenheit und Beschränktheit, die ihm von Seiten
seiner Kollegen die Namen „märkischer Esel" und „römisches Vieh" zuzogen.
Diese Beleidigungen und tausend andre nahm er hin mit sanftem und unter¬
würfigem Lächeln; nur beschäftigt mit seinem Keuchhusten, seinen Gicht- und
Steinschmerzen schien er Auge und Sinn verloren zu haben für alles um ihn
her Vorgehende. Wenige seiner jetzigen College» hatten ihn als General oder
Inquisitor seines Ordens, kein einziger in seinen niedern Aemtern gekannt-
die Jahre und die Gewöhnung an seine jetzige Gestalt hatten bei den ersteren
sein früheres Leben in Vergessenheit gebracht. Nur Farnese hatte aus der
Zeit her, wo Peretti als General des Frauziskanerordens vielfache Verdrie߬
lichkeiten erregt hatte, eine üble Meinung von ihm bewahrt, und betrachtete
die Umwandlung seines Wesens mir Mißtrauen; wenngleich der Stolz deö
mächtigen Fürsten die elende Persönlichkeit des früheren Schweinehirten keiner
besondern Aufmerksamkeit würdigte. Während nach dem Tode Gregors die übrigen
Cardinäle alles aufboten, um für das bevorstehende Conclave ihre Interessen zu
wahren und zu fördern, und ihr Verdienst in den Augen der andern ins Licht zu
setzen, kroch Montalto von einem Cardinäle zum andern, jeden preisend, sich jedem
für verpflichtet erklärend, jeden versichernd, daß der Kirche schreiendes Unrecht
geschehe, wenn er — sein Protector und Wohlthäter — nicht den päpstlichen Stuhl
- bestiege. Im Conclave saß er größtentheils in seiner Zelle, den Rosenkranz
zwischen den Fingern oder in seinem Brevier lesend, hustend und stöhnend, als ob
er nicht vierundzwanzig Stunden mehr zu leben hätte. Selten, höchstens um
ein Scrutinium mitzumachen, verließ er die Zelle, und dann anscheinend mit
einer gewissen Zerstreutheit oder Gedankenabweseuheit, von der er nur auf
Augenblicke zurückzukommen schien, wenn er zufällig dem Farnese oder San
Sisto begegnete (zwei Parteihäupter, von denen er wußte, daß sie ihm am
meisten abgeneigt waren). Er sprach dann sein Erstaunen darüber aus daß
das Cardinalcollegium noch immer in seiner Blindheit verharre für die so
vielfachen und rechtmäßigen Ansprüche seiner Eminenz auf das Pontisicat.


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[0303] des Professes erlaubte, hatte er schon die dazu erforderlichen Kenntnisse erlangt und mußte einem gelehrten Klosterbruder übergeben werden, der ihm im Latei¬ nischen, Griechischen und in der Kirchengeschichte Unterricht ertheilte. Un¬ gewöhnlich schnell war seitdem Fra Felice von Stufe zu Stufe in seinem Orden gestiegen, geschützt und gehoben von Wenigen, die nur seine außergewöhnliche Begabung im Auge hatten, gehaßt und verfolgt von Vielen, ebenfalls um jener Begabung, mehr aber noch um der ungewöhnlichen Schärfen und Härten seines Charakters, seiner Anmaßung, Herrsch- und Streitsucht willen. Doch seit seiner Erhebung zur CardinalSwürde schien sich sein Wesen nach und nach vollständig umgekehrt zu haben. Der kräftige, stolzschreitende Mann wurde zum demüthig' und gebückt dahinschreitcnden Greise, statt der tiefen und weiten Kenntnisse zeigte er eine Unwissenheit und Beschränktheit, die ihm von Seiten seiner Kollegen die Namen „märkischer Esel" und „römisches Vieh" zuzogen. Diese Beleidigungen und tausend andre nahm er hin mit sanftem und unter¬ würfigem Lächeln; nur beschäftigt mit seinem Keuchhusten, seinen Gicht- und Steinschmerzen schien er Auge und Sinn verloren zu haben für alles um ihn her Vorgehende. Wenige seiner jetzigen College» hatten ihn als General oder Inquisitor seines Ordens, kein einziger in seinen niedern Aemtern gekannt- die Jahre und die Gewöhnung an seine jetzige Gestalt hatten bei den ersteren sein früheres Leben in Vergessenheit gebracht. Nur Farnese hatte aus der Zeit her, wo Peretti als General des Frauziskanerordens vielfache Verdrie߬ lichkeiten erregt hatte, eine üble Meinung von ihm bewahrt, und betrachtete die Umwandlung seines Wesens mir Mißtrauen; wenngleich der Stolz deö mächtigen Fürsten die elende Persönlichkeit des früheren Schweinehirten keiner besondern Aufmerksamkeit würdigte. Während nach dem Tode Gregors die übrigen Cardinäle alles aufboten, um für das bevorstehende Conclave ihre Interessen zu wahren und zu fördern, und ihr Verdienst in den Augen der andern ins Licht zu setzen, kroch Montalto von einem Cardinäle zum andern, jeden preisend, sich jedem für verpflichtet erklärend, jeden versichernd, daß der Kirche schreiendes Unrecht geschehe, wenn er — sein Protector und Wohlthäter — nicht den päpstlichen Stuhl - bestiege. Im Conclave saß er größtentheils in seiner Zelle, den Rosenkranz zwischen den Fingern oder in seinem Brevier lesend, hustend und stöhnend, als ob er nicht vierundzwanzig Stunden mehr zu leben hätte. Selten, höchstens um ein Scrutinium mitzumachen, verließ er die Zelle, und dann anscheinend mit einer gewissen Zerstreutheit oder Gedankenabweseuheit, von der er nur auf Augenblicke zurückzukommen schien, wenn er zufällig dem Farnese oder San Sisto begegnete (zwei Parteihäupter, von denen er wußte, daß sie ihm am meisten abgeneigt waren). Er sprach dann sein Erstaunen darüber aus daß das Cardinalcollegium noch immer in seiner Blindheit verharre für die so vielfachen und rechtmäßigen Ansprüche seiner Eminenz auf das Pontisicat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/303>, abgerufen am 23.07.2024.