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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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und eine körperlose Hand schreibt an die Marmorwand riesige Zeichen. Da
fängt der König doch an zu beben, seine Mutter warnt ihn, der Hebräer
Daniel, der in der Löwengrube unversehrt singt, wird jetzt zu dem zagenden
Könige bestellt. -- Unterdes) leiten die Perser den Euphrat ab und dringen
heimlich durch das Flußbett in die Stadt. -- Belsazzar kämpft immer noch
zwischen Ahnungen und böser Lust, Daniel warnt ihn -- Thirza erwartet auf
der Höhe des Baalstempbls mit Schaudern die Ankunft des Königs. -- Die
Perser marschiren weiter vor, Jrad stürzt die Treppe des Tempels hinauf, er
findet die Geliebte, freudiges Wiedersehen, er sinkt mit ihr auf dem Purpur¬
kissen nieder; er erzählt ihr, wie er sich gerettet, daß die Perser eingedrungen
und unter anderem auch, daß ihr Vater getödtet sei. -- Furchtbarer Kampf
in den Straßen. Der Leser erfährt mit Schrecken, daß auch die Pest sich
eingestellt hat. Jrad will mit der Geliebten den Thurm hinunter, kämpfende
Babylonier dringen auf ihn ein, er wird getödtet. Thirza trauert über ihn
und fühlt in derselben Stunde, daß sie von der Pest ergriffen ist. Belsazzar
stürzt durch die Schrecken der Nacht zum Thurm des Tempels, um vor
seinem Tode noch einen Genuß zu haben. Er schlingt den Arm um Thirza,
sie erwiedert wild seine Küsse und theilt ihm dadurch die Pest mit, sie stirbt. --
Daniel triumphirt über die Befreiung Israels -- Belsazzar rennt wieder mit
der Pest in den Gliedern nach seinem Palast und stirbt dort, seine Mutter
mit ihm. -- Siegeslieder der Perser und der Juden. -- Das ungefähr ist der
Inhalt dieses unerfreulichen Gedichtes. Abgerissen, schattenhaft, ohne Wirkung
sind die einzelnen Situationen, die Erfindung ist ärmlich, die unkünstlerische
Willkür verletzend. Für die Personen sich zu interesstren ist nicht möglich. In
einzelnen kleinen Zügen erkennt man das bekannte Talent des Dichters, aber
die Flüchtigkeit und Rohheit der Erzählung verhindert den Genuß auch wohl¬
klingender Verse und einzelner wirksamer Schilderungen. Auch diesem Gedicht
fehlt der verständige Inhalt, dagegen welch wüste Häufung von Unmöglichkeiten!
Das rapide Ausbrechen der Pest während der Straßenschlacht, das gemüth¬
liche Niederlegen der Geliebten auf dem Thurme während der Schlacht, daS
unsinnige Umherlaufen des Belsazzar u. s. w. Es hätte nicht gelohnt, den
Leser mit solchem Inhalt bekannt zu machen, wenn er nicht wieder charakte¬
ristisch wäre für die verschwommene, leichtfertige und gewissenlose Art deS
Schaffens, welche sich nicht bei Böttger allein findet. Er hat einiges Gute
und nicht Weniges geschrieben, was sich Anerkennung erworben hat, er gehört,
wenn nicht zu den bedeutenden, doch zu den rührigsten Talenten der jünger"
Generation, und deshalb ist höchlich zu bedauern, daß er in solcher Weise zu
arbeiten nicht verschmäht hat.

(Fortsetzung folgt).




und eine körperlose Hand schreibt an die Marmorwand riesige Zeichen. Da
fängt der König doch an zu beben, seine Mutter warnt ihn, der Hebräer
Daniel, der in der Löwengrube unversehrt singt, wird jetzt zu dem zagenden
Könige bestellt. — Unterdes) leiten die Perser den Euphrat ab und dringen
heimlich durch das Flußbett in die Stadt. — Belsazzar kämpft immer noch
zwischen Ahnungen und böser Lust, Daniel warnt ihn — Thirza erwartet auf
der Höhe des Baalstempbls mit Schaudern die Ankunft des Königs. — Die
Perser marschiren weiter vor, Jrad stürzt die Treppe des Tempels hinauf, er
findet die Geliebte, freudiges Wiedersehen, er sinkt mit ihr auf dem Purpur¬
kissen nieder; er erzählt ihr, wie er sich gerettet, daß die Perser eingedrungen
und unter anderem auch, daß ihr Vater getödtet sei. — Furchtbarer Kampf
in den Straßen. Der Leser erfährt mit Schrecken, daß auch die Pest sich
eingestellt hat. Jrad will mit der Geliebten den Thurm hinunter, kämpfende
Babylonier dringen auf ihn ein, er wird getödtet. Thirza trauert über ihn
und fühlt in derselben Stunde, daß sie von der Pest ergriffen ist. Belsazzar
stürzt durch die Schrecken der Nacht zum Thurm des Tempels, um vor
seinem Tode noch einen Genuß zu haben. Er schlingt den Arm um Thirza,
sie erwiedert wild seine Küsse und theilt ihm dadurch die Pest mit, sie stirbt. —
Daniel triumphirt über die Befreiung Israels — Belsazzar rennt wieder mit
der Pest in den Gliedern nach seinem Palast und stirbt dort, seine Mutter
mit ihm. — Siegeslieder der Perser und der Juden. — Das ungefähr ist der
Inhalt dieses unerfreulichen Gedichtes. Abgerissen, schattenhaft, ohne Wirkung
sind die einzelnen Situationen, die Erfindung ist ärmlich, die unkünstlerische
Willkür verletzend. Für die Personen sich zu interesstren ist nicht möglich. In
einzelnen kleinen Zügen erkennt man das bekannte Talent des Dichters, aber
die Flüchtigkeit und Rohheit der Erzählung verhindert den Genuß auch wohl¬
klingender Verse und einzelner wirksamer Schilderungen. Auch diesem Gedicht
fehlt der verständige Inhalt, dagegen welch wüste Häufung von Unmöglichkeiten!
Das rapide Ausbrechen der Pest während der Straßenschlacht, das gemüth¬
liche Niederlegen der Geliebten auf dem Thurme während der Schlacht, daS
unsinnige Umherlaufen des Belsazzar u. s. w. Es hätte nicht gelohnt, den
Leser mit solchem Inhalt bekannt zu machen, wenn er nicht wieder charakte¬
ristisch wäre für die verschwommene, leichtfertige und gewissenlose Art deS
Schaffens, welche sich nicht bei Böttger allein findet. Er hat einiges Gute
und nicht Weniges geschrieben, was sich Anerkennung erworben hat, er gehört,
wenn nicht zu den bedeutenden, doch zu den rührigsten Talenten der jünger»
Generation, und deshalb ist höchlich zu bedauern, daß er in solcher Weise zu
arbeiten nicht verschmäht hat.

(Fortsetzung folgt).




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/296>, abgerufen am 23.07.2024.